Endspiel. Jean Bolinder

Endspiel - Jean Bolinder


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hatte delikate Brötchen gemacht, mit Eiern und Kaviar, einige mit Salatblatt und Leberpastete.

      „Interessieren Sie sich für Psychologie?“ fragte ich und stellte das Buch an seinen Platz.

      „Ich bin Arztsekretärin“, antwortete sie und setzte sich. „Bei einem Psychiater am Sveaväg. Da wird man natürlich beeinflußt.“

      Als der Tee genügend gezogen hatte, schenkte sie ein. Da ich nicht recht wußte, worüber ich mit ihr reden sollte, sah ich ihr beim Eingießen zu. Sie trug keinen Ring. Meiner Vermutung nach war sie entweder geschieden oder eine unverheiratete Mutter.

      „Bitte sehr“, sagte sie und machte eine einladende Geste.

      Ich nahm ein Eierbrötchen. „Ein Genuß“, sagte ich nach dem ersten Bissen. Ich war hungrig. Das wird man, wenn man nachts fährt.

      „Sind Sie von Beruf Taxichauffeur, oder machen Sie das nebenher?“ erkundigte sie sich.

      „Von Beruf. Ich fahre für eine Witwe.“

      „Was heißt das?“

      „Sie hat eine Zulassung. Manchmal verheiratet sich ein Mann mit einer sogenannten Taxiwitwe, um den Beruf ausüben zu können.“

      „Und haben Sie auch die Absicht, die Witwe zu heiraten?“ Ich lachte. „Nein, so viel liegt mir doch nicht daran. Inger — so heißt meine Taxiwitwe — ist zwar eine nette Frau, aber ...“

      In diesem Augenblick wurde an der Wohnungstür geläutet. Lange und energisch. Dann hörte man Geschimpfe und einen wütenden Tritt an die Tür.

      Bosse mit dem Messer hatte die Sigrid Undsetsgata gefunden. Er stand vor der Wohnungstür und wollte hinein.

      Wollte hinein, um sie zu töten.

      Mich wahrscheinlich auch.

      3

      Margit erhob sich langsam. Auf ihrem Teller lag ein halbverzehrtes Brötchen mit Leberpastete, daneben das Salatblatt, dessen einer Rand bräunlich und aufgerollt war.

      Der Lärm vor der Tür nahm zu.

      „Ich muß ihn wohl hereinlassen und versuchen, mit ihm zu reden“, sagte sie schicksalsergeben. „Sonst krakeelt er die ganze Nacht. Weckt die Hausbewohner und Thomas.“

      Ich riet ihr ab: „Das dürfen Sie nicht. Er ist nicht bei Sinnen. Er läßt nicht mit sich reden. Sie sagten ja selbst, er weiß nicht, was er tut, wenn er betrunken und wütend ist.“

      Wir gingen auf den Zehenspitzen zur Tür.

      „Hören Sie auf!“ rief ich. „Es nützt nichts, wir öffnen auf keinen Fall.“

      Ein Weilchen blieb alles still. Dann kam ein Wortschwall, der im einzelnen nicht zu verstehen war. Es ging nur daraus hervor, daß er Margits Kerl, den sie bei sich habe, ebenso an den Kragen wollte wie ihr.

      „Wenn Sie nicht sofort gehen, rufe ich die Polizei“, warnte ich ihn.

      Das machte ihn wahnsinnig. Er schrie und trat, als ob er das ganze Haus niederreißen wollte.

      „Vielleicht ist es doch am besten, ihn hereinzulassen“, sagte Margit. „Sonst beruhigt er sich nie.“

      „Wollen Sie etwa, daß er uns umbringt?“ gab ich zurück.

      „Natürlich will ich das nicht“, sagte sie gelassen. „Aber ich halte es fürs beste, mit ihm zu reden. Er fühlt sich einsam und unverstanden, und die verschlossene Tür macht es nur noch schlimmer. Es sollte keine verschlossenen Türen zwischen Menschen geben.“

      Sie hatte einen Ton, den sie vermutlich im Beruf anschlug. So ungefähr mochte sie mit den Patienten sprechen, die zu dem Psychiater am Sveaväg kamen. Dort war er sicher angebracht, aber hier nicht. Hier war er lebensgefährlich.

      Bosses Ausbruch legte sich ein wenig.

