Ich - Ein Wahnsinnsjahr. Lena Eilstrup

Ich - Ein Wahnsinnsjahr - Lena Eilstrup


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      Le­na Eil­strup

      Ein Wahn­sinns­jahr

      Aus dem Dänis­chen über­setzt

      von Chris­tel Hil­de­brandt

      Lindhardt & Ringhof

      Gewidmet Miß Tarzan

      Ich und Tarzan

      Dienstag, 1. Januar, Neujahrsnacht

      Das neue Jahr ist achtundfünfzig Minuten alt. Ich will es mit dir, liebes Tagebuch, beginnen.

      Mama ist gerade mit einer Flasche Sekt und einem betrunkenen Kfz-Mechaniker verschwunden, sie feiert irgendwo anders weiter. Sie hat mir einen Fünfziger zugesteckt, dafür soll ich allein auf mich aufpassen und ihre widerlichen Zigarettenkippen und Weinreste wegräumen. Das Schlimmste beseitige ich, aber nur, weil es mich selbst davor ekelt.

      Mama hatte ein paar Bekannte eingeladen. Noch nie habe ich so idiotische Erwachsene erlebt, die so viele lächerliche Witze erzählen.

      Papa rief vor eineinhalb Stunden an und beklagte sich über das alte Jahr. Er klang reichlich betrunken. Irgendeine Frau schrie im Hintergrund und bot ihm einen prima Neujahrsbums an. Papa bat sie, sich zusammenzureißen, und wünschte mir ein gutes neues Jahr.

      Genau als die Uhr zwölf schlug, rief Oma an. Sie feierte mit einigen anderen Rentnern. Weil sie ihre Zähne nicht drin hatte, nuschelte sie fürchterlich. Sie hatte Angst, sie im WC zu verlieren, falls sie sich übergeben müßte.

      Ich lebe in einer versoffenen Familie, und nicht einer hat etwas von guten Vorsätzen fürs neue Jahr gesagt. Es ist der schlimmste Neujahrsabend, den ich je erlebt habe.

      Ich bin Einzelkind. Der letzte Zusammenhalt in einer auseinandergefallenen Familie. Aber es gibt Hoffnung: In diesem Jahr werde ich fünfzehn – und damit strafmündig! Darauf freue ich mich.

      Meine eigenen Vorsätze fürs neue Jahr: Ich will allein über mein Leben bestimmen und schlanker werden. Die Freßorgien von Weihnachten haben sich festgesetzt, natürlich konnte ich Omas Sülze nicht widerstehen: das reine Fett! Es ist wirklich eklig.

      Liebes Tagebuch, du sollst mein einziger Vertrauter sein, auch wenn du nicht auf meinem Wunschzettel standst. Du warst Mamas Weihnachtsgeschenk. Sie hat ihr erstes Tagebuch zur Konfirmation bekommen, und weil ich mich nicht konfirmieren lassen will, hat sie es mir eben zu Weihnachten geschenkt.

      Ich habe gefragt, ob ich denn ihres lesen dürfte. Das wäre doch bestimmt interessant, aber sie hat es verbrannt, als sie geheiratet hat, um ihre „albernen Pubertätsträume“ loszuwerden. Mütter können wirklich blöd sein!

      Zugegeben, zunächst warst du eine Enttäuschung, aber zum Glück bekam ich auch noch eine tolle Bluse, die ich mir gewünscht hatte. Ich glaube ja eher, Mama hat dich mir geschenkt, damit sie nichts mehr von meinen Gedanken und Gefühlen hören muß. Seit Papa ihr ihre Freiheit wiedergegeben hat, ist sie nur noch mit sich selbst beschäftigt.

      Du bist von der teuren Sorte, mit echt imitiertem Lederband und eingelassenem Schloß, zu dem nur ich den Schlüssel habe. Und ich kann dich wirklich gut gebrauchen. Du sollst alles erfahren, was mich bewegt. Aber ich überlege, wer dich bekommt, wenn ich plötzlich sterbe. Vielleicht Papa? Er glaubt nämlich immer noch, daß ich ein kleines Mädchen bin. Hier hätte er die Gelegenheit, mich mal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

      Eigentlich müßte ich dir von meiner Familie berichten, die ziemlich außergewöhnlich ist. Aber sie ist es gar nicht wert, beschrieben zu werden, und ich bin auch bereits seit zwei Stunden im neuen Jahr.

      Ich war unten auf der Straße, um zuzugucken, wie die anderen ihre Raketen abschossen. Brian C. aus der 7a hat mir einen Heuler nachgeworfen und hallo gerufen.

      Er ist hinter mir her.

      Ich wollte eigentlich so lange schreiben, bis Mama nach Hause kommt. Ich mache mir ernste Sorgen, in was sie sich da einläßt. Aber ich will dich nicht schon am ersten Tag vollschreiben.

      Neujahrstag, immer noch ...

