Zu zweit auf See. Johannes Erdmann

Zu zweit auf See - Johannes Erdmann


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langen Katamaran der Marke Edel gekauft. Seit einigen Monaten lebt die Familie nun an Bord und ist über Frankreich nach Spanien gesegelt. Das Ziel? »Irgendwohin, wo es warm ist.«

      »Wir sind wirklich die letzten Deppen, die dieses Jahr noch den Weg ins Warme wagen«, fasst Thomas unser Schicksal zusammen. Darauf trinken wir einen Wein. Und dann noch einen. Die Stimmung ist hervorragend. Wir lachen, plaudern übers Leben und Boote, prosten uns zu und trinken, bis gegen 4 Uhr morgens die allerletzte Flasche leer ist – auch der Nachschub, den wir immer wieder von den Schiffen geholt haben. Sturzbetrunken klettern wir alle zurück an Bord und fallen in einen tiefen Schlaf.

      Der nächste Tag beginnt nicht vor dem Mittag. Dort, wo sich einst meine Augen befunden haben, sitzen tiefrot glühende Kohlen in tiefen Höhlen. Zum Glück regnet es. Sonst wäre es noch heller. Cati liegt neben mir mit offenem Mund in der Koje und schläft noch tief und fest. Irgendwie schäle ich mich an ihr vorbei in den schmalen Gang, der in den Salon führt, und stolpere zum Herd. Wasser, Kessel, Filter, Kaffee. Irgendwie bekomme ich noch alles zusammen, setze Wasser auf und lege mich dann noch mal auf die Salonkoje. Dabei stolpere ich über meine Hose, die auf halbem Weg auf dem Boden liegt. Die Gürtelschnalle knallt gegen das Schott, und kurz danach höre ich Cati. Sie wird langsam wach und schaut mich an. »Was machst du denn da im Salon?«, fragt sie. »Überleben«, antworte ich. »Du siehst so aus, wie ich mich fühle«, antwortet sie. »Boah, was haben wir bloß gestern alles getrunken?« »Alles«, antworte ich. »Ich glaube wirklich, alles.«

      Den Tag verbringen wir alle an Bord unserer Schiffe. Als ich gegen 16 Uhr vorsichtig zum Duschen ins Marinagebäude schleiche, treffe ich dort Thomas, der im Internet surft. »Geht’s euch auch so schlecht?«, frage ich. »Das kannste glauben«, sagt er. »Jola ist erst gerade eben aufgestanden.« Ohne viele Worte sitzen wir nebeneinander und checken unsere Mails, verabschieden uns nach einer halben Stunde und gehen zurück zu unseren Booten.

      An unserem dritten gemeinsamen Tag in Muros sind wir alle wieder nüchtern und unternehmungslustiger. Die Mädchen spielen den ganzen Vormittag zusammen auf dem Kat, und gegen Nachmittag machen wir uns alle auf zu einem langen Spaziergang durch Muros. Laurent war schon öfter in Galicien und kann uns viel über die spezielle Bauweise der Häuser und Siedlungen erzählen. Der kleine Fischerort Muros hat viele pittoreske Ecken, leer stehende Häuser und Kirchen. Die Spanier haben keine Skrupel, auch mal ein paar Stromkabel an schöne Häuserfronten zu nageln. Gut ein Drittel der Häuser steht leer und zum Verkauf. Teilweise sicher schon 20 Jahre lang. Dabei sind die Häuser günstig, für 25.000 € kann man schon eine brauchbare Basis bekommen.

      Beeindruckend finden wir die kleinen, drei mal eineinhalb Meter großen Kornspeicher, die in fast jedem Garten, aber nur hier in Galicien zu finden sind. Sie sind aus langen, schmalen Steinen gebaut und verfügen über eine Menge Luftlöcher, damit das Korn luftig gelagert und getrocknet werden kann. Zudem stehen sie auf einem Meter hohen Stelzen über dem Boden, und zwischen Stelzen und Kornspeicher sind kreisrunde Steine eingeschoben, die Ratten und Mäuse daran hindern sollen, an den Stelzen hochzulaufen und in den Speicher zu gelangen.

      Den ganzen Nachmittag laufen wir durch enge Gassen und über weite Felder, entdecken das ursprüngliche Galicien, schießen Fotos. Auf dem Rückweg besorgen wir jeder noch zwei Flaschen Rotwein, denn für den Abend sind wir auf die KALAO zum Pulpoessen eingeladen. Pulpo, also Tintenfisch, gibt es hier an jeder Ecke zu kaufen. Ob das schmecken wird? Wir sind gespannt. »Ich glaub, der Wein schmeckt aber in jedem Fall schon wieder«, meint Thomas.

      Nach wochenlangem Gegenwind sind die Bedingungen am nächsten Morgen endlich einmal perfekt: Nordwind der Stärke drei, 18 °C, Sonne. Wir organisieren flugs eine Regatta. Als kleinstes Schiff haben wir zwar schlechte Karten, vor allem gegen den Katamaran, aber unser neuer Selden-Mast ist über einen Meter länger, als von der Werft gedacht, was uns gut 38 Prozent mehr Fläche im Groß beschert. Und dann ist da ja noch der neue Gennaker, den wir noch gar nicht ausprobiert haben.