      „Reden Sie mit ihm durch die Tür“, schlug ich vor. „Vielleicht beruhigt er sich dann.“

      „Bosse“, rief sie, „reg dich doch nicht so auf.“

      Das Ergebnis war ungefähr so, wie wenn man kaltes Wasser in eine heiße Bratpfanne gießt. Er zischte und fauchte eine Weile, bis die Temperatur fiel.

      „Es ist gar nicht so, wie du glaubst, Bosse“, drang sie in ihn. „Der Mann, der bei mir ist, will mir nur helfen. Ich habe nichts mit ihm, glaub mir. Ich will gar nichts mit einem Mann zu tun haben. Weder mit dir noch mit einem anderen.“

      Draußen vor der Tür wurde es ganz still.

      „Sei nun friedlich und geh“, bat sie. „Wir sprechen uns ein andermal. Wenn du nüchtern bist. Du kannst mich morgen anrufen, wenn du willst. Dann unterhalten wir uns am Telefon.“

      „Du willst bloß mit deinem verdammten Bock ins Bett“, sagte er mit dem Ton eines schmollenden Kindes. „Du willst es bloß mit deinem neuen Kerl treiben, und dann antwortest du nicht, wenn ich anrufe.“

      „Das ist nicht wahr, Bosse. Du weißt, daß es nicht wahr ist. Geh jetzt nach Hause!“

      Es kam keine Antwort. Dann hörten wir ihn weinen. Er flennte und schluchzte. Es klang trostlos. Ein Widerhall der Einsamkeit eines Menschen. Als wären in seiner Brust große Marmorsäle, in denen Kälte herrschte, und wo niemand zu Besuch kam.

      Sein Weinen verfehlte den Eindruck auf die Frau neben mir nicht. „Wir können ihn nicht da draußen stehenlassen“, sagte sie. „Das ist unmenschlich!“

      Wieder war sie bereit, ihn hereinzulassen. Sie streckte die Hand aus, um die Sicherheitskette herauszuziehen.

      Ich stieß sie unsanft weg. „Teufel nochmal! Ich habe mir nicht all die Mühe gemacht, Ihnen zu helfen, nur um zuzusehen, wie der Irre Sie umbringt! Sie müssen auch an Ihr Kind denken!“

      Sie sah mich mit einem sonderbaren Ausdruck an. Dann zuckte sie die Schultern und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

      Im Treppenhaus wurde eine Tür aufgerissen. Eine zornige Frauenstimme schrie: „Scheren Sie sich weg! Sonst rufe ich die Polizei!“

      Bosses Aggressivität erwachte zu neuem Leben. „Halt’s Maul, du alte Hexe! Oder willst du, daß ich dir den Arsch verdresche?“

      Nun mischte sich ein rauher Männerbaß in den Chor. Er tat seine Wirkung. Bosse gab noch eine letzte giftige Bemerkung ab, doch danach herrschte Ruhe.

      Als ich ins Wohnzimmer kam, saß Margit auf dem Sofa und weinte. Verzagt setzte ich mich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. Es berührte mich stark, ihr so nahe zu sein. Es war, als kribbelten elektrische Ströme unter meiner Haut.

      „Sind Sie verliebt in ... in den?“ fragte ich.

      „Natürlich nicht“, schnupfte sie. „Aber er tut mir leid. Er ist ein armer einsamer Mensch. Nie hat sich jemand um ihn gekümmert. Und er führt sich so auf, daß alle ihn meiden. Verschlossene Türen und zornige Stimmen. Scher dich weg! Wir wollen nichts von dir wissen! Hau bloß ab! Und wohin soll er gehen? Er hat nirgends eine Bleibe. Er hat nur seine Angst und seine Gewissensqualen. Deshalb betrinkt er sich, und dann wird alles nur noch schlimmer.“

      Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Es war mir, als sei ich plötzlich in ein Drama geraten. In ein unverständliches und brutales Drama.

      „Was glauben Sie denn, warum er mit seinem Messer hierher gekommen ist? Damit wir uns um ihn kümmern. Genau wie ein Kind, das Lärm macht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Es gibt nichts Schlimmeres, als nicht bemerkt zu werden. Es ist besser, von den Leuten angeschrien zu werden, als unbeachtet zu sein. Verstehen Sie?“

      Ich nickte, aber im stillen fand ich sie einfältig. Wenn man will, daß sich die Menschen um einen kümmern, muß man sich etwas Gescheiteres einfallen lassen, als mit einem Messer anzurücken. Sofern man ein erwachsener Mensch ist.

      Sie fuhr fort: „Man sagt, der Spanische Stiefel sei das furchtbarste


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