"Gemeinsam wachsen" - der Elternratgeber ADHS. Armin Born


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»Man ist aber auch von der eigenen Stimmung abhängig. Mir ist bewusst geworden, dass ich mehr schimpfe, wenn ich selbst unter Stress stehe oder belastet bin oder eine schlechte Stimmung habe.«

      • »Dass das Kind miterlebt hat, dass ich für mich eine Strichliste geführt habe, war auch ein Ansporn für es selbst.«

      • »Wenn ich mit dem Kind alleine bin, sind die positiven Striche mehr.«

      • »Wenn der Vater mit dabei ist, nehmen die negativen Äußerungen zu. Innerlich fühle ich mich dann auch deutlich angespannter, als wenn ich alleine mit dem Kind bin. Wenn der Vater dabei ist, spüre ich seine Erwartungen und denke, das Kind muss sich dann in einer bestimmten Weise verhalten. Wenn ich alleine mit dem Kind bin, kann ich mehr zulassen, ohne dass dies unangemessen wäre.«

      2.5 Experiment: Bewusstes positives Zuwenden

      An dieser Stelle bietet es sich an, dass Sie ein weiteres Experiment folgen lassen. Versuchen Sie jetzt bewusst die Häufigkeit des positiven Zuwendens in der für Sie passenden Weise während der nächsten beiden Wochen zu erhöhen. Bei der letzten Aufgabe ist Ihnen vielleicht deutlich geworden, welch vielfältige und unterschiedliche Formen der positiven Rückmeldungen es gibt: Sie werden festgestellt haben, dass es ja nicht nur »schöne Worte« sind, die man dem Kind sagen kann, sondern es kann ein Anblicken sein, ein Kopfnicken, ein Lächeln, ein Zuhören, ein in den Armnehmen. Bei körperlichen Berührungen berichteten Mütter in den Elterngruppen häufig über durchaus unterschiedliche Erfahrungen. Es gibt Kinder, die körperliche Berührungen, wie Streicheln oder in den Armnehmen als angenehm empfinden und dieses zulassen können. Es gibt aber auch gerade unter den ADHS-Kindern solche, die die körperliche Berührung eher als unangenehm empfinden. Versuchen Sie einfach wahrzunehmen, was für Ihr Kind passt.

      Kinder empfinden es auch als positiv, wenn Sie sich für sie interessieren, d. h. wenn Sie nicht nur loben, sondern z. B. auch Fragen stellen, wie beispielsweise »Wie hast du das geschafft?« Anerkennung Ihrem Kind gegenüber sollte jedoch nie übertrieben sein, ein paar Worte reichen in der Regel aus. Gerade ADHS-Kinder, so erleben wir es immer wieder, können oft gar nicht gut damit umgehen, wenn man sie zu sehr lobt. Es ist eher günstig, das Positive Ihrem Kind gegenüber zu dosieren wie etwa: »Gut gemacht!«, »Das freut mich!«, »Danke!« oder »Toll!« verbunden mit einem freundlichen Zunicken. Eine elegante Möglichkeit zu loben kann so aussehen, dass man dem Partner oder der Freundin von dem Kind in dessen Beisein erzählt: »Weißt du, der Peter hat es heute wieder ganz prima hingekriegt. Er hat heute sofort mit den Hausaufgaben angefangen …«.

      Achten Sie nicht unbedingt auf das Ergebnis. Viel bedeutsamer und aussagekräftiger ist, ob ein Kind sich anstrengt und bemüht. Deswegen ist es wichtig, immer die Bemühungen des Kindes zu würdigen.

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      Abb. 1.5: Unterschiedliche Formen der positiven Zuwendung

      2.6 Auswertung der »Positivliste«

      Nun kommen wir zu Ihrer zweiten Beobachtungsaufgabe: der »Positivliste«.

      Wie ist es Ihnen mit dieser Aufgabe ergangen? Was ist Ihnen an Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn positiv aufgefallen? Haben Sie überhaupt etwas finden können oder ist es Ihnen schwer gefallen, etwas aufzuschreiben?

      Unsere Erfahrungen in den Elterntrainingsgruppen waren hier höchst unterschiedlich. Es gab nicht wenige Mütter, die berichtet haben »Ich konnte überhaupt nichts aufschreiben« oder »Es gab nichts ungewöhnlich Positives« oder »Er hat sich nur einmal bemüht.« Manche Mütter oder Väter haben aber auch durchaus Dinge gefunden, die ihnen positiv aufgefallen sind.

