Zu zweit auf See. Johannes Erdmann
ist weich geworden und dann vom Anschlussstutzen gerutscht. Das Abgas wurde nicht mehr gekühlt, und der Wassersammler ist geschmolzen. Völlig logisch. Ein Testlauf von über einer Stunde lässt die Motortemperatur bis auf 70 °C steigen. Kein Grad wärmer. Es funktioniert. Wir verabschieden uns bei unseren Seenotrettern mit drei Dosen Bier und einer Flasche Osteland-Aquavit aus unserem Heimatdorf und schauen in freudige Gesichter. Dann geht es los. Mit offener Motorluke und zehnminütlichen Temperaturkontrollen tuckern wir durch die bleierne Flaute hinaus aus der Bucht, vorbei an der pittoresken Felsküste. 4,5 Knoten Fahrt, mehr möchte ich dem Provisorium nicht zumuten. Doch die Abgasanlage aus Regenrohren hält stand, und nach vier Stunden Fahrt erreichen wir die Marina in Viveiro. Das Kamerateam hat uns auf halber Strecke aus den Bergen heraus entdeckt und mit dem Teleobjektiv gefilmt. Dabei entstehen fantastische Aufnahmen.
Die windige Biskaya ist längst vergessen, doch erst mit der Ankunft fällt die Last der vergangenen Tage wirklich ab. Es ist gut, an einem sicheren Steg zu liegen. Nur die Belastung der Kreditkarte liegt noch schwer im Magen. Wieder solch eine große Summe. Doch beim Archivieren der Hafenquittung fällt mir die Pantaenius-Police in die Hand, und ich kippe fast aus den Latschen: Ich habe mich geirrt. Der Versicherungsschutz schließt die gesamte europäische Küste ein, mit Ausnahme des Seegebiets nördlich von Bergen. Ist das tatsächlich wahr? Zwei Stunden nach meiner Mail an die Versicherung kommt bereits eine Antwort: »In Deutschland ist ›Hanseboot‹, deshalb finde ich die Mail erst jetzt. Das Abschleppen zahlen wir. War genau richtig, was ihr gemacht habt. Können wir sonst noch was tun?« Eine kurze Mail, die so viel ausmacht: Unsere Reise kann weitergehen!
VIVEIRO – GALICIEN
FÜR LIEBHABER
Von Johannes
La Coruña ist bekannt. Aber nach Viveiro verirrt sich hingegen kaum ein Mensch. Schade eigentlich, denn der kleine Fischerort ist toll, um nach einer anstrengenden Biskaya-Überquerung Kräfte zu sammeln. Die Liegegebühren sind günstig, die Altstadt ist wunderschön, das Internet schnell und die Bäder hervorragend. Es gefällt uns hier. Und das ist auch gut so, denn es wird fast vier Wochen dauern, bis wir weiterkönnen.
Die ersten Tage verbringen wir damit, das Schiff aufzuklaren. Wieder sind mehrere Lecks an Deck aufgetaucht, die eine Menge Wasser ins Innere gelassen haben. Polster, Bezüge, Decken, Bettzeug – alles nass. Da es in der Marina keine Waschmaschine gibt, kramen wir die von Burghard Pieske geliehene Kurbelwaschmaschine aus der Hundekoje und waschen wie zu Großmutters Zeiten.
Schnell lernen wir unsere deutschen Stegnachbarn Ulrike und Norbert kennen. Die beiden wohnen einen Großteil des Jahres auf ihrem Stahlschiff PALOMA und sind eher gemächlich unterwegs. Vor vier oder fünf Jahren sind sie in Deutschland gestartet, dachten sich aber, dass sie erst mal die Ostsee richtig kennenlernen müssen, bevor sie woanders hinsegeln. Eigentlich wollen sie nach Griechenland, machen sich aber Sorgen, ob sie das noch schaffen: »Wir haben nur noch acht Jahre Zeit.« Die beiden sind zu beneiden.
Die beiden laden uns ein, mit ihnen am Abend durch die Innenstadt zu laufen, ein paar Bier zu trinken und was zu essen. Bisher waren wir selten auswärts essen, um Geld zu sparen. Aber das kann man sich in Spanien – und vor allem nach Überquerung der Biskaya – ruhig einmal gönnen. Also landen wir am Marktplatz in einer typisch galicischen Kneipe. Das Standardgericht dort sind … Burger! Wir bestellen jeder einen und Cati und ich auch je eine Portion Pommes. Die Kellnerin fragt: »Seid ihr sicher? Wollt ihr nicht lieber nur eine?« Wir nehmen daher nur eine und sind froh darüber. Denn die Schüsseln sind riesig. Davon hätten wir auch zu dritt essen können. Und das Schöne: Für zwei Burger, Pommes satt und ein paar Bier reicht ein Zehneuroschein, Trinkgeld inklusive. So gefällt uns Spanien, fernab der Touristenecken.
