Seewölfe - Piraten der Weltmeere 683. Sean Beaufort

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 683 - Sean Beaufort


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Stege und nachlässig gemauerte, bemooste und algenüberwucherte Molen befanden, zeigten sämtliche Ufer, daß der Hafen Mannars weder groß noch, bedeutend war. Wohin die Arwenacks auch blickten, überall sahen sie angeschwemmtes Treibgut, trocknende Haufen aus Tang, Schlamm, Sand und Schlick.

      Eine Straße zog sich von den ersten Hütten und Häusern der Stadt in die Richtung auf die kleine Bucht und gabelte sich dort. Ein breiter Pfad führte dorthin, wo die Karavelle und die Galeone angelegt hatten, der andere endete vor dem Steg und den Pollern, an denen die Schebecke lag. Aus der Siedlung erschienen noch immer Inder oder Ceylonesen. Sie liefen dorthin, wo sich die größere Menge Menschen befand.

      „Unsere Gäste gehen von Bord, Sir“, sagte Ben Brighton säuerlich.

      „Hoffentlich für alle Zeiten“, gab Hasard ebenso wütend zurück.

      Die Inder, an ihrer Spitze der schmächtige Alokeranjan, kletterten flink über das Schanzkleid auf den Steg. Bisher hatten sie mit den Leuten an Land gesprochen, in einem Dialekt, den niemand verstand. Aber es gehörte nicht viel Sprachkenntnis dazu, herauszufinden, über was sie schnatterten und schrien. Augenblicklich scharten sich um die Passagiere ganze Trauben von Singhalesen.

      Hasard wandte sich an Ben.

      „Wir müssen darauf gefaßt sein, daß sie über uns herfallen“, sagte er zwischen halb geschlossenen Lippen. „Schicke unsere Leute unter Deck. Sie sollen sich bewaffnen. Aber ohne Aufregung.“

      Ben nickte. Er war erleichtert und hatte längst seine Pistole hinter den Gürtel gesteckt. Er enterte auf die Kuhl ab und sprach leise mit Higgy, Sven Nyberg und Batuti.

      Die drei nickten ebenfalls und versuchten, möglichst unauffällig den Befehl weiterzugeben.

      Don Juan de Alcazar und Hasard standen auf dem Grätingsdeck. Von dieser Stelle gab es den besten Überblick und den größten Abstand zu der Menschenmenge. Etwa zweihundert Frauen und Männer hatten sich mittlerweile versammelt, und es wurden immer mehr. Unter ihren nackten Füßen wirbelten Staubwolken auf und trieben träge auf die Schebecke zu.

      „Ich würde nicht eine Sekunde lang zögern“, sagte Hasard, „ablegen zu lassen, wenn nicht ein Blutbad die Folge wäre.“

      „Du hast recht, Sir“, sagte der Spanier leise. „Und wahrscheinlich haben wir in Kürze auch noch die Portus und meine Freunde, die Dons, auf dem Hals.“

      Ihre Blicke glitten unruhig hin und her. Sie suchten nach einem Ausweg aus der mißlichen Lage. Was sie sahen, half ihnen nicht und zeigte nur, daß sie an einem ziemlich gottverlassenen Winkel festsaßen.

      Ein dichter Halbkreis aus ineinandergeschobenen Booten und Schiffchen umgab die Schebecke und blockierte sie. Mißtrauisch beobachteten die Bootsbesatzungen jede Bewegung der Fremden.

      Don Juan sah, daß einer der Arwenacks nach dem anderen wieder an Deck erschien, ein betont gleichgültiges Gesicht zog und sich ausreichend bewaffnet hatte.

      In gerader Linie, vom Achterdeck der Schebecke über die beiden fremden Schiffe hinweg, duckten sich unter den mächtigen Ästen der Bäume langgezogene Häuser oder Lagerschuppen. Sie wirkten ebenso verwahrlost wie alles andere in diesem Hafen. Der nächste Sturm, der große Brecher über die Korallenbänke und Untiefen treiben würde, schien die Hütten zerstören zu können. Die beiden Straßenabschnitte waren von Häusern gesäumt.

      Wo sie sich gabelten, befand sich das erste Haus, das man als stattlich bezeichnen konnte.

      Es war auf einem Sockel aus Steinquadern errichtet. Das Mauerwerk bestand aus Ziegeln unterschiedlicher Farbe, die in waagerechten Schichten aufeinanderlagen und im Sonnenlicht leuchteten. Die Läden vor den Fenstern sahen aus, als wären sie erst vor kurzer Zeit grün und weiß gestrichen worden.

      Auf dem flachen Teil des Daches standen einige Singhalesen und hatten einen ausgezeichneten Blick über den Hafen und die Sände zwischen Mannar und der ceylonesischen Küste. Die Brecher, die darüber hinwegfegten, wurden niedriger und kraftloser, je mehr die Ebbe ablief.

