Zu zweit auf See. Johannes Erdmann
Darauf kam es uns an. Und bis dahin war es ein langer, langer Weg.
RÜCKBLICK
Anlauf nehmen
Von Johannes
Das Schwierigste daran, den Traum einer Langfahrt real werden zu lassen, liegt tatsächlich darin, loszukommen. Über Jahre hinweg habe ich bei der Yacht Leseranfragen zum Thema Langfahrt betreut. Ständig meldete sich jemand mit großen Plänen. Einhand, zweihand, nonstop, rückwärts, diagonal um die Erde, zweimal nonstop um die Erde, im Katamaran durchs Südpolarmeer, einhand mit 16 Jahren, 14 Jahren, zwölf Jahren … Die Menschen waren und sind erfinderisch. Ich habe mir anfangs sehr große Mühe gegeben, ihnen mit Rat und Tat beizustehen. Und, klar, die meisten wollten von uns Hilfe bekommen. Ob durch Publicity oder finanziell. Einige erwarteten gar Komplettfinanzierungen der gesamten Reise. Möglichst vorab.
Aber die wenigsten dieser großen Träume wurden umgesetzt. In den ersten Jahren saßen wir Verlagsleute häufig nach den Bootsmessen noch zum Abendessen zusammen. Da habe ich mich mal mit Bobby Schenk über diese Träumer unterhalten und meinte: »Muss ich die alle für bare Münze nehmen? Ich wette, nicht mal zehn Prozent davon fahren wirklich los.« Bobby, der nun wirklich schon sein ganzes Leben mit den Langfahrern zu tun hat, sah das noch nüchterner: »Ich schätze, es ist nicht mal ein Prozent.«
»It’s a dream. Until you write it down. Then it’s a goal«, habe ich mal gelesen. Das hat sich mir eingebrannt. Und mehr noch: »A goal is a dream with a schedule.« Bei der Umsetzung eines Traums geht es immer irgendwann darum, die Eckpunkte festzusetzen, einen Plan mit Terminen zu machen und das Ganze aufzuschreiben. Wer auf Blauwasserfahrt gehen will, aber keinen festen Abfahrtstermin hat, wird nie losfahren. »Wir fahren los, wenn alles fertig ist«, habe ich über all die Jahre immer wieder von angehenden Blauwasserseglern gehört. Und danach nie wieder etwas von ihnen. Denn wenn dies der Plan ist, wird er nie erfüllt werden. Schiffe werden niemals vollkommen fertig.
Ich habe für mich schon vor vielen Jahren definiert, dass mein Schiff maximal 90 Prozent in Ordnung sein muss. Denn irgendwas ist immer nicht optimal. Wichtig und essenziell ist, dass alle Dinge, die für die Seetüchtigkeit, Navigation, Sicherheit und Schiffsführung nötig sind, vollständig und in Ordnung sind. Optik ist egal, Bequemlichkeit und Komfort auch. Häufig sind es die persönliche Bequemlichkeit und vorgeschobene Gründe, die einen Segler daran hindern, Langfahrtsegler zu werden. Und natürlich das Wetter. So oft hört man von Seglern: »Wir wollten ja gerne, aber das Wetter hat nicht gepasst.« Auf den 15.000 Seemeilen unserer Atlantikrunde sind wir auf dem Nordatlantik drei Tage vor einem Tief hergesurft, das uns 45 Knoten Wind und acht Meter Welle beschert hat. Das war der einzige Moment, über den ich sagen würde, ich wäre lieber im Hafen geblieben. Alle anderen Situationen – ob Schietwetter, Wind von vorn, kabbelige See oder Starkwind – waren unbequem, aber durchaus machbar. Meist war es in unserem sicheren Schiff noch nicht einmal wirklich unangenehm. Die meisten Hindernisse existieren also wirklich nur im Kopf.
Der Tag der Abfahrt ist für viele Segler schwer. Die Tränen der Familie, das Überwinden der Ungewissheit, was alles passieren wird – auf der Reise, aber auch während der Abwesenheit. Wie viel Zeit mit der Familie verschenkt man? Gerade, wenn die Eltern schon älter sind, fällt das schwer. Ist die Reise es wert, die kostbare, knappe verbleibende Zeit zu opfern? So ging es uns auch.
Kaum liegt die Hafenmauer dann aber im Kielwasser, fallen zahlreiche Sorgen ab. Dann ist voraus der Horizont zu sehen. Neue Erlebnisse, Abenteuer warten auf einen.
Der Zeitraum vom ersten Aufblitzen des Traums bis zur Realisierung kann allerdings bei manchen Menschen sehr hart und lang sein. Vor allem, wenn kein fester Plan existiert. Und bei mir noch zusätzlich erschwerend: keine Perspektive. Denn ich wusste, ich würde in absehbarer Zeit weder über die nötigen Reichtümer verfügen, um ein gutes Boot zu kaufen und eine Reisekasse anzuhäufen, noch über die nötige Zeit.
