Herzheimat. Daniela Mailänder
Vertrautem. Und deshalb haben Lederhosen, die Nationalhymne und Lokalhelden Hochkonjunktur. Dabei geht es um mehr. Es geht um Geborgenheit. Rhythmus. Sicherheit. Vertrautes. Das sind Dinge, die wir nur in uns tragen können und die nicht in Äußerlichkeiten zu finden sind. Es geht um den inneren Kern der Dinge, es geht um die Seele. Um Nachfolge. Und Jüngerschaft. Ich greife zurück auf die Großen: Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz, Dallas Willard, Augustinus, Reinhard Deichgräber, Richard Rohr, Ignatius von Loyola und die Frau des Tankstellenbesitzers in meinem Ort.
Ich erzähle über mich. Und doch geht es nicht um mich. Ich bin nur ein Beispiel für eine, die die Heimat verloren hatte. Es gibt viele von uns. Ich nenne uns Herzensflüchtlinge. Weil wir alle die großen Fragen in uns tragen: Wo gehöre ich hin? Wer bin ich? Und weil wir alle auf der Reise sind. Eigentlich ist dieses Buch eine Beobachtung. Ich konnte zuschauen, wie Gott in und an mir arbeitete und das immer noch tut. Und das habe ich aufgeschrieben.
Dieses Buch ist in drei Teile aufgeteilt.
Im ersten beschreibe ich die große Geschichte der Heimatsuche. Denn so wie mir geht es vielen. Schon lange und vielleicht sogar schon immer. Gott ist mittendrin. In unserer Suche. Mehr noch: Er nimmt unser Suchen »auf sein Herz« (5. Mose 2, 7).
Im zweiten Teil lade ich dich ein, Heimatkunde zu betreiben und Gott dabei zuzusehen, wie er an deinem Herzen arbeitet. Ganz konkret frage ich danach, wie wir zu Hause sein können. Im Alltag. In der Gegenwart. In Beziehungen und in unserem Körper. Ich trage Erfahrungen und Entdeckungen zusammen, die helfen, die eigene »Herzheimat« besser kennenzulernen.
Im dritten Teil teile ich meine Sehnsucht nach Heimatorten mit dir und lade dich zum Herz-Pilgern ein. Kennst du das Gefühl des Aufbruchs? Weißt du, wie sich ein Neuanfang anfühlt? Bist du bereit loszugehen? Ich mache dir Mut, auf andere zuzugehen, ihnen zuzuhören und fragend durchs Leben zu gehen. Außerdem überlege ich: Wie kann Kirche ein geistliches Zuhause sein? Es entsteht eine Art »Dach für die Seele«, wenn wir mit anderen Heimatsuchenden auf dem Weg hin zu Gott sind.
Nach jedem Kapitel lade ich dich zum Innehalten im Heimathafen ein. Vielleicht gibt es Dinge, die du in einem Tagebuch notieren möchtest. Vielleicht spricht dich etwas an. Vielleicht leitet dich eine Frage zu einem weiterführenden Gedanken. Ich mache dir Mut, das aufzuschreiben. Durch einen Stift werden Gedanken handfest und damit greifbar.
Für die Entstehung dieses Buches danke ich meinem Weggefährten, Ehemann und Abenteuerfreund Hannes. Fürs Rückenfreihalten, Mitdenken, Ermutigen, Mitfreuen. Dieses Buch widme ich dir und unseren gemeinsamen Kindern: Ihr lehrt mich, anzukommen!
Danke an Silke Gabrisch, deren Anstoß und Beharrlichkeit, Korrigieren und Ermutigen zum Schreiben des Buches geführt haben. Ein großartiger Dank an Dr. Nina Kühn-Popp und Michael Wolf, zwei Freunde, die mit Genauigkeit und vielen motivierenden Gedanken mitgedacht und mitgelesen haben! Annika Walther, meine Timotheus-Mentorin, hat die wundervolle Herzlandschaft in Kapitel drei erstellt. Danke!
Lange habe ich mir überlegt, welche Anrede-Form für dieses Buch angemessen ist. Schlussendlich habe ich mich für das »Du« entschieden. Es erschien mir persönlicher, näher und freundschaftlicher. Ich hoffe sehr, dass ich dem Lesenden damit nicht zu nahe trete und gleichzeitig eine persönliche Ebene schaffe.
Ich lade dich zu einer Entdeckungsreise ein. Bleib neugierig! Stell Fragen! Und sieh Gott beim Arbeiten zu!