      Im Folgenden geben wir einige Kommentare und Einsichten der Eltern bei dieser Hausaufgabe wieder:

      • »Der Regelfall war zuvor, belastende und negative Aspekte wahrzunehmen. Wenn man auf das Positive achtet, kann man auch auf die Kinder anders zugehen.«

      • »In unserer Gesellschaft sind wir alle auf Negatives getrimmt. Man kann es aber üben, etwas Positives wahrzunehmen. Wenn es gelingt, kann man die Kinder besser annehmen. Man kann dann Ihre Bemühungen eher würdigen.«

      • »Es gibt bei den Kindern mehr Positives als man denkt. Man wird durch die Aufgabe dem Kind gegenüber aufmerksamer, das Kind wird wichtiger. Das eigene Verhalten wird kontrollierter und bewusster.«

      • »Man kann Dinge würdigen, die einem sonst selbstverständlich erscheinen.«

      • »Mir ist meine eigene innere Messlatte bewusst geworden. Sie ist so eingestellt, dass wenn etwas klappt, es normal und selbstverständlich ist, und es deswegen auch nicht gewürdigt wird.«

      Interessant war, dass manche Mütter festgestellt haben, dass ihre Ansprüche, d. h. ihre Messlatte in Bezug darauf, was sie von ihrem ADHS-Kind erwarteten, recht hoch war. Andere Mütter haben einfach Kleinigkeiten aufgeschrieben, was diesen Müttern wiederum geholfen hat, auch auf »Kleinigkeiten« zu achten, d. h. sich bewusst zu machen, dass das, was für das Geschwisterkind vielleicht selbstverständlich ist, für das ADHS-Kind eine große Leistung darstellt. Vielleicht ist es Ihnen ähnlich gegangen? Vielleicht kann Ihnen diese Aufgabe dabei helfen, auch Ihre Messlatte in Bezug auf Ihre Ansprüche und Ihre Erwartungen an Ihr ADHS-Kind etwas zu senken. Wenn Sie sie tiefer hängen, finden Sie sicher etwas Positives, selbst wenn es »nur« eine »Kleinigkeit« ist.

      Im gegenseitigen Austausch ist den Eltern immer wieder bewusst geworden, dass es ganz »normal« ist, dass wir insgesamt das Negative deutlicher wahrnehmen und es uns vor allem besser einprägen. Das Positive dagegen erachten wir häufig als selbstverständlich, es wird nicht besonders wahrgenommen, wird somit auch nicht im Gedächtnis abgespeichert und natürlich dem Kind gegenüber nicht besonders gewürdigt.

      2.7 »Unbeabsichtigte« positive Veränderungen – ein Bericht der Eltern

      Auf die Frage, welchen Sinn das Protokollieren der Rückmeldungen, die »Strichliste« und das Positivtagebuch mache, haben Mütter in den Elterntrainingsgruppen folgende Antworten für sich gefunden:

      • Man ist aufmerksamer dem Kind gegenüber

      • Das Kind wird wichtiger

      • Man macht sich mehr Gedanken um das Kind

      • Man entwickelt ein besseres Verständnis für das Kind

      • Man kann das Kind besser annehmen

      • Durch die Beobachtung des eigenen Verhaltens wird dieses kontrollierter und bewusster: mehr Selbstkontrolle durch bewusste Selbstbeobachtung

      • Ein unterstellter »geheimer Auftrag« des Experiments wird »erraten«: ich soll mich freundlicher dem Kind gegenüber verhalten

      • Man kann Dinge würdigen, die einem sonst selbstverständlich erscheinen

      • Man lernt bewusster mit bestimmten Situationen umzugehen

      • Kinder reagieren auf das deutlich freundlichere Verhalten der Eltern ihrerseits mit positiver Verhaltensveränderung

      • Man gewinnt die Erfahrung: Es gibt auch schöne Zeiten mit dem Kind

      • Es wird die Grundlage für einen besseren gemeinsamen Weg gelegt

      2.8 Experiment: Die gemeinsame Zeit

      Bevor wir damit beginnen, mit Ihnen Maßnahmen zu überlegen, wie Sie Verhaltensveränderungen bei Ihrem Kind erreichen können, erscheint es uns notwendig, eine entsprechende gute gefühlsmäßige Ausgangslage bei Eltern und Kindern für die angestrebten Verhaltensverbesserungen zu schaffen. Vielleicht ist es auch bei Ihnen zu Hause so, dass Sie oft gereizt sind, weil Sie den Alltag mit Ihren Kindern anstrengend und aufreibend


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