      „Wir bleiben hier“, entschied Hasard. „Wir müssen die fanatischen Kerle überzeugen. Mit Gewalt richten wir nichts aus.“

      „Sehe ich nicht anders, Sir“, meinte Ben Brighton. „Hoffentlich spielen die Inder mit.“

      Wenn die Ebbe eintrat, würde nur ein kleiner Teil des Hafens nicht trockenfallen. Es war ein mäßig breiter Kanal entlang des westlichen Ufers, keine fünfzehn Yards breit. Sowohl die Schebecke als auch die Karavelle und die kleine Galeone würden ihre Kiele nicht in den Schlick setzen. Aber für die Dauer des niedrigen Wasserstandes waren sie zur Bewegungslosigkeit verurteilt.

      Hasard richtete das Spektiv auf die Karavelle und betrachtete sie schweigend, aber in zunehmender Besorgnis.

      „Das war zu erwarten“, sagte er halblaut. „Sie haben fast alle Geschütze ausgerannt.“

      „Auf diese Entfernung muß der dümmste Stückmeister, auch wenn er schielt, genau treffen“, sagte Don Juan.

      Er brauchte Hasard nicht darauf hinzuweisen, daß die Schebecke der Karavelle das Heck darbot. Um eine Breitseite feuern zu können, würden sie Bug oder Heck um neunzig Grad herumschwenken müssen. Ob dieses Manöver ausgeführt werden konnte, stand in den Sternen.

      Der treibende Staub stank abscheulich, kitzelte in der Nase und legte sich ätzend auf Zunge und Lippen. Die Menschenmenge war leiser geworden, ein wütendes Schweigen breitete sich aus. Über die Straße eilten jetzt nur noch einzelne Singhalesen.

      Ferris Tucker schob sich zum Niedergang und rief zum Achterdeck hinauf: „Das haben wir diesem Schuft Malindi zu verdanken. Ich sage euch, der lebt noch und versteckt sich irgendwo.“

      „Aber nicht unter Deck!“ rief der Moses. Er war ebenso unruhig wie jeder auf dem Schiff, und er spürte, daß sich in der brütenden Hitze des Mittags die Wut der Eingeborenen steigerte. Nicht viel weniger als dreihundert Leute standen am Ufer, auf dem Steg und im staubbedeckten, niedergetrampelten Gras.

      „Woher wissen sie sonst, daß wir Gold geladen haben?“ sagte Old Donegal Daniel O’Flynn, der sich ans Backbordschanzkleid zurückgezogen hatte und auf dem Rohr einer Culverine hockte.

      „Wir haben ihn im Laderaum erwischt“, sagte Ben Brighton. „Und er ist über Bord gesprungen und in Tuttukuddi halb totgeschlagen worden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihn jemand mit an Bord genommen hat.“

      Die fanatischen Gläubigen in einigen Booten stimmten einen Singsang an, der die Menge anstacheln sollte. Der Weisheitszahn Buddhas war von Bord, vielleicht setzten sich die „heiligen Männer“ endlich in Bewegung und brachten ihn ins Heiligtum zurück, nach Kandy im Landesinneren. Sie hatten es jedenfalls noch nicht eilig damit.

      Jung Hasard enterte zu seinem Dad auf und fragte bekümmert: „Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich versuche, mit ihnen zu reden. Aber sie starren mich nur an, als ob sie ihre eigene Sprache nicht verstünden.“

      „Weil sie nicht verstehen wollen“, erwiderte ihm der Spanier. „Der Buddha-Zahn ist unwichtig. Sie wittern das Gold.“

      „Sie wittern nicht“, sagte der Seewolf. „Sie wissen, daß es unter Deck ist.“

      „Von Malindi wissen sie es“, pflichtete ihm der Erste bei.

      „Wahrscheinlich hat sich dieser Hundesohn sein Leben oder seine Freiheit mit diesem Verrat gekauft“, sagte der Seewolf, schob das Spektiv zusammen und verstaute es. Er hatte genug gesehen. Sämtliche Stückpforten beider Schiffe waren offen, alle Geschütze waren ausgerannt. Die Mündungen starrten schwarz und drohend nur in eine Richtung – zur Schebecke.

      „Malindi lebt“, sagte Don Juan. „Oder sie haben ihn nach dem Verrat totgeschlagen.“

      Der Profos hatte jedes Wort mitgehört und verstanden. Er hob die Faust und drohte: „Wenn er noch am Leben ist und ich ihn erwische, hole ich das nach.“

      „Klar“, brummte Old Donegal. „Einen Toten kannst nicht mal du totschlagen, Eddylein.“


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