Endspiel. Jean Bolinder

Endspiel - Jean Bolinder


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Ihr Vater starb, als Sie siebzehn waren.“

      „Was für ein Gedächnis! Ja, das stimmt. Suizid.“

      Trotz mangelnder Bildung wußte ich, daß Suizid Selbstmord bedeutet. Ich hatte angenommen, daß er infolge der Trunksucht an einem Leberleiden gestorben war.

      Eine Weile schwiegen wir.

      „Sie sagten“, begann ich dann, „Ihre Mutter sei lebensüberdrüssig gewesen. Aber sie ist an Krebs gestorben. Glauben Sie, daß seelische Ursachen ein körperliches Leiden bewirken können?“

      „Ob ich das glaube? Ich bin absolut sicher!“

      „Psychologie ist interessant“, warf ich beiläufig ein. „Jung schildert einen Fall von hysterischer Blindheit. Als der Patient normal wurde, kehrte seine Sehkraft allmählich zurück.“

      Sie erwärmte sich sogleich für das Thema und ließ sich über verschiedene psychologische Phänomene aus. Ich hörte nur mit einem Ohr zu. Ich freute mich, daß ich das Gelesene so nützlich hatte anwenden können.

      In Uppsala tankten wir und aßen Würstchen. Wir fuhren planlos in der Stadt herum, bis wir ein Schild sahen, das nach Enköping wies.

      „Fahren wir dorthin!“ sagte sie. „Wenn Sie wüßten, wie schön ich es finde, einfach herumzufahren. Und zu plaudern. Über alles mögliche. Wollen Sie eine Zigarette?“

      Ich wollte. Sie zündete die Zigarette an und reichte sie mir. Das kam mir wie eine Vertraulichkeit vor.

      „Ich rauche viel zuviel“, sagte sie, „vierzig bis fünfzig Stück am Tag. Natürlich habe ich einen Raucherhusten. Und einen schlechten Geruchssinn.“

      „Ich rauche auch zuviel“, bekannte ich.

      „Weshalb?“

      „Weshalb? Ich wüßte keinen Grund.“

      „Es gibt immer einen Grund. Nichts, was wir tun, geschieht planlos. Wenn Sie viel rauchen, setzen Sie sich einer Lebensgefahr aus. Warum? Wollen Sie sterben?“

      „Sie rauchen ja selbst viel. Wollen Sie sterben?“

      „Kann ich mir nicht denken. Aber einen Grund muß ich ebenfalls haben. Ich weiß nur nicht, welchen.“

      „Beunruhigt Sie das?“

      „Es gibt viele Dinge, die mich beunruhigen.“

      Ich hielt auf einem Parkplatz und stellte den Motor ab. Ich streichelte ihre Wange und sagte: „Es gefällt mir nicht, daß es Dinge gibt, die Sie beunruhigen. Ich möchte, daß Sie ruhig und zufrieden sind. Daß Sie es gut haben. Das verdienen Sie.“

      „Wie können Sie wissen, ob ich es verdiene?“

      „Das fühle ich.“

      Ich küßte sie. Es war ein zarter, vorsichtiger Kuß, und sie erwiderte ihn ebenso zart und vorsichtig. Sie strich mir über die Haare.

      Ich hatte mitunter darüber nachgedacht, was gebildete und originelle Menschen in einem solchen Augenblick sagen mögen. Mir selbst fallen nur Banalitäten ein.

      „Ich liebe dich“, sagte ich. „Ich liebte dich sofort, als ich dich sah. Oder richtiger gesagt: Es ist, als hätte ich dich schon immer geliebt. Als wären wir lange getrennt gewesen und hätten uns wiedergetroffen.“

      „Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden“, sagte sie. „Ehrlich, ich bin nichts Besonderes.“

      „Für mich bist du alles, das einzige, was ich haben möchte. Dich ... und Thomas.“

      „Du wirst es bereuen. Aber es ist schön, daß du es jetzt sagst.“

      Auf der Straße fuhren Wagen vorbei. Die Fenster beschlugen im Innern des Autos. Scheinwerfer warfen Reflexe. In den Wassertropfen auf den Scheiben zündeten sie blaue Sonnen an.

      7

      „Möchtest du Tee haben?“ fragte sie, als ich das Auto bei der Sigrid Undsetsgata abstellte.