      Die Maschine bleibt die ganze Fahrt aus, und wir segeln MAVERICK TOO wie eine Jolle, trimmen den Gennaker aus der Hand, kreuzen durch die Illas Cíes hindurch und hängen dabei zumindest die LILLY-MARIE ab. Der Kat bleibt aber unerreichbar. Nach 49,5 Seemeilen legen wir bei Nacht in Baiona an, alle drei Schiffe hintereinander, in der Reihenfolge des Einlaufens: Kat, Contest, Rassy. Wir sind die »Flottille der Zu-spät-Losgefahrenen«. Laurent hat auf dem Weg hierher einen kleinen Thunfisch gefangen und serviert ihn als Sashimi, also roh. So frisch habe ich einen Thunfisch noch nie gegessen. Cati ist nicht wirklich begeistert von dem rohen Fisch, aber mir schmeckt er hervorragend.

      Für den nächsten Tag haben wir eine Revanche geplant, doch eine bleierne Flaute verleidet uns eine Fortsetzung. Wir motoren. Die KALAO ist schnell am Horizont verschwunden, aber wir anderen bleiben lange beieinander und schießen Fotos. Zum ersten Mal bemerken wir die gewaltige Dünung, die aus dem Atlantik anläuft. Immer wieder werden wir ganz sanft von der Seite angehoben und in das Wellental abgesenkt. Auf den Fotos ist dann später auf einem Bild das ganze Schiff auf dem Wellenberg zu sehen, auf dem nächsten nur die Mastspitze. Die Sonne steht bereits tief, als wir die spanische Flagge gegen die portugiesische austauschen. Endlich sind wir in Portugal, dem Land Europas, in dem es mir bisher immer am besten gefallen hat.

      Die 34 Seemeilen bis Viana do Castelo ziehen sich in der Flaute, und wieder laufen wir bei Nacht ein. Diesmal ist Thomas eher da, denn die LILLY-MARIE hat einen starken Mercedes-Diesel. Als wir am nächsten Morgen einchecken, wollen wir dem Hafenmeister kaum glauben: »Das macht 9 € pro Nacht.« So billig haben wir auf der ganzen Reise noch nicht gelegen. Also entscheiden wir uns, ein paar Tage zu bleiben. Denn Viana hat eine Menge zu bieten, außerdem steht mein 29. Geburtstag an.

      Ich nutze die Hafentage, um das Schiff ein bisschen weiter zu komplettieren. In England habe ich das Radargerät angeschlossen, in Viveiro die Ankerwinde und jetzt ist die indirekte LED-Beleuchtung im ganzen Schiff dran. Die Beleuchtung im Fußraum hatte ich schon vor der Abfahrt angeschlossen, und sie brennt eigentlich ständig. Im Hafen erzeugt sie eine warme Atmosphäre an Bord, da sie das Mahagoniholz im Fußraum schön ausleuchtet und dunkle Ecken verhindert. Auf See ist sie extrem abgedimmt, und wir wissen bei Nacht immer genau, wo wir hintreten müssen, um nicht zu stolpern. Und nun sind auch die Wände der Pantry, die Naviecke und die Bücherregale optimal angeleuchtet und strahlen viel Wärme und Gemütlichkeit aus.

      Am Abend vor meinem Geburtstag entführen uns Marie und Antoine vom französischen Kutter NOORDVAARDER in die Innenstadt. Laurent hat mit Antoines Sohn zusammen Schiffbau studiert, und nun sind sich die beiden hier wieder über den Weg gelaufen. Das Paar wohnt schon einige Jahre auf seinem Schiff in Viana und kennen deshalb alle möglichen Insidertipps. Wohin genau es geht, verraten sie nicht. Aber sie versprechen: »So was habt ihr noch nicht erlebt.« Wir laufen eine halbe Stunde lang durch den Ort und landen vor der »Casa Primavera«. Im Eingang sitzt ein Papagei, der zwar nicht sprechen, aber allerlei Alarmanlagen und Klingeltöne nachmachen kann. Der Laden wirkt eher wie eine Fischerspelunke, doch als wir am Tresen vorbeilaufen, öffnet sich ein großer Saal mit vielen Tischen und Stühlen. »Es ist ein gutes Zeichen, wenn keine Touristen anzutreffen sind«, meint Laurent. Ehe ich mich versehe, haben unsere Freunde allerlei Vorspeisen aus dem Meer bestellt. Muscheln, Fischeier, Krabben und wieder einmal Tintenfisch. »Meinst du, das können wir uns leisten?«, fragt Cati angesichts unseres knappen Budgets. Als Hauptgericht nimmt sie den gemischten Fischteller, ich einen Espada, einen Degenfisch, den ich noch aus Madeira kenne. Thomas isst eine Dorade. Das Essen ist hervorragend, und die Portionen sind riesig. Dazu serviert man uns einen Zweiliterkrug mit einer regionalen Spezialität. »Ein Gemisch aus Weißwein, Zucker und Bier«, erklärt Antoine, genannt »Champerrion« oder »Traçadinho«. »Flüssige Kopfschmerzen«. Aber sehr lecker.

      Als es 22:30 Uhr wird, entscheiden unsere Freunde, dass ich irgendwo in der Welt sicher schon Geburtstag habe. Also lassen sie einen Kuchen mit vielen Wunderkerzen servieren und singen »Happy Birthday« auf Englisch, dann auf Französisch. Und ehe wir uns versehen, stimmen die Gäste am Nachbartisch auf Portugiesisch mit ein, und das ganze Restaurant singt. Ich bin gerührt. Was für ein schöner Geburtstag! Unsere Freunde überraschen mich dann auch noch mit einem Geschenk. Zwei Kartons mit Weingläsern und eine Karaffe, da sie mitbekommen haben, dass wir keine Weingläser besitzen. Die Mädchen haben mir außerdem ein weißes T-Shirt bemalt, mit Bildern von


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