Daniela Mailänder im Februar 2018
Teil 1 - HEIMATSUCHE - Er hat dein Wandern durch diese große Wüste auf sein Herz genommen. - 5. Mose 2, 7
KAPITEL I
Heimatlos
Die Ordensschwester sah mir in die Augen. Ich hatte sie um ein Gespräch gebeten. Ich musste einmal alles loswerden. Es war Sommer und der kleine Raum stickig. Sie sah mich an:
»Du hast deine Heimat verloren!«
Am liebsten wäre ich der guten Dame im Habit ins Gesicht gesprungen. Aber sie sprach weiter:
»Du hast dich selbst verloren! Du bist nicht in dir zu Hause!«
Damit hatte sie den Bogen überspannt und ich stand auf, um den kleinen Raum zu verlassen. Ich hatte sie um ein Gespräch gebeten. Nicht um eine groteske Unterstellung.
Ich dachte an Hengameh. Sie ist meine iranische Freundin. In ihrem Heimatland ist sie zum christlichen Glauben gekommen. Dann musste sie fliehen und alles hinter sich lassen. Sie hatte ihre Heimat verloren.
Und dann schoss mir Samuel aus Nigeria in den Kopf. An Weihnachten war er bei uns gesessen. Ich hatte ihn beiläufig gefragt, wie oft er Kontakt zu seiner Familie hätte. »Alle tot. Erschossen«, hatte er geantwortet. Er hatte seine Heimat verloren.
Oder Claudia. Völlig verdrehte Familienverhältnisse. Die Mutter hatte die Töchter und den Ehemann verlassen, als Claudia sieben war. Der Vater war drei Jahre später an Krebs gestorben und sie war bei dem Exmann der leiblichen Mutter als Stiefkind aufgewachsen. Sie hatte keine Heimat.
Aber ich? Sollte ich heimatlos sein?
Ich war in einer tollen Familie aufgewachsen. Hatte studiert. In verschiedenen Großstädten gewohnt und mich an vielen unterschiedlichen Stellen eingebracht. Wir hatten gerade ein blaues Haus mit weißen Fensterkreuzen und kleinem Garten gekauft. Dort wollten wir unseren drei Kindern Heimat geben. Das war zwar in Bayern. Weiter weg von meiner geografischen Heimat, als ich mir gewünscht hatte. Aber ich hatte eine tolle Arbeit, war als Referentin bei Konferenzen und Gottesdiensten unterwegs. Wir führten eine glückliche Ehe. Ich freute mich über meinen Mann. Zwischen all den Aufgaben hatten wir immer noch Zeit für ein paar Hobbys: Skitouren, Klettern, Surfen, Mountainbiken. Und Freunde hatten wir. Gute Freunde.
Ich sollte heimatlos sein?
Allerdings: So richtig sagen, was mit mir los war, konnte ich nicht. Ich setzte mich also wieder in den braunen, muffigen Sessel im Zimmer der Ordensschwester. Und atmete durch.
Ich ahnte, dass es vielleicht stimmte. Dass dieses Getriebensein, diese Unruhe, diese Fragen etwas mit dem Thema »Heimat« zu tun haben könnten.
Äußerlich war ich irgendwie zwischen meiner ursprünglichen geografischen Heimat, der Heimat in der Lebensgemeinschaft, die wir kurz zuvor verlassen hatten, den vielen Durchgangsstationen in meinem Leben, dem Wunsch, meinen Kindern Heimat zu geben, und der Idee, nun Wurzeln zu schlagen, innerlich aufgeschrammt worden. Da war nicht nur die Trauer, dass wir entschieden hatten, nun endgültig weit weg von Eltern und Geschwistern zu leben. Sondern auch das Bedauern, unsere Haus- und Lebensgemeinschaft verlassen zu haben. Und es ging nicht nur darum, dass wir uns nun in ein bisschen Vorstadt-Spießigkeit einleben sollten.
Innerlich trieben mich andauernde Fragen: Habe ich mich richtig entschieden? Ist es das, was ich eigentlich will? Bin ich auf dem richtigen Weg? Und wenn ja: Wohin führt dieser?
Die Heimat, die ich verloren hatte, war irgendwie anders. Tiefer. Innen drin. Es war dieses übermächtige Gefühl, auf dem falschen Weg zu sein. Das Gefühl, dauernd etwas zu verpassen. Das Gefühl von »Das ist nicht dein Platz!«. Wochenlang habe ich nachts nicht geschlafen. Tagsüber kamen die Tränenausbrüche. Oder eine ziellose Unruhe. Das Gefühl blieb: »Hier bist du nicht richtig!«
Dazu kam eine Art Erschöpfungszustand. Ich liebe es, aktiv zu sein, aber zwischen Dienst, Ehrenamt, Muttersein, Predigt- und Referentendiensten und meinen Hobbys kam ich einfach nicht mehr zur Ruhe. Ich steckte fest. In der bisher größten Krise meines Lebens.
Da bin ich ins Kloster gefahren. Dort habe ich geschrien. Im Wald. In der Kapelle.