MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken. Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken - Robert Mccammon


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wie immer waren die Gaukler mit ihren Fiedeln und Schelltrommeln da, um die seefahrenden Musikliebhaber von ihren Münzen zu trennen. Doch heute war ihre Musik grau und mehr als ein wenig traurig, wie es Gottes Bild von New York an diesem Morgen entsprach.

      Matthew und Greathouse erreichten eine Stelle, von der aus man durch die Masten und Schiffe hindurch die nebligen Umrisse von Oyster Island sehen konnte. Greathouse blieb stehen, starrte in Richtung der unschönen Insel, und auch Matthew verhielt seine Schritte.

      »Seltsam«, sagte Greathouse.

      »Soll das die allgemeine Situation beschreiben?«, fragte Matthew, als nichts mehr kam. »Ich würde sagen, es ist mehr als seltsam. Ich würde sagen, dass mein Name an der Mauer gegenüber von einem brennenden Gebäude geradezu myster…«

      »Das Phantom von Oyster Island«, unterbrach Greathouse ihn. »Du kennst die Geschichten doch?«

      »Die, die es gibt.«

      »Und dir ist natürlich auch aufgefallen, dass man dieses Phantom erst vor zwei Monaten bemerkt hat. Es ist kalt geworden. Er brauchte einen Mantel und er brauchte was zu Essen. Obwohl er ein guter Jäger und Angler ist, da bin ich mir sicher. Aber vielleicht ist das Kleinwild dort scheu geworden und die Fische entlang des Ufers sind wegen der Kälte jetzt weiter draußen? Und jetzt bräuchte man ein Boot, um in tieferem Gewässer zu angeln?«

      Matthew sagte nichts. Er wusste genau, auf was Greathouse anspielte; ihm war das auch schon durch den Kopf gegangen. Tatsächlich war er sich schon zu neunzig Prozent sicher.

      »Er war ein starker Schwimmer«, sagte der große Mann. »Vielleicht kann es sonst niemand von hier bis dorthin schaffen, aber Zed hat’s geschafft. Ich habe keinerlei Zweifel daran, dass er unser Phantom ist.«

      Wieder schwieg Matthew. Auch er starrte zu der Insel hinaus, die von ihrem Wachmann verlassen worden war. Jetzt gehörte sie Zed, wenn auch nur für eine kurze Weile. Ein befreiter Sklave in Besitz eines Teils der königlichen Kolonie! Es war geradezu komisch.

      Im Herbst hatte Matthew gesehen, wie der mächtige, stumme Zed mit dem vernarbten Gesicht bis ans bittere Ende eines der Anleger gerannt war – nachdem er durch Berrys kunstvoll gezeichnete Erklärung begriffen hatte, dass er frei war – und wild vor Freude ins Wasser gesprungen war. Zed hatte Ashton McCaggers gehört, bis Greathouse für seine Freilassung bezahlt und von Lord Cornbury den Freibrief erlangt hatte. Greathouses Interesse an Zed war nicht ganz altruistisch gewesen, denn er hatte an Zeds stammestypischen Narben erkannt, dass er den westafrikanischen Ga angehörte, unter denen sich die mutigsten Krieger der Erde befanden. Greathouse hatte Zed unbedingt als Leibwächter für Matthew ausbilden wollen. Aber es hatte nicht sein sollen, denn der riesige Krieger war offensichtlich entschlossen gewesen, nach Afrika zurückzuschwimmen oder bei dem Versuch zu ertrinken. Allerdings schien es jetzt, dass Zeds Reise für eine Weile unterbrochen worden war und dass der mächtige Schwarze in der Wildnis von Oyster Island saß – vermutlich in einem selbstgebauten Unterschlupf – und überlegte, wie ein stummer, vernarbter und äußerst furchteinflößender Sohn des Dunklen Kontinents dem Stern folgen konnte, der ihn nach Hause lockte.

      Selbst wenn Zed vielleicht nicht viel über die Welt wusste, nahm Matthew an, dass er sich bewusst war, wie unerreichbar weit er von dem Land entfernt war, nach dem er sich sehnte. Und daher hatte Zed sich einen Mantel gestohlen, aß Fisch und wartete in seinen Unterschlupf gekauert darauf, dass eine günstige Wendung für ihn eintrat.

      Zumindest war das Matthews Theorie, und obwohl sie nie darüber gesprochen hatten, freute er sich, dass Greathouse zu demselben Schluss gekommen war.

      »Komische Sache, das mit deinem Namen an der Wand«, sagte Greathouse endlich in Bezug auf das vorliegende Problem. Es war nicht das erste Mal, dass sie darüber redeten, aber jetzt waren sie vom Gouverneur beauftragte Ermittler und die Bürger der Stadt würden für ihr Honorar aufkommen. »Lass uns weitergehen«, schlug Greathouse vor – oder befahl es vielmehr –, und so setzten sie sich unter den Bugsprieten der vertäuten Schiffe wieder in Bewegung.