In Deutschland sind unsere Nachbarn und Freunde Bert und Marlene inzwischen dabei, die nötigen Ersatzteile für unser Boot zu organisieren und nach Viveiro zu schicken. So genießen wir die Zwangspause. Cati liest viel, und ich beginne einen Artikel für die Yacht mit dem Titel »Wann wirds denn endlich schön?«. Ein Bericht über die Aufs und Abs der ersten 1.000 Seemeilen bis Spanien. Denn es ist ja auch wirklich viel schiefgelaufen. Vor allem das Wetter hat uns oft ausgebremst. Immer wieder habe ich Cati versprochen: »Wenn wir da und da ankommen, dann ist es schön.« Und nach der ersten Woche bei 27 °C und Sonne haben wir nun wieder was? Genau, Regen. Viel Regen. Es wird gar nicht mehr richtig trocken unter Deck, da der Heizlüfter die Luft ja nicht trocknet, sondern nur erwärmt. Das Vorschiff ist eine Tropfsteinhöhle, und es schimmelt an allen Ecken. Aber zumindest können wir draußen im Pullover herumlaufen, der Wind ist halbwegs warm.
Eines Abends, als ich vom Toilettencontainer zurück zum Schiff laufe, steht ein junger Mann etwa in meinem Alter am Tor zum Steg. Er kennt den Code nicht und kann deshalb auch nicht zu den Booten. Als ich den Code eingebe, spricht er mich an: »Bist du Johannes?« »Jaaaaa …« Ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll, fühle mich ertappt. »Ich bin Harald«, erwidert er. Er hat dunkle Haare und recht braune Haut, sieht aus wie ein Spanier. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob er ein Spanier ist, der saugut Deutsch kann, oder ein Deutscher, der irgendwie hier in Spanien gelandet ist und aussieht wie ein Südländer. »Freut mich«, antworte ich.
Harald erzählt mir, dass er unseren Blog schon seit langer Zeit verfolgt und sich sehr freut, uns hier in Spanien zu treffen. Er macht gerade seinen Segelschein und würde uns gerne zum Essen einladen. Also verabreden wir uns für den nächsten Tag in der Burgerkneipe, in der wir schon waren.
Tags darauf lernen wir Harald im Hellen kennen. Ein unheimlich beeindruckender Mann, der uns seine Geschichte erzählt: Er arbeitet hier in Spanien in einer kleinen Firma, etwa 50 Kilometer entfernt. Seine Frau kommt aus Peru, deshalb spricht er auch so gut Spanisch. Die beiden haben hier eine Weile in einer Wohnung gelebt, aber Harald fühlte sich irgendwie eingeengt in seinem komfortablen Leben. Er hatte große Lust auf Minimalismus. Nur ein kleines Boot oder ein Haus auf dem Land und dann gar kein Geld mehr ausgeben. Alles selbst anbauen. Harald wollte herausfinden, was er sich wirklich in seinem Leben wünscht und was ihn glücklich macht. Also ließ ihm seine Frau etwas Spielraum dafür und flog – mit dem zweiten Kind schwanger – nach Peru, um ihre Eltern zu besuchen. Und Harald konzentrierte sich darauf, herauszufinden, mit wie wenig er auskommen würde. »Ich brauche keine 10 € pro Woche«, erklärte er uns stolz. Die Wohnung hat er gekündigt und wohnt nun schon eine Weile in seinem alten Passat. »Da kann man gut drin schlafen«, erklärt er. Der Anlasser ist kaputt, deshalb muss er das Auto immer an einem Hang abstellen. »Duschen kann ich auf der Arbeit. Deshalb muss ich immer der Erste dort sein, damit keiner mitbekommt, dass ich im Auto wohne.« Ihm ist bewusst, dass seine Art des Lebens manche Leute erstaunt. »Aber das ist ja auch nur ein Experiment. Ich bin doch nicht bescheuert«, erklärt er und lacht. Es ist gerade einfach spannend für ihn, seine eigenen Grenzen auszuloten. Das Geld, das er verdient, schickt er fast vollständig seiner Frau. Oder steckt es in den Segelschein. Oder in unser Abendessen. »Du kannst uns nicht einladen, das macht deinen Wochenschnitt kaputt«, versuche ich abzuwehren, aber Harald lacht wieder. »Ich habe doch genug Geld, und für euch geb ich’s gern aus.«
»Irgendwann würde ich mir gern ein ganz kleines Boot mit Kajüte kaufen und darauf leben«, erklärt er später. Ich gebe ihm Tipps. »In England bekommt man gut eine Leisure 17. Die kannst du mit einem normalen Autoanhänger holen, weil sie auf ihren Kielen selbst steht.« Monate später bekommen wir dann tatsächlich eine Mail von Harald, in der er uns schreibt, dass er sich eine Leisure 17 gekauft und per Eurotunnel nach Deutschland gebracht habe. Dort renoviere er das Schiff nun in der Garage bei seinen Eltern. Und noch eine Überraschung hat er für uns: »Ich bin von Spanien aus nach Peru geflogen. Unser zweites Kind ist am 05. April 2015 gesund in Lima zur Welt gekommen, das war ein wundervoller Moment. Es heißt übrigens genau wie du, Johannes. Ich wurde durch dich bei der Namenssuche inspiriert, und meiner Frau gefiel der Name auch sehr gut.« Was für eine Ehre.
LA CORUÑA SUCKS
Von Johannes
Weil in Viveiro kein Mietwagen aufzutreiben ist, ergoogle ich die nächste Basis, bei der ich ein gutes Schnäppchen mache: 77 € für drei Tage. Der einzige Nachteil: