Endspiel. Jean Bolinder

Endspiel - Jean Bolinder


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      Jean Bolinder

      Endspiel

      Saga

      1

      Der linke Scheibenwischer war verbogen und verschmierte das Glas. Die Sicht wurde erschwert, unter den gelben Straßenlaternen wirkte alles wie schwarzes Öl. Der Asphalt war naß, schlüpfrig wie ein Strand nach einem Tankerunglück; schmelzende grauweiße Schneeflocken wirbelten wie niedergeschmetterte Seevögel in der Luft, eisklare Kristalle klebten an der Scheibe.

      Das „Swisch-swisch“ der Scheibenwischer bildete die Geräuschkulisse.

      Schnee. Dunkelheit. Wasser. Dunst, den die Scheinwerfer durchschnitten.

      Der Mann, der neben mir im Taxi saß, roch nach Nässe. Er trug eine schwarze Lederjacke über einem grauen Anzug. Blondes Haar und blonde Bartstoppeln. Um Mund und Kinn ein weicher Zug.

      Er machte an und für sich keinen erschreckenden Eindruck. Aber er strahlte Verzweiflung aus. Das regte mich auf.

      Manchmal sinne ich darüber nach, wodurch ein Mord im Taxi ausgelöst werden mag. Ob es nur davon herrührt, daß ein Kerl Geld braucht und beschließt, einen Taxichauffeur auszurauben, und so das erstbeste Opfer aussucht. Eine Lotterie also, wenn man Taxichauffeur ist. Man nimmt eine Menge Lose aus einer Trommel und wickelt eins nach dem anderen auf, bis man eins mit einem schwarzen Kreuz erwischt. Das bedeutet den Tod. Der Tod wartet auf einen in Gestalt eines Fahrgastes, der Geld braucht. Für Drogen oder Alkohol. Oder für sein Mädchen.

      So kann es natürlich sein. Eine Solovorstellung. Der Mörder handelt, und das Opfer ist von Anfang an preisgegeben. Ich bin jedoch nicht sicher, ob es immer so sein muß.

      Das nächstemal bin ich es vielleicht. Das nächstemal steht vielleicht das Taxi, das ich fahre, irgendwo auf einem Seitenweg, und ich sitze mit einer Kugel im Kopf über das Steuer gebeugt. Die Suche nach dem Mörder beginnt, und die Leute fragen sich beim Frühstück: „Wie ist denn das passiert?“

      Ja, wie ist es passiert? War es eine Solovorstellung oder ein Dialog? Hatte der Kerl, der den Fahrer berauben wollte, gar nicht die Absicht gehabt, ihn zu töten? Trieb der Fahrer den Räuber dazu, ein Mörder zu werden? Wäre es nicht zu dem Mord gekommen, wenn der Fahrer die richtigen Worte gefunden hätte? Ein wenig diplomatisch gewesen wäre?

      Manchmal frage ich mich, ob es wohl Menschen gibt, Taxichauffeure und andere, die einfach ermordet werden wollen. Vielleicht treiben sie unbewußt andere zum Mord. Oder soll man es Mithilfe zum Selbstmord nennen?

      „Figge redet, wie er es versteht“, sagen meine Kollegen, wenn ich meine Gedanken äußere. „Hat dich deine Mutter einmal auf den Kopf fallen lassen, als du klein warst?“

      Deshalb habe ich es mir abgewöhnt, über das zu reden, was mir durch den Sinn geht. Wie es zu einem Mord im Taxi kommen mag, darüber habe ich noch nie mit einem Menschen gesprochen. Die Kollegen würden sich wahrscheinlich an die Stirn tippen.

      Der Blonde neben mir war am Norrmalmstorg zu mir eingestiegen. Er hatte dort gestanden und mit einer Zeitung gewinkt. Um halb zwei Uhr nachts. Er wollte nach Blackeberg gefahren werden: Sigrid Undsetsgata 3.

      Er schwieg lange Zeit. Ich überlegte, ob er wohl etwas gegen mich plante. Ich überlegte auch, wie ich ihn behandeln müßte, um so billig wie möglich davonzukommen. Mit Freundlichkeit, dachte ich. Überlaß ihm das Geld und sei freundlich. Gib seinen Aggressionen keinen Sauerstoff, damit sie ja nicht aufflammen.

      Ich hatte ein paar Tage mit Darmgrippe im Bett gelegen, und ich fühlte mich noch matt und angeschlagen. Infolgedessen war ich unlustig und ein wenig niedergedrückt. Vielleicht glaubte ich deshalb, er führe etwas gegen mich im Schilde. Bildete mir deshalb etwas ein.

      Wir hatten ungefähr den halben Weg zurückgelegt, als er aus der Lederjacke ein großes Messer hervorzog. So einen Hirschfänger, den die Elchjäger benutzen. Er befühlte die Schneide und warf mir einen schrägen Blick zu.

      Ich war vollständig eingeschüchtert. Noch nie in meinem fünfundzwanzigjährigen Leben hatte ich mich so gefürchtet. Ich wurde von dem wahnwitzigen Impuls erfaßt, mitten in der Fahrt abzuspringen, mich hinauszuschleudern auf die matschige Fahrbahn, nur weg von dem Kerl mit dem Messer. Was auch kommen mochte, bloß nicht das Messer. Lieber durch den Sturz auf die Straße sterben, als totgestochen zu werden.

      Aber ich wollte überhaupt nicht sterben. Darum blieb ich im Auto.

      „Damit werde ich ein Weibsbild erstechen“, sagte der Mann unvermittelt. „Zu ihr sind wir jetzt unterwegs. Sie wohnt in Blackeberg, Sigrid Undsetsgata 3.“

      Schlimm, es gestehen zu müssen, aber meine erste Reaktion auf diese schrecklichen Worte war Erleichterung. Eine ungeheure Erleichterung, daß er es nicht auf mich abgesehen hatte. Das Messer sollte sich in einen anderen Menschen bohren, und Figge Höglund durfte weiterleben.

      Auf einmal schämte ich mich. Wie selbstsüchtig von mir. Berührte es mich denn gar nicht, daß der Mann die Absicht hatte, eine Frau umzubringen? Und daß ich ihm dabei half, indem ich ihn zu ihr brachte?

      „W-w-warum w-w-ollen Sie sie töten?“ stammelte ich.

      Er kniff die Lippen zusammen, als ob er nicht daran denke, Auskunft zu geben; doch dann redete er schnell und verworren, und ich merkte, daß er nach Alkohol roch.

      „Das Weibsbild verdient es nicht anders. Margit Svensson heißt sie. Sie wohnt dort draußen mit ihrem kleinen Sohn. Sie war ... nein, so ist es nicht. Ich bin mit ihr gegangen. Sie war dumm, das merkte ich bald. Ach, was erzähle ich dir das alles ...“

      Er holte Luft und schwieg eine Weile. Schließlich fuhr er fort: „Sie verpfiff mich bei der Polizei. Sie fand allerlei heraus. Und ich kam ins Untersuchungsgefängnis. Zuerst hatte ich nichts dagegen, im Knast zu landen, aber dann wurde ich verurteilt. Sie brachte lauter Anklagen vor, und ihr wurde mehr geglaubt als mir. Wenn die Polente einen erst in den Klauen hat, ist nichts mehr zu machen. Auch wenn man unschuldig ist. Also kam ich richtig ins Kittchen. Inzwischen ist sie nach Blackeberg umgezogen. Ich war noch nicht dort, aber ich habe sie angerufen. Was glaubst du, was da geschah? Ein Kerl meldete sich am Telefon. Ließ mich nicht mit ihr reden. Und da beschloß ich, zu ihr zu fahren und sie zu töten. Sie verdient es nicht anders.“

      Er schaute mich an. Offensichtlich erwartete er eine Antwort.

      „Frauen können ... können teuflisch sein“, sagte ich.

      Er blieb stumm. Ich hatte das Gefühl, daß von mir noch mehr erwartet wurde.

      „Ja, wirklich“, beteuerte ich, „Frauen können uns das Leben sauer machen.“

      Die ganze Zeit überlegte ich fieberhaft, wie ich mich aus der Situation ziehen könnte, in die ich unversehens geraten war. Ich konnte ihn doch nicht zu der Frau fahren und zulassen, daß er sie umbrachte, und wenn ich mich weigerte, bekam ich das Messer selbst in den Bauch.

      Es war wahrhaftig ein Dilemma. Aber Blackeberg näherte sich, und die Zeit wurde knapp.

      „Es gibt unmögliche Weiber“, plapperte ich weiter. „Und das schlimmste ist, daß man auf sie angewiesen ist.“

      „Die wird es abkriegen“, knurrte er, „darauf kannst du Gift nehmen.“

      Mein Nacken war ganz steif, die Muskeln verkrampften sich. Alles kam mir unwirklich vor, es schien in weiter Ferne zu geschehen. Saß ich wirklich im Auto mit einem Mann, der eine Frau töten wollte?

      „So meinte ich es nicht“, antwortete ich mit unsicherer Stimme. „Es wird damit enden, daß Sie es abkriegen. Menschenskind, die Polizei wird Sie früher oder später schnappen. Ich kenne Fälle, wo man hätte meinen können, es würde ihr nicht gelingen. Die Polizei ist unmenschlich.“

      Das meiste von dem, was ich sagte, war erfunden, aber ich versuchte einen Ton anzuschlagen, der Verständnis verriet und ihn gleichzeitig zur Besinnung brachte und umstimmte.

      „Dummes Zeug“, entgegnete er und wandte mir das Gesicht zu. „Die Bullen sind ganz gewöhnliche Menschen. Gute und schlechte wie überall. Sie haben nichts Besonderes. Höchstens die Gefängniswärter. Und das kann ich dir


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