Unzucht. Jan Off

Unzucht - Jan Off


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den Bierfilz: zwei Nummern, eine ohne, eine mit Namen – Vera. Hieß sie so? Ich versuche mich zu erinnern, bin mir irgendwann immerhin sicher, dass ich die entsprechende Frage gestellt und auch eine Antwort erhalten habe, aber damit endet die Bild- und Tonspur bereits; die üblichen Aufzeichnungslücken einer durchsoffenen Nacht.

      Nach kurzem Überlegen entscheide ich mich für die Nummer ohne Zusatz. So selbstgefällig, wie sie auf mich gewirkt hat, ist die Braut wahrscheinlich davon ausgegangen, dass ich mir ihren Namen bis ans Ende aller Tage merken würde.

      Vier Sekunden später weiß ich, dass ich mir meine wohlfeilen Überlegungen hätte sparen können. Ich habe die Stimme der Fotografin im Ohr. Das freundliche Ja, hallo? klingt dermaßen munter und aufgekratzt, dass gar kein Zweifel möglich ist. Ich will schon auflegen, einfach so tun, als hätte ich mich verwählt (und letztendlich habe ich das ja auch), aber dann gewinnen Neugier und Spieltrieb die Oberhand. Die Frage, inwieweit es möglich ist, dieser nahezu unbekannten Frau einen Happen Innenleben, also ein paar Auskünfte in Richtung gefühlsecht zu entlocken, übt mit einem Mal einen unwiderstehlichen Reiz aus. Ein Versuch sollte drin sein. Aus der Affäre ziehen kann ich mich immer noch.

      »Ich habe darüber nachgedacht, was ich für dieses Foto verlangen soll«, beginne ich.

      »Welches Foto?« Sie sagt das zögerlich, lässt eine Spur Nervosität erkennen. Offenkundig besitzt sie nicht den Hauch einer Ahnung, wer ich bin.

      »Das, das du von mir im Velvet gemacht hast.«

      »Ach, du bist das.« Die Erleichterung ist ihr deutlich anzumerken. »Ich dachte schon, ich hätte irgend’nen Freak in der Leitung.«

      »Ist es fertig?«

      »Was?«

      »Das Bild.«

      »Nein, noch nicht.«

      »Umso besser.«

      »Hey, das meinst du nicht ernst, dass du was dafür haben willst, oder?! Normalerweise werde ich für meine Fotos bezahlt.«

      »Nein, war nur Spaß. Um ehrlich zu sein, ist mir das Foto scheißegal.«

      »Oh.« Sie klingt amüsiert. »Und warum rufst du dann an?«

      »Ich habe die Nummer verwechselt.«

      »Ach, nee.« Das Spöttische in ihrer Stimme hat zugenommen. Wahrscheinlich hält sie meinen letzten Satz für eine Lüge, einen albernen Vorwand, um die vermeintliche Gier zu verschleiern, mit der ich schon seit zwei Tagen darauf brenne, sie wiederzusehen.

      Zeit, ihr ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

      »Ich habe an dem Abend noch ’n anderes Mädchen kennengelernt.«

      »Und die wolltest du eigentlich anrufen, oder was?!« Treffer. Sie ist dabei, wütend zu werden.

      »Genau.«

      »Dann mach das doch.«

      »Keine Lust mehr.«

      Kurzes Schweigen, dann ist sie wieder da; ein bisschen versöhnlicher jetzt: »Versteh ich nicht.«

      »Ich auch nicht. Aber ich weiß, dass ich jetzt mit dir reden möchte.«

      »Und worüber?«

      »Über dich.«

      »Aha … Dann fang mal an.«

      »Bist du allein? In deiner Wohnung, mein ich.«

      »Ja.«

      »Hast du was zu trinken im Haus?«

      Sie lacht: »Ja. Ich hab mir grad ’ne Flasche Wein aufgemacht.«

      »Roten oder Weißen?«

      »Roten.«

      »Trinkst du lieber für dich oder in Gesellschaft?«

      »Okay, hör auf.« Sie lacht wieder. »Du kannst vorbeikommen, wenn du Lust hast.«

      Ich lasse mir ihre Adresse geben, trinke mein Bier aus und mache mich auf den Weg. Zwischendurch steuere ich einen Kiosk an und nehme zwei Flaschen Rotwein mit. Sicher ist sicher.

       III

      Sie sieht besser aus als auf dem verschwommenen Phantombild, das mein Gedächtnis im Club angefertigt hat. Deutlich besser. Braungebrannt, barfuß, komplett in Weiß gekleidet – als wäre sie in der Sommerfrische; als wäre der Ort, an dem wir uns befinden, keine der zahllosen Großstadtwaben, sondern ein Apartment mit Blick auf den Strand. Zusätzliche Nahrung erhält diese Sinnestäuschung durch die weingefüllten Gläser und das zur Gänze geöffnete Fenster.