      Diese Nacht und dieser Tag waren so lang wie ein ganzes schlechtes Jahr. Ich habe die Luftschlangen abgenommen. Auf Mama mußte ich bis neun Uhr morgens warten. Sie kam allein mit einem Taxi nach Hause und sang von dem tollen Kfz-Mechaniker. Reichlich unverfroren. Ich begreife nicht, was sie von ihm will, denn wir haben gar kein Auto, darum kann er uns doch ganz egal sein. Mama ist schwer, aber ich habe es trotzdem geschafft, sie ins Bett zu bringen.

      Oma rief an. Sie hatte ihre Zähne wieder im Mund, deshalb konnte ich verstehen, was sie sagte.

      Mittwoch, 2. Januar

      Heute nacht habe ich herausgefunden, daß ich Brian C. liebe. Er soll mein neuer Freund werden.

      Der erste war Allan vom Ende der Straße, aber daraus wurde nicht viel. Er wohnte bei Bente und Mogens, und das sind die totalen Alkoholiker! Tagelang bekam er nichts zu essen und mußte nachts allein schlafen. Verdammt hart! Ich liebte ihn wahnsinnig, und als sie letztes Jahr aus ihrem Haus rausgeschmissen wurden und wegziehen mußten, habe ich versprochen, ihn niemals zu vergessen. Deshalb schreibe ich hier über ihn.

      Ich habe Mama erzählt, daß ich Brian C. stark finde, und sie gefragt, was ich jetzt tun soll. Mama hatte ziemliche Ringe unter den Augen. Sie arbeitet im Kiosk, der vierundzwanzig Stunden geöffnet ist, und erwartete einen wichtigen Telefonanruf, deshalb war sie nicht gerade in Redelaune.

      Aber meine Frage munterte sie auf, und sie fing an, breit zu grinsen. „Sieh zu, daß die Jungen dir nachlaufen“, sagte sie. „Und nimm nicht den erstbesten Rotzjungen!“ Mama nimmt meine Gefühle nicht ernst, deshalb werde ich in Zukunft nur dir von ihnen erzählen.

      Dafür vertraute sie mir an, daß ihr Typ einer der süßesten Männer sei, die sie je getroffen hätte, und ziemlich erfahren. Als ich meinte, es wäre vielleicht etwas früh nach der Scheidung für eine ernsthafte Affäre, wurde sie sauer und sagte, sie denke nicht daran, nur wegen Papa in Schwarz rumzulaufen.

      Aus Protest rief sie sofort ihren Mechaniker an und lud ihn für Samstag zum Essen ein. Ich soll ihn wohl unbedingt kennenlernen, koste es, was es wolle.

      Donnerstag, 3. Januar

      Mama hat den Sauberkeitsfimmel, sie wirbelt wie ein weißer Tornado durchs Haus. Zu Papas Zeiten hat sie immer gesagt, daß ein staubiges Heim besser ist als eine saubere Hölle. So bin ich auch erzogen worden.

      Offensichtlich soll für den Mechaniker, der garantiert schwarze Fingernägel hat, der rote Teppich staubgesaugt und ausgerollt werden. Sogar mein Zimmer sollte ich aufräumen, aber da bin ich eingeschritten, das ist mein privater Bereich. Ich habe einen Zettel an meine Tür geklebt: „Zutritt für Mechaniker verboten“. Leider bestand Mama darauf, daß der Zettel sofort wieder verschwindet.

      In einem unbewachten Augenblick bin ich abgehauen und zu Papas Wohnung geradelt. Drinnen flüsterte jemand, aber es machte niemand auf, obwohl ich mehrmals klingelte. Durch den Briefschlitz konnte ich einen roten Mantel sehen, so einen hat er noch nie gehabt.

      Jetzt bin ich müde vom Schreiben und will lieber ein bißchen lesen und dann schlafen und von Brian C. träumen.

      Freitag, 4. Januar

      Mama fragte mich, warum ich gar nicht mehr am Wochenende bei Mia übernachte. Mia ist meine beste Freundin. Aber jetzt geht sie mit Rasmus, und ich will nicht das fünfte Rad am Wagen sein, darum lasse ich sie meist in Ruhe.

      Habe Papa angerufen. Er hatte einen Termin! Leider könnte ich nicht bei ihm schlafen, da er Logierbesuch hat. Der also auch!

      Freitags geht Oma in die Abendschule, um Selbstverteidigung zu lernen. Sie hat Angst, daß ihr ihre Tasche von einem jungen Rowdy entrissen wird. Sie kann ich also auch nicht besuchen.

      Ich fühle mich ausgestoßen. Vielleicht, weil ich zu fett bin? Mama sagt, ich sei gerade richtig, aber das finde ich nicht. Ich habe an die Leserecke in „Heim und Welt“ geschrieben:

      Ich bin ein Mädchen, vierzehn Jahre, sieben Monate und siebzehn Tage alt. Ich


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