Dabei habe ich den Entschluss, noch eine große Reise machen zu wollen, schon damals gefasst, als ich 2006 meine kleine MAVERICK in Charleston verkauft und den Heimweg per Flieger angetreten habe. Damals waren für mich der Kurs und der Zeitplan klar: Jetzt schnell das Studium hinter mich bringen, etwas Geld verdienen, ein Schiff selbst bauen, Reisekasse verdienen und dann wieder los. Doch letztlich lagen zwischen dem Entschluss und der Abfahrt acht lange, entbehrungsreiche Jahre.
Anfangs lief alles nach Plan. Einen Monat nach dem Ende meiner Reise mit meiner Fellowship 27 fand ich mich in einem Hörsaal in Kiel wieder, zwischen 300 anderen Studenten, von denen immerhin gut 40 ebenfalls den Studiengang Schiffbau belegt hatten. Die Wahl des Studienfachs war für mich klar. Ich hatte schon als kleiner Junge Modellboote konstruiert und gebaut und konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als meine Bootsideen aus Holz und GFK an mir vorbeischwimmen zu sehen.
Doch das Grundstudium war dröge und zäh. Viel Mathematik, mit der ordentlich gesiebt wurde. Mathe lag mir nie sonderlich. Dafür technisches Zeichnen und CAD. Und dann war da immer noch der Ozean, der mich nicht losließ. Und verlockende Angebote. So sollte ich zum Beispiel zu einem Segelverein nach Bünde kommen und einen Vortrag halten. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Vor allem, weil es dafür auch noch 300 € geben sollte. Also erstellte ich an den Abenden in meinem WG-Zimmer eine Präsentation, schnitt Videos mit Musik, verlud meinen PC und meine Stereoanlage ins Auto und machte mich auf den Weg nach Bünde in Ostwestfalen.
Dort kam ich mit eineinhalb Stunden Puffer an, ging ins Wirtshaus und sagte dem Wirt, dass ich für einen Vortrag hier sei. »Der geht erst um sieben los, da ist noch keiner da.« Also saß ich im Auto und wartete. Als ich nach einer halben Stunde wieder ins Wirtshaus kam, sagte mir der Wirt nur: »Immer noch zu früh.« Zurück ins Auto. Eine halbe Stunde vor Beginn des Vortrags wagte ich einen letzten Versuch. Der Wirt fing gleich an: »Ich hab dir doch gesagt, dass es erst um sieben losgeht …« »Ja, ja, aber ich muss ja noch aufbauen«, erwiderte ich. »Ach, DU bist der Vortragende? Mensch, wir dachten schon, du kommst gar nicht mehr!«
Meinen allerersten Vortrag hielt ich also vor etwa 70 Mitgliedern der Hochseesegler-Gemeinschaft Bünde. Ein lustiger, sehr angenehmer Abend. Es machte mir riesig Spaß, die Leute mit auf mein Abenteuer zu nehmen. Doch geriet der Vortrag viel länger als gedacht, da ich ihn nie vor Publikum geübt hatte. Ich klickte fleißig 350 Bilder durch und erzählte zweieinhalb Stunden lang Geschichten und Anekdoten. Trotzdem schien keiner gelangweilt. Deshalb habe ich den Vortrag über die Jahre in der Form fast genauso beibehalten, jedoch auf gut eineinhalb Stunden gekürzt.
Schon in der Karibik hatte mich der Delius Klasing Verlag gefragt, ob ich nicht ein Buch über meine Reise verfassen könnte. »Was für eine Ehre«, dachte ich damals, denn ich hatte schon immer gehofft, irgendwann mal ein Buch veröffentlichen zu können. Doch jetzt, zurück in Deutschland, hatten die Verantwortlichen mein Abschlussinterview in der Yacht gelesen. Und da stand dick und fett: »In vier Jahren möchte ich wieder los. Und dann ganz um die Welt.« Daher zogen sie das Angebot wieder zurück, denn sie wollten lieber gleich das Buch über die Weltumsegelung. Dabei war ja gar nicht klar, ob diese überhaupt stattfinden würde. Plötzlich musste ich also dafür kämpfen, dass nun doch ein Buch über meine erste Reise entstehen sollte. »Der jüngste deutsche Einhand-Atlantikübersegler« war mein Argument. Ich sollte Probekapitel liefern und bekam dann doch die Zusage. Allerdings sollte das Buch in sechs Wochen fertig sein. Ich fing an zu tippen. Aber neben dem Studium war nur jeden Abend etwas zu schaffen. Denn gerade im ersten Semester musste ich viel Arbeit ins Studium stecken.
Während ich in Sachen Segelei also einen kleinen Höhenflug erlebte, sackte ich im Studium immer mehr ein. Ich musste mich entscheiden: Lasse ich das Studium sausen oder das Buch? Schnell hatte ich eine Lösung: Die Semester könnte ich immer noch nachholen, aber die Kuh »Segelei« musste gemolken werden, solange sie Milch gab. Also setzte ich alles daran, ein gutes Buch abzuliefern. Zum Glück bekam ich auch noch einen Aufschub für die Abgabe und konnte die ganzen ersten Semesterferien von morgens bis abends daran arbeiten.
Doch die Kuh gab immer mehr Milch. Und ich molk. Nahm jede Einladung an. Zigmal flog und fuhr ich sogar in die Schweiz und hielt meine Vorträge. Doch ein guter Geschäftsmann