      „Ja, gern.“

      Die unverschlossene Haustür und das Treppenhaus ließen mich wieder an den armen Bosse denken. Ich mußte auch daran denken, wie vorsichtig ich damals in der Nacht die Treppe hinuntergeschlichen war, darauf gefaßt, daß er mir hinter irgendeiner Ecke oder beim Auto auflauerte. Aber er hatte sich nirgendwo blicken lassen.

      „Das war eine schöne Autofahrt“, sagte sie. „Ich bin lange nicht mehr Auto gefahren.“

      „Hast du es nie gelernt?“

      „Doch, kurz nach meiner Heirat. Weißt du, daß ich verheiratet war? In Lomma, mit einem Ingenieur. Thomas’ Vater. Wir hatten einen Volvo. Ich nahm Fahrunterricht. Aber das Auto gehörte Birger, und er ließ mich nur selten fahren.“

      Sie schloß die Wohnungstür auf, und wir traten ein.

      „Wenn ich fuhr, hielt er mir dauernd meine Fehler vor. Er fand so viel zu tadeln, daß ich unsicher wurde. Schließlich verging mir die Lust ganz und gar.“

      „Ich werde dir helfen“, sagte ich. „Im Frühling können wir zusammen üben. Du wirst deine Sicherheit bald zurückgewinnen.“

      „Du bist lieb“, murmelte sie. „So fürsorglich.“

      Ihre Stimme war tonlos, ohne Begeisterung. Ich vermutete, daß sie an die Fahrten mit dem unablässig verbessernden Ehemann dachte. Ich nahm mir vor, sie nur zu loben und zu ermuntern, wenn wir ausfuhren und sie am Steuer saß.

      Ohne das Kind wirkte die Wohnung leer und öde. Ich wurde von derselben Beklemmung befangen wie beim Lesen von Heiratsannoncen. Dieser Schrei nach Gemeinsamkeit und die Vergoldung von Banalitäten: der Schein, als ob alles im Leben Freude und Vergnügen wäre, gemütliche Stunden am heimischen Herd, mitunter ein Gläschen Wein, du darfst gern rauchen, denn ich rauche auch, das Kind stört nicht. Formulierungen, die dem psychologischen Scharfsinn der Einsamkeit entspringen. Was macht denn das Leben freudvoll und vergnüglich, wenn man ein Grübler ist, der Pessimismus und Menschenfeindlichkeit in sich trägt, wohin er auch geht? Wieso darf der Partner rauchen, nur weil der Inserent auch raucht? Soll alles weitere vom Inserenten bestimmt werden? Und das Kind, wird es unbesehen hingenommen? Kinder in Heiratsannoncen sind keine Individuen, sondern eine Ware, die eingebracht wird.

      Es gibt Menschen, die sich nicht einmal den Anschein geben, daß sie Gemeinschaft im Sinn haben. Sie inserieren nur aus Einsamkeit. Ich bin krank, niedergedrückt, habe es schwer. Hab Mitleid mit mir. Kümmre dich um mich. Liebe mich, und gib dich selbst auf!

      Sie legte eine Platte auf, und das Zimmer wurde von Rhythmus erfüllt. Dann zündete sie eine Kerze an und sagte: „Ich mag jetzt keinen Tee. Trinken wir statt dessen etwas Alkoholisches.“

      Whisky mit Eis. Ich nippte an meinem Glas und dachte an Polizisten mit Blastüten. Wir küßten uns und tanzten mit dem Glas in der Hand. Die Kerze flackerte, so daß unsere Schatten wie im Krampf über die Wände zuckten.

      Ich küßte sie, und sie erwiderte den Kuß. Heftig. Ich stellte mein Glas auf den Steintisch und zog ihr das Kleid aus. Sie atmete schwer in mein rechtes Ohr, und ich wurde von starker sexueller Erregung ergriffen.

      Sie hatte ziemlich große Brüste mit kleinen harten Warzen; ihr Bauch verlief in weicher Wölbung zum Schoß, der mit spärlichen hellroten Haaren bewachsen war. Mein Zeigefinger glitt an der Scheide entlang, streifte den Kitzler und drang ein.

      Sie war feucht und warm. Sie biß mich so stark ins Ohr, daß ich sie bitten mußte, mir nicht weh zu tun.

      Sie war nackt, ich immer noch bekleidet.

      Ich wollte den Rock ablegen, da flüsterte sie: „Zieh dich noch nicht aus. Schlag mich erst ein bißchen.“

      „Dich schlagen? Warum soll ich dich schlagen?“

      „Weil ich es möchte“, sagte sie ungeduldig.

      „Aber ...“

      Sie


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