Zu zweit auf See. Johannes Erdmann
dass das französische Äquivalent Mercalm heißt. Das haben die Skipper der Vendée Globe offenbar auch an Bord. Es enthält die gleiche Menge Dimenhydrinat wie Rodavan, aber zusätzlich noch zehn Milligramm Koffein, da Dimenhydrinat offenbar etwas müde macht. Am nächsten Morgen gehen wir zur Apotheke und kaufen eine Packung Mercalm. Wir sind gespannt. Auf dem Rückweg kaufen wir eine große Stange Baguette, die ich mir demonstrativ unter den Arm klemme. »Jetzt fallen wir hier als Touristen weniger auf«, lache ich.
Eine ganze Woche liegen wir aufgrund von Starkwind in Camaret-sur-Mer fest. Schön ist das nicht, denn hier ist schon Nebensaison: Alle Geschäfte dicht, und die Duschen kalt. Umso begeisterter sind wir, als sich endlich die Möglichkeit zur Weiterreise ergibt. Das Meer soll sehr ruhig sein, 1,20 Meter Welle. Leider aber nur sehr leichter Südwind. »Aber das sollte reichen, um hoch am Wind über das Kontinentalschelf zu kommen, bevor Wind und Wellen wieder zunehmen«, erkläre ich Cati. Denn dort steigt der Meeresgrund von 4.500 Meter Tiefe auf 100 Meter Tiefe. Die Wellen, die zigtausend Seemeilen weit Anlauf hatten, um sich im Atlantik aufzubauen, stolpern dort häufig und brechen. Deshalb sollte man in diesem tückischen Revier nur dann unterwegs sein, wenn das Wetter stabil ist und die Wellen moderat sind. Am zweiten Tag soll der Wind laut Wetterbericht dann zurückkommen, mit 4 bis 5 Beaufort. Und für den dritten Tag ist dann für die letzten 100 Seemeilen vor der spanischen Küste wenig Wind angesagt, während es im Norden der Biskaya weiterhin ordentlich weht. »Besser einen großen Teil bei Flaute über die Biskaya motoren, als im Sturm da drüberzubügeln«, erwidert Cati.
MORGEN FRÜH
SITZEN WIR BEI
CAFÉ CON LECHE …
Von Johannes
Als wir die Leinen loswerfen, ist es draußen noch stockdunkel. Das Wetter hat sich wie angekündigt beruhigt. Dafür sollen die 4 bis 5 Beaufort nun schon am Abend kommen, nicht erst morgen. Doch wir wollen es trotzdem wagen. Besser wird das Wetter in nächster Zeit eh nicht. Es ist immerhin schon Ende Oktober. Eine Jahreszeit, in der eine zehn Meter lange Yacht in diesem Seegebiet eigentlich nichts mehr zu suchen hat. »Jetzt erst mal zum Eingewöhnen hoch am Wind bei schwacher Brise«, erkläre ich Cati, »und dann wird es heute Abend ein bisschen schaukelig, wenn wir gegenan bolzen.«
Beim ersten Kaffee hole ich die Kamera heraus und nehme ein kurzes Statement auf. Cati gähnt in die Linse, sieht aber ziemlich angespannt aus. »Im Grunde mache ich mir ein bisschen Sorgen wegen der Biskaya«, sagt sie. Und ergänzt: »Ich find’s immer so doof, wenn nachts so viel Wind kommt. Aber ich freu mich auf Spanien. Heute Nacht hatten wir schon wieder eine Tropfsteinhöhle de luxe hier in der Kajüte.« Wir können es wirklich kaum abwarten, dass es endlich wärmer wird. Also legen wir bedrückt und voller Sorgen vor dem, was da kommen wird, ab. Doch wir sind zuversichtlich, dass das Ziel die Mühen wert sein wird.
Der Diesel schiebt uns munter gen Südwesten, genau auf La Coruña zu. Der Wind ist deutlich schwächer als erwartet. Aber das ist uns egal. Wir haben genug Diesel dabei, um notfalls bis La Coruña durchzumotoren. Kaum haben wir die Küste verlassen, begleitet uns eine Schule Delfine hinaus aufs offene Meer. Cati ist völlig aus dem Häuschen. »Guck mal, wie viele das sind!«, schreit sie und klettert mit Schwimmweste und angeleint aufs Vorschiff. Bisher hat sie sich noch nie auf See aufs Vorschiff getraut. Und nun sitzt sie auf dem Bug und schaut den Tieren dabei zu, wie sie mit der Bugwelle spielen und sich immer wieder auf die Seite drehen. »Die schauen mich an. Hast du gesehen, dass die mich immer anschauen?«, staunt sie. Ab und zu vollführt einer sogar einen hohen Sprung aus dem Wasser. Cati applaudiert und hat Tränen in den Augen. Sie jubelt: »Das ist der allerschönste Tag meines Lebens …«
Lange schwimmen die Tiere mit uns mit. Doch als die Sonne untergeht, machen sie sich wieder davon. Wir tuckern immer noch unter Diesel in die Nacht hinein, haben schon über 60 Seemeilen im Kielwasser. Sogar der Autopilot steuert ganz brauchbar, genau aufs Ziel zu. Doch dann frischt der Wind ganz plötzlich auf. Nicht so, wie angekündigt, sondern südlicher. Genau auf die Nase.
