Zu zweit auf See. Johannes Erdmann

Zu zweit auf See - Johannes Erdmann


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Nachmittag des dritten Reisetages besucht uns Catis Vater. Er war am Abfahrtstag verhindert, kommt nun aber extra aus Bad Bentheim angefahren, um uns noch Tschüss zu sagen. Cati ist aufgeregt, denn er ist unser erster Gast an Bord. Wir finden ein italienisches Restaurant in der Innenstadt und genießen einen letzten Abend zusammen bei Pizza und Bier. Morgen wollen wir losfahren.

      Den Autoschlüssel hinterlegen wir bei der Hafenmeisterin, denn meine Eltern wollen am Wochenende kommen, um das Auto abzuholen. Sie werden überrascht sein, da wir MAVERICK TOO noch einmal etwas ausgemistet haben. Vor allem viele unhandliche Sachen. Polsterauflagen für den Salontisch? Viel zu sperrig. Das zweite Solarpanel findet bei aller Fantasie keinen guten Platz, weder an Deck noch am Geräteträger. Sogar das Sitzkissen für den Kartentisch geht aus Platzgründen von Bord, denn wir haben ja zwei Freebags und ein Kapokkissen. Dann sind wir startklar. Drei Tage nach der Abfahrt segeln wir endlich in internationale Gewässer.

      PANIK AM ABEND

      Von Cati

      Schon seit einigen Tagen kommt der Wind aus Osten. Das ist eher ungewöhnlich für die Deutsche Bucht um Cuxhaven, in der eher Westwinde vorherrschen. Für einen Schlag direkt nach England sind diese Wetterbedingungen allerdings perfekt, denn so kommt der Wind von hinten und verspricht eine angenehme und schnelle Reise. Ein weiterer Grund, der uns zur Weiterfahrt drängt.

      Wegen der guten Windverhältnisse wollen wir direkt nach England segeln. Lieber Meilen machen und raus aus dem Herbstwetter. Lieber schnell zum Atlantik und die Karibik genießen.

      Nach einem letzten, schnellen Frühstück auf deutschem Boden verabschieden wir uns von meinem Vater, und dann geht es los. Bei der Ausfahrt erwischt uns noch die Webcam vom Hafen, und nur wenige Minuten später bekommen wir von einem Freund ein Bild davon aufs Handy geschickt. Etwas pixelig zwar, aber trotzdem sieht die MAVERICK TOO wild und entschlossen aus mit den vielen Flaggen, die noch an unserem Achterstag hängen.

      Wild und entschlossen – das sind wir auch. Johannes zieht kurz nach der Hafenausfahrt das Groß hoch und setzt danach die Genua. Schon rauschen wir unter Autopilot Richtung England. Die Elbströmung tut noch ihr Übriges: 8,5 Knoten zeigt unsere Logge konstant an. »Wir sind tatsächlich unterwegs! Ist das nicht komisch?«, frage ich Johannes. Glauben können wir das beide noch nicht so richtig.

      Etwas angespannt sitzen wir im Cockpit. Nach zwei Jahren in der Halle und den diversen Veränderungen am Boot wissen wir noch gar nicht, was unser Schiff überhaupt abkann. Vieles ist anders. Der Mast länger, die Segel größer … Aber es herrschen Traumbedingungen. Sonnenschein und Rückenwind. Die MAVERICK TOO wird vorangetrieben, und die berüchtigte »Mordsee« macht uns die Eingewöhnung an die Wellenbewegungen leicht.

      Irgendwie kommt es uns aber seltsam vor, einfach nur dazusitzen und nichts zu tun. Die Minuten kriechen förmlich. Gerade in den letzten Wochen ist uns der Vorbereitungsstress fast über den Kopf gewachsen. Wir waren ständig unter Strom. Deshalb überlegen wir uns erst mal, was wir essen könnten, um die Zeit zu überbrücken. Und was man danach snacken könnte.

      »Jetzt steuere ich mal«, verkünde ich. »Irgendwann muss ich das Segeln ja lernen, und wir sind jetzt immerhin schon zwei Stunden unterwegs!« Johannes grinst und koppelt den Autopiloten aus. In den vergangenen Jahren habe ich zwar öfter mal ein Schiff gesteuert, aber nie einen richtigen Segel-Grundkurs gemacht – und in den zwei Jahren in der Werft und fehlender Praxis ohnehin die Hälfte des einst Erlernten wieder vergessen. Direkt merke ich am Ruderdruck auf das Steuerrad, wie der Wind in die Segel drückt. »Wenn die Segel killen, dann in die andere Richtung aussteuern«, erinnert mich Johannes. »Wenn sie flattern, meinst du, oder?«, frage ich unsicher nach. Eigentlich habe ich keine Ahnung, was ich da genau mache. Klappt aber irgendwie. »Das ist ja wie Fahrschule«, sage ich bemüht vergnügt – und meine eigentlich dieses komische Gefühl, das mich schon in der ersten Autofahrstunde beschlichen hatte. »Das reicht jetzt erst mal für den ersten Eindruck«, verkünde ich deshalb verunsichert nach einer Dreiviertelstunde.