      Wir sitzen uns an einem Tisch im Wohnzimmer gegenüber und tauschen unsere geschönten Biographien aus. Sie erzählt von der abwechslungsreichen und spannenden Arbeit in einem – wie ich bald heraushöre – ganz gewöhnlichen Fotostudio; ich steuere ein paar Anekdoten aus der Welt der Aushilfsliteraten bei. Sie trinkt nicht langsamer als ich, und so ist es unausweichlich, dass sie irgendwann das einzige Thema anschneidet, das bei Zusammenkünften dieser Art wirklich von Bedeutung ist: die gescheiterten Versuche, mit Angehörigen des anderen (oder eigenen) Geschlechts eine dauerhafte Bindung einzugehen. Ich bin ganz Ohr, bekomme aber nicht sonderlich viel Aufregendes zu hören: austauschbare Geschichten, die vom langsamen Auseinanderdriften, von mehr oder minder banalen Interessenkonflikten und enttäuschten Erwartungshaltungen handeln – guter deutscher Durchschnitt eben.

      Gelangweilt bin ich trotzdem nicht. Im Gegenteil: Je länger sie erzählt, desto mehr verstärkt sich das Gefühl, dass sie mir nur einen Teil ihrer Persönlichkeit präsentiert. Ihrer biederen Frisur, ihren biederen Geschichten, ihrer vergleichsweise biederen Wohnungseinrichtung zum Trotz blitzt da immer wieder etwas Abenteuerlustiges, etwas Lebenshungriges in ihren Augen auf. Sie gibt sich abgeklärt und tough, wirkt zwischendurch beinahe hochmütig. Aber dieses Image kaufe ich ihr nicht ab. Nicht zuletzt wegen dieses seltsamen Fotos, das die Tapete ihres Badezimmers schmückt. Es zeigt einen kahlköpfigen Jüngling, dessen Brust von zahlreichen Schnitten durchzogen ist. Nur mit einem geöffneten weißen Hemd bekleidet hält er in der Linken eine Rasierklinge, während er mit der Rechten seinen halbsteifen Schwanz umfasst. Keine Ahnung, ob sie das selbst gemacht hat. Keine Ahnung, was genau sie den Besuchern ihrer Toilette damit vermitteln möchte. Aber es wird wohl niemanden geben, der sich ein derartiges Motiv an die Wand pinnt, ohne vorher über dessen Wirkung nachzudenken. Möglich, dass es sich um schlichtes Posertum handelt, eine kleine Provokation, um die eigene armselige Persönlichkeit aufzuwerten, aber das glaube ich nicht, nicht in diesem Fall. Dafür kommt der Rest der Wohnung zu unaufgeregt daher. Nein, da muss mehr sein, etwas Abgründiges, etwas, das mir gefallen könnte.

      Ich beschließe, es darauf ankommen zu lassen, also so lange zu bleiben, bis sie mich entweder rausschmeißt oder mich wenigstens einen kurzen Blick in die unaufgeräumten Winkel werfen lässt, die ich hinter ihrer Fit for fun-Fassade vermute.

      Bis dahin gibt es für mich nichts zu tun, als weiterzutrinken, noch mehr zu rauchen und hin und wieder einen aufmunternden Kommentar abzulassen. Äußerlich ändert sich also nichts an meiner Rolle als interessierter Besucher, in meinem Inneren dagegen wird ein Mechanismus wirksam, der sich bereits bei ähnlichen Gelegenheiten als hilfreich erwiesen hat. Meine Begierde verkriecht sich hinter einer Fassade distanzierter Förmlichkeit. Nichts in meiner Haltung wird ab sofort darauf hindeuten, nichts von dem, was ich sage, verraten, was mich wirklich umtreibt.

      Als sie irgendwann Hildegard Knef auflegt, scheint das Manöver aufzugehen. Abgedroschener kann der versteckte Wunsch nach Nähe kaum formuliert werden. Trotzdem gebe ich meine Zurückhaltung nicht auf, treibe sie vielmehr auf die Spitze, indem ich mich, noch bevor wir die letzte Flasche angebrochen haben, zu verabschieden beginne.

      »Ich denke, ich werd’ dann langsam abhau’n.«

      Sie zögert, sieht mich kurz an. Dann sagt sie genau die Worte, die ich hören möchte. »Du kannst auch hier schlafen, wenn du willst.«


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