An Kreuzen denke ich nicht. Denn wenn der Wind auf 4 bis 5 Beaufort aufbrist, wird sich schnell eine hohe Welle aufbauen, die auf dem Kontinentalschelf verhängnisvoll werden kann. Also lasse ich den Diesel weiterlaufen und das Groß im zweiten Reff und dicht geschotet stehen, um das Schiff gegen das Rollen zu stabilisieren und noch einen halben Knoten mehr rauszuholen.
Nach 24 Stunden erreichen wir schließlich wie geplant das Kontinentalschelf. Keine Minute zu früh, denn der Wind legt schlagartig zu, und die Wellen beginnen, stetig zu wachsen. Natürlich setzt auch noch die Tide gegen die Wellen. Gewaltige Brecher, die das Schiff durch die Gegend werfen.
Zehn Meter Schiffslänge sind wirklich nicht viel. Cati, die den ersten Tag der Reise seekrankheitstechnisch hervorragend hinter sich gebracht hat, wird es mulmig. Sie bekommt daher sicherheitshalber Bettruhe verordnet. Selbst mir wird angesichts der Wellenberge schlecht. Es ist ein Kampf, das Schiff trotzdem auf Kurs zu halten. Der Wind kommt schräg von vorn, wir segeln hoch am Wind, und immer wieder fühlt es sich an, als würde jemand mit einem C-Rohr auf dem Vorschiff stehen und mich bei jeder Kursänderung ins Visier nehmen. Nass, salzig, kalt. Zum Glück steuert die Windsteueranlage hervorragend, aber trotzdem muss ich immer wieder raus, um die Segelfläche zu verkleinern, zu vergrößern und den Kurs zu justieren. Der Wind raumt und schralt in den Böen. Zwischendurch verkrieche ich mich in meiner Koje, immer das AIS im Blick und jede Viertelstunde ein Rundumblick draußen. Cati ist zu schlapp, um mir eine Wache abzunehmen, und ich habe Angst, sie rauszulassen. Mittlerweile fegen 7 Beaufort über uns hinweg. Zwei Stunden lang drehen wir sogar bei, um Kräfte zu sammeln und ein bisschen Ruhe ins Schiff zu bringen. Dann geht es weiter, in die zweite Nacht hinein.
Erst am Mittwochmittag beginnt der Wind abzuflauen, und wir nähern uns der spanischen Küste. Die Sonne kommt heraus, und ich kann sogar das zweite Reff herausnehmen, wieder die volle Genua setzen. Mit 7 Knoten jagen wir dem Ziel entgegen. Cati sitzt an Deck in der Sonne und ich kann zwei Stunden in die Koje gehen.
Eine Nacht noch, dann liegt Spanien endlich vor unserem Bug. Die vergangenen fünfeinhalb Wochen seit dem Start in Deutschland waren wir permanent auf der Flucht vor dem Herbst und haben immerhin 1.100 Seemeilen zurückgelegt. Nun endlich sollen wir den ewigen Sommer erreichen. Tagestörns, Buchtenbummeln und kein Meilenreißen mehr. Und wir sind wieder im Zeitplan, um rechtzeitig zur Passatsaison über den Atlantik zu kommen.
Doch in der dritten und letzten Nacht auf See ist der Wind plötzlich weg, 30 Seemeilen vor La Coruña. »Kein Problem«, denke ich. »Wir haben ja vollgetankt.« Die Maschine startet sofort und ohne Probleme, ich kuppele den Gang ein, und schon laufen wir bei 5,5 Knoten Marschfahrt dem Ziel entgegen. »ETA 8 Uhr«, verkünde ich. »Morgen früh sitzen wir in La Coruña an der Promenade und trinken Café con leche.« Keine Minute später kommt Qualm aus dem Maschinenraum. Bevor ich den Motor stoppe, versuche ich noch schnell in den Nebelschwaden den Fehler zu finden. Ich kann es kaum fassen: Der Kühlwasserschlauch für das Seewasser liegt neben dem Stutzen am Getriebe. Also sind wir ohne Kühlwasser gefahren. Er muss kurz nach dem Start abgerutscht sein, denn zu Beginn kam das Kühlwasser noch wie gewöhnlich aus dem Auspuff gesprotzt. Ich montiere den Schlauch wieder, zweiter Versuch. Doch wieder Nebelschwaden. Dann erst wird mir das ganze Ausmaß des Unglücks bewusst: Die heißen Abgase haben den oberen Teil des Wassersammlers geschmolzen, sodass Kühlwasser und Abgase vom Motor ins Schiffsinnere gepumpt werden. Wir können die Maschine nicht mehr benutzen, ohne das Boot zu füllen und zu vernebeln.
Bis zum Ziel sind es nur noch 30 Seemeilen. Eine Tagesetappe für einen Ostseesegler. Aber zugleich eine Distanz, die bei fast null Wind Tage dauern würde. Ich setze wieder Segel und beginne, im Dunkeln zu kreuzen. Bis 4 Uhr morgens schaffe ich es, zwei Seemeilen zurückzulegen, dann überwältigt mich die Müdigkeit. Cati übernimmt das Steuer, kreuzt weiter. Doch sie hat mehr Pech. Die Tide schiebt uns zurück hinaus auf die Biskaya. Als ich eine Stunde später wieder wach werde, sind wir die Hälfte der mühselig erkämpften Distanz wieder zurückgetrieben. Das Schiff rollt in den immer noch hohen Wellen von einer Seite auf die andere, es scheppert und knarzt. Die Segel wollen gar nicht mehr stehen.
Zum Glück haben wir schon wieder Handyempfang, also schnell einen Wetterbericht abrufen. Sehr ernüchternd.