      Nach einigen Stunden läuft die MAVERICK TOO ständig aus dem Ruder. Die Wellen haben sich mittlerweile etwas höher aufgebaut. Das reicht schon, dass unser Radautopilot es nicht mehr schafft, sie auszusteuern und den Kurs zu halten. »Ich setz mal die Monitor in Gang«, sagt Johannes und beugt sich über das Heck nach außen, um das Ruder unserer Windsteueranlage abzulassen. Aber es gelingt ihm nicht, das Ruder ins Wasser zu drücken und einzuklicken. Das Kielwasser drückt es immer wieder hoch und sein Arm ist zu kurz. Der Bootshaken, mit dem wir eine Verlängerung hätten, liegt ordentlich im Regal in der Schmiede. Irgendwann gelingt es doch. »Wir kaufen in England einen neuen«, meint Johannes. »In zwei Tagen sind wir ja da.«

      Als es dämmert, will Johannes ein Reff einbinden. In der Nacht hat er immer gern etwas weniger Segelfläche, damit er nicht im Dunkeln auf dem Vorschiff rumturnen muss, falls mehr Wind aufkommt. Denn MAVERICK TOO ist nicht vom Cockpit aus zu reffen, sondern die Leinen werden direkt am Mast bedient.

      »Ich gehe jetzt nach vorne und reffe«, ruft mir Johannes zu. »Du fährst einfach in die Richtung, aus der der Wind kommt. Das siehst du ja gut am Windanzeiger.« In dem Moment, in dem meine Hände das Steuer berühren, wird mir ganz anders. Die Wellen scheinen plötzlich aus allen Richtungen zu kommen. Völlig orientierungslos suche ich die Lichter eines Frachters, der doch eben noch vor uns war. »Was machst du denn da?«, ruft Johannes von vorne. »Ich weiß nicht!«, brülle ich zurück und spüre Panik in mir aufsteigen. »Ich weiß nicht, was ich machen soll! Das Schiff dreht sich nicht weiter! Ich hab das Ruder doch schon ganz eingeschlagen!« Und plötzlich bekomme ich Angst. Nicht vor den Wellen, jedoch vor meiner Courage, einfach auf ein Boot zu steigen, ohne es überhaupt segeln zu können. Und vor der Verantwortung für Johannes, mich und unser Boot, die ich gerade in den Händen halte und mit der ich nichts anzufangen weiß. Ob das jetzt jede Nacht so wird in den nächsten zwei Jahren? Bin ich dem überhaupt gewachsen? Hilflos laufen mir die Tränen über das Gesicht.

      »Gib einfach mehr Gas, Cati!«, ruft Johannes. »Dafür haben wir den Motor doch extra angemacht. Ich beeil mich!« Gas geben. So einfach. Warum habe ich nicht daran gedacht? Augenblicklich schäme ich mich. »Ist doch alles halb so schlimm«, versucht Johannes mich zu beruhigen. Und als würde das noch nicht reichen, wird mir plötzlich auch noch übel, und ich muss mich übergeben. Flau im Bauch, dabei war es bislang bei unseren Segelversuchen geblieben. Schuldgefühle und Sorge zwingen mich jetzt aber in die Knie und verlangen nach unserem schwarzen Eimer. Einmal in dieser Spirale drin, vegetiere ich irgendwann nur noch auf unserer Salonkoje dahin und tue mir selbst ziemlich leid.

      Johannes ist plötzlich wieder Einhandsegler. Obwohl er mir versichert, dass ihm das gar nichts ausmacht, fühle ich mich deshalb noch mieser. Nicht nur, dass ich ihm gar keine Hilfe bin, ich belaste ihn noch durch meine Seekrankheit. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt.

      Auch am nächsten Tag sind die Wetterverhältnisse optimal. Meine Seekrankheit hat sich so weit gebessert, dass wir nicht nur den fehlenden Schlaf nachholen können. Wir sind auch zuversichtlich, dass wir nachts sogar abwechselnd Wache gehen können. Johannes ist abends noch fit, weshalb er die erste Runde übernehmen will.

      Als ich gerade weggedöst bin, höre ich plötzlich ein lautes »KLÄNG!«. »Cati, komm schnell! Ich glaube, wir haben gerade einen Wantenspanner verloren.« Schlagartig bin ich hellwach und stürze den Niedergang hoch. »Wir müssen die Genua wegnehmen«, ruft Johannes mir zu. »Es darf kein Druck mehr auf dem Mast sein!«

      Vor unserer Abfahrt aus Cuxhaven hatte Johannes alle Wanten noch mal nachgestellt und meinem Vater Splinte und Tape in die Hand gedrückt, damit er sie sichern kann. Keiner von uns beiden hatte allerdings an die oberen Zwischenwanten zwischen dem ersten und dem zweiten Salingspaar gedacht. Alle Wanten hatten wir beim Maststellen vor ein paar Wochen nicht gesichert, weil wir sie vor der Abfahrt ja ohnehin noch mal nachstellen wollten. Und bis auf die Zwischenwanten haben wir das ja auch gemacht …

      In der Dunkelheit können wir den Wantenspanner nicht finden, der scheinbar über Bord gegangen ist. Das Zwischenwant baumelt in der Luft und dengelt bei jeder Welle gegen den Mast. Der Wind hatte zum Abend abgenommen, weshalb wir das Groß ohnehin schon weggenommen hatten, damit es


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