Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski. Henryk Sienkiewicz
Gesichtszüge der hier in der Dunkelheit Versammelten, spiegelte sich in der prächtigen Rüstung des Herrn de Lorche und warf ihren hellen Schein auf das weiße Gewand und auf den Immortellenkranz Danusias.
Draußen begannen jetzt die Hunde wieder zu bellen, gegen die Seite des Waldes zu schlugen sie an, wie wenn sie Wölfe witterten.
Und je weiter die Nacht vorrückte, je häufiger stockte das Gespräch, bis schließlich die Fürstin sagte: »Lieber Jesu! wenn solche Stimmung nach einer Trauung herrscht, wäre es besser, schlafen zu gehen; da wir aber doch nun einmal bis zum frühen Morgen wachen müssen, so spiele uns vor Deiner Abreise noch etwas auf der Laute, liebes Kind – mir und Zbyszko spiele noch etwas.«
Von Ermattung und Schlaftrunkenheit beinahe überwältigt, war Danusia nur zu gern bereit, sich durch Gesang und Spiel wieder etwas zu beleben, daher entfernte sie sich, um die Laute zu holen, und nach einer Weile damit zurückgekehrt, setzte sie sich an Zbyszkos Lager nieder. »Was soll ich spielen?« fragte sie.
»Was sonst,« antwortete die Fürstin, »als jenes Lied, das Du in Tyniec sangst, als Du Zbyszko zum erstenmal sahst!«
»Hei! Wie gut erinnere ich mich des Liedes – solange ich lebe, werde ich es niemals vergessen,« sagte Zbyszko. »Und so oft ich es irgendwo hörte, sind mir die Thränen in die Augen gekommen.«
»So will ich dies Lied singen!« erklärte Danusia.
Sogleich begann sie zu präludieren und wie gewöhnlich das Köpfchen ein wenig zurückwerfend, hub sie an:
»Wie wär’ ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög’ in die Ferne
Zu Jasko mein.
In Schlesien flög ich nieder
Auf grünen Rain,
Die Waise sieh wieder,
Jasienko mein!« …
Aber plötzlich brach sie ab, ihre Lippen zitterten und unter den geschlossenen Lidern hervor drangen die Thränen unaufhaltsam. Einen Augenblick noch bemühte sie sich, dieselben zurückzuhalten, doch vergeblich, und schließlich weinte sie so schmerzlich, wie damals, als sie Zbyszko im Gefängnis zu Krakau das Lied vorgesungen hatte.
»Danuska! Was fehlt Dir?« fragte Zbyszko.
»Weshalb weinst Du? Welch eine Hochzeit ist dies!« rief die Fürstin aus. »Weshalb weinst Du? Sprich!«
»Ich weiß es nicht,« sagte Danuska schluchzend. »Mir ist so traurig zu Mute! … So weh ums Herz! … Ich soll Zbyszko und Euch, gnädige Herrin …«
Nun bemühten sich alle, sie zu trösten, ihr auseinanderzusetzen, daß ihre Abwesenheit nicht lange dauern werde und daß sie zu den Festtagen gewiß mit ihrem Vater nach Ciechanow kommen könne. Zbyszko schlang den Arm um sie, preßte sie an seine Brust und küßte ihr die Thränen von den Wangen – gleichwohl vermochten sie alle den Druck nicht abzuschütteln, der auf ihnen lastete, und so ging die Nacht dahin.
Da ließ sich plötzlich von dem Vorhofe her ein lautes durchdringendes Geräusch vernehmen, so daß alle zusammenfuhren. Von ihrer Bank aufspringend rief die Fürstin: »Guter Gott! Es sind die Pferde! Sie werden schon zur Tränke geführt.«
Pater Wyszoniek blickte zum Fenster hinaus, durch dessen kleine runde Glasscheiben ein graues Dämmerlicht hereinfiel, und sagte: »Die Nacht ist vergangen und der Tag bricht an. Ave Maria, gratia plena.«
Dann verließ er die Stube, und als er nach wenigen Augenblicken zurückkehrte, bemerkte er: »Es tagt, doch wird es ein trüber Tag werden; Jurands Leute führen ihre Pferde zur Tränke. Und für Dich ist es an der Zeit, aufzubrechen, Du Arme!«
Als sie dies hörten, schluchzten die Fürstin sowie Danusia laut auf. Sie und Zbyszko drückten nun unverhohlen ihre Empfindungen aus, so wie zuweilen Leute aus dem Volke ihre Empfindungen ausdrücken, wenn ihnen eine Trennung bevorsteht.