      Nachdem Greathouses Gehstock ein paar Schritte bemessen hatte, kam die Frage: »Hast du irgendeine Idee?«

      Ja, habe ich, dachte Matthew sofort. Ich habe eine Ahnung, dass eine als Arzt getarnte Schlange und seine ebenso reptilienartige Gattin etwas damit zu tun haben. Und trotzdem habe ich keine Beweise und keine Vorstellung davon, was ihr Motiv sein könnte. Ohne das bin ich ebenso weit von der Lösung dieses Rätsels entfernt wie Zed von einem Spaziergang an der Küste Afrikas. Daher antwortete er: »Nein, hab ich nicht.«

      »Jemand mag dich nicht«, meinte Greathouse.

      Ja, dachte Matthew wieder, die Zähne grimmig zusammengebissen. Sein Gesicht wurde vom kalten Wind gepeitscht. Und diese Vereinigung scheint jeden Tag mehr Mitglieder zu zählen. Sie kamen an ein neues Schiff, das anscheinend gerade erst in der letzten Stunde eingelaufen war, denn das Fallreep war am Dock vertäut und die Seemänner stolperten einer nach dem anderen herunter, auf der Suche nach ihrem Gleichgewicht. Ein paar leere Pferdewagen standen einsatzbereit da, wurden aber nicht beladen. The Tully Company stand rot auf den Seiten der Wagen. Solomon Tully, so wussten die beiden Problemlöser, war der Zuckerhändler; der mit den dritten Zähnen und ein großartiger Furzer noch dazu. Trotzdem war er kein übler Kerl. Wenn er von seinen Besuchen in den karibischen Zuckerrohrplantagen erzählte, schilderte er die Tropensonne und das türkisblaue Wasser auf lebhafteste Weise. Deshalb war er an kalten Wintertagen in allen Schänken ein gerngesehener Gast. Und hier auf dem Dock stand der stämmige, rotbäckige Mann nun höchstpersönlich, mit einem braunen Dreispitz und über seinem sicherlich teuren Anzug einen aus feinstem Tuch in Owles‘ Schneiderei in der Crown Street gefertigten beigefarbenen Mantel. Solomon Tully war äußerst wohlhabend, äußerst gesellig und normalerweise äußerst zufrieden mit sich und der Welt. An diesem Morgen mangelte es ihm allerdings sehr an Zufriedenheit.

      »Verdammt, Jameson! Verdammte Hölle!«, schrie Tully eine arme, dünne und verwahrloste Gestalt an, deren Bart aus verschiedenen Schimmelfarben zu bestehen schien. »Für so was bezahle ich Euch gutes Geld?«

      »Verzeiht, Sir … verzeiht, Sir … verzeiht«, antwortete der unglückliche Jameson mit gesenktem Blick und deprimierter Haltung.

      »Dann geht endlich und richtet Euch wieder her! Erstattet mir in meinem Arbeitszimmer Bericht! Und zwar flott, bevor ich es mir anders überlege und Euch auf die Straße setze!« Als Jameson davonschlich, schaute Tully zu Matthew und Greathouse hinüber. »Oh, Moment mal! Ihr zwei! Wartet!«

      Tully war bei ihnen, bevor sie sich entscheiden konnten stehenzubleiben oder so zu tun, als hätten sie ihn nicht gehört. Tullys Gesicht glühte noch mit den Resten seiner brennend heißen Wut. »Verdammt, dieser Tag!«, empörte er sich. »Wisst Ihr, wie viel Geld ich heute Morgen verloren habe?« Seine dritten Zähne mit den in der Schweiz hergestellten Zahnrädchen mochten zwar wie echte aussehen, fuhr Matthew durch den Kopf, aber sie gaben ein seltsam leises, metallisches Quietschen von sich, wenn Tully sprach. Matthew fragte sich, ob die Federn vielleicht zu stramm angezogen waren – und ob Tully seine Zähne aus dem Kopf springen würden, wenn die Federn rissen, und durch die Luft schnappen, bis sie etwas zum Festbeißen fanden.

      »Wie viel?«, fragte Greathouse, obwohl er wusste, dass es unklug war.

      »Zu viel, Sir!«, kam die hitzige Antwort. Dampf umnebelte Tullys Kopf. Plötzlich lehnte Tully sich verschwörerisch zu ihnen vor. »Hört mal«, sagte er leiser mit bittender Miene. »Ihr beide seid doch die Problemlöser …«

      Und heute anscheinend stark gefragt, dachte Matthew.

      »- da könnt Ihr mir doch den Gefallen tun und Euch über eine Sache Gedanken machen, ja?«

      Greathouse räusperte sich mit warnendem Grollen. »Mr. Tully, derartiges stellen wir in Rechnung.«

      »Herrje, na gut, zum Teufel mit der verdammten Rechnung! Verlangt, was Euch recht erscheint! Hört mich bloß an, ja?« Tully sah aus, als würde er jeden Moment wie ein Kind, dem man ein Bonbon weggenommen hat, auf die Anlegerbohlen stampfen. »Ich bin ein gemarterter Mann, seht Ihr das denn nicht?«

      »Also


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