»Ach, was helfen uns noch Harm und Klagen,
Mein Lieb, ade! wir müssen es tragen!
Und ob es auch schmerzt die Seele mein,
Du trautes Herz, geschieden muß sein!
Geschieden muß sein.«
In diesen schmerzlichen Worten lag etwas Feierliches, sie lauteten halb wie ein Wehruf, halb wie ein Klagegesang, der, aus dem tiefsten Innern emporströmend, den Thränen gleicht, die aus den Augen rinnen.
Zbyszko preßte Danusia zum letztenmal an seine Brust und hielt sie lange umfangen, so lange, bis er sich nicht mehr aufrecht zu halten vermochte und die Fürstin sie von ihm wegzog, damit sie sich zur Reise ankleide.
Mittlerweile war es vollständig Tag geworden. Auf dem ganzen Jagdhofe ward es lebendig, Knechte und Mägde gingen ihren Geschäften nach. Da trat der böhmische Knappe in das Zimmer Zbyszkos, um nach dessen Befinden zu fragen und etwaige Befehle entgegen zu nehmen.
»Ziehe mein Lager zum Fenster heran,« gebot der Ritter.
Der Böhme that dies mit Leichtigkeit. Er staunte zwar höchlich, als Zbyszko befahl, das Fenster zu öffnen, gehorchte aber auch diesem Befehle und deckte seinen Herrn mit einem Schafpelz zu.
Zbyszko blickte hinaus. Im Vorhofe stand ein Schlitten, um den sich Bewaffnete, Jurands Leute, auf ihren reifbedeckten, schnaubenden Pferden scharten. Die Bäume des Waldes schienen fast vollständig unter dem Schnee vergraben zu sein, von den Zäunen, Wegen und Zugängen war nichts mehr zu sehen.
Danusia, die schon ganz in Pelz gehüllt war und eine Schaube aus Fuchspelz trug, kam noch einmal in die Stube zu Zbyszko, fiel ihm um den Hals und sagte beim Abschiede: »Wenn ich Dich auch verlasse, bin ich doch die Deine!«
Und er küßte ihre Hände, ihre Wangen und ihre Augen, die unter dem Pelz kaum zu sehen waren, und sagte: »Gott schütze Dich! Gott geleite Dich! Mein bist Du nun, mein bis zum Tode!« Und da man sie wieder gewaltsam von ihm trennte, richtete er sich auf, so gut er konnte, lehnte sein Haupt an das Fenster und schaute hinaus. Da sah er durch den fallenden Schnee, gleichsam durch einen Schleier, wie Danusia sich in den Schlitten setzte, wie die Fürstin sie lange umarmt hielt, wie die Hofdamen sie küßten und wie Pater Wyszoniek das Zeichen des Kreuzes über sie machte. Vor der Abfahrt blickte sie noch einmal zu ihm empor und winkte mit der Hand.
»Gott sei mit Dir, Zbyszko!«
»Gott gebe, daß ich Dich in Ciechanow wiedersehe!«
Aber der Schnee fiel in dichten Flocken herab, es war, als ob er alles verhüllen, alles ersticken wolle, und die letzten Worte klangen so gedämpft, daß es beiden dünkte, als ob ihre Rufe schon aus weiter Ferne kämen.
»Wenn ich Dich auch verlasse, bin ich doch die Deine.«
Die Kreuzritter. Zweites Buch
Historischer Roman aus dem XV. Jahrhundert
Vierter Teil.
Erstes Kapitel.
Auf den starken Schneefall folgte nun strenge Kälte mit trockenen aber hellen Tagen. Da funkelte der Wald in den Strahlen der Sonne, über dem Fluß lag eine dicke Eisschichte und vom Morast war nichts mehr zu sehen. Es kamen helle Nächte, in denen sich die Kälte dermaßen steigerte, daß die Bäume im Walde laut krachten und barsten. Die Vögel näherten sich den Behausungen, die Straßen wurden gefährlich, denn die Wölfe scharten sich rudelweise zusammen und überfielen nicht nur einzelne Wanderer, sondern drangen sogar bis zu den Dörfern vor. In den raucherfüllten Hütten, am wärmenden Herde, glaubten indessen die Landleute nach dem strengen Winter ein fruchtbares