Revolutionen auf dem Rasen. Jonathan Wilson

Revolutionen auf dem Rasen - Jonathan Wilson


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noch eine Saison lang und leistete seinen Beitrag zum Aufstieg des Teams. Dennoch wusste er, dass seine Zukunft die eines Trainers war. Im Sommer 1912 sah er sich erneut nach einer Anstellung um. Wiederum erwies sich Howcroft als hilfreich, indem er den Kontakt zu Hugo Meisl herstellte, dem großen Pionier des österreichischen Fußballs.

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      Hugo Meisl wurde 1881 in der böhmischen Stadt Maleschau als Sohn einer bürgerlich-jüdischen Familie geboren. Schon als Kind kam er nach Wien. Er begeisterte sich zunehmend für Fußball und spielte mit begrenztem Erfolg für den Cricket Club. Allerdings sah sein Vater ihn lieber als Geschäftsmann und besorgte ihm einen Arbeitsplatz in Triest. Bald sprach Meisl fließend Italienisch und erwarb auch in anderen Sprachen Grundkenntnisse. Für seinen Wehrdienst kehrte er schließlich nach Wien zurück. Er folgte dem Wunsch seines Vaters, sich eine Stelle bei einer Bank zu suchen, begann allerdings gleichzeitig, für den österreichischen Fußballverband zu arbeiten. Dort war Meisl zunächst vor allem mit der Einwerbung von Geldmitteln betraut. Meisl, wie Hogan ein intelligenter Innenstürmer, hatte jedoch konkrete Vorstellungen vom Fußball und war entschlossen, an der Zukunft des österreichischen Fußballs mitzuarbeiten. So erweiterte sich langsam, aber sicher sein Tätigkeitsfeld. Als er de facto Vorsitzender des österreichischen Verbandes wurde, gab er seine Karriere als Banker schließlich auf.

      1912 spielte Österreich in einem von Howcroft geleiteten Spiel 1:1 gegen Ungarn. Enttäuscht über das Ergebnis, fragte Meisl Howcroft, was seine Mannschaft wohl falsch gemacht habe. Howcroft entgegnete ihm, dass Österreich seiner Meinung nach einen geeigneten Trainer bräuchte – jemanden, der die individuelle Technik der Spieler weiterentwickeln konnte, mit anderen Worten: jemanden wie seinen alten Spezi Jimmy Hogan. Ohne viel Federlesens verpflichtete Meisl Hogan und gab ihm einen sechswöchigen Vertrag. Ein Teil von Hogans Engagement bestand darin, mit österreichischen Vereinen zu arbeiten. Vor allem aber sollte er die österreichische Nationalmannschaft auf die Olympischen Spiele 1912 in Stockholm vorbereiten.

      Hogans erste Trainingseinheit verlief nicht sonderlich gut. Die österreichischen Spieler konnten ihn nur schwer verstehen und hatten das Gefühl, er konzentriere sich zu sehr auf Grundlagenarbeit. Meisl dagegen war beeindruckt. Er und Hogan unterhielten sich bis tief in die Nacht über ihre Vorstellungen vom Fußball. Aus taktischer Sicht konnten beide am 2-3-5 nichts Fehlerhaftes entdecken – schließlich bildete es seit über 30 Jahren das Fundament des Fußballs. Beide meinten jedoch, dass eine Weiterentwicklung vonnöten sei, weil viele Mannschaften zu unflexibel und somit vorhersehbar agierten. Beide hielten es überdies für notwendig, den Ball die Arbeit machen zu lassen. Rasche Kurzpasskombinationen waren ihrer Meinung nach dem Dribbling vorzuziehen und die individuelle Technik entscheidend – allerdings nicht für jene kurvenreichen Sololäufe, die einmal das Markenzeichen des südamerikanischen Fußballs werden sollten. Stattdessen ging es um die sofortige Ballkontrolle bei der Annahme eines Passes und die damit verbundene Möglichkeit einer schnellen Weitergabe. Hogan legte außerdem Gewicht auf lange Pässe, mit denen die gegnerische Verteidigung durcheinandergebracht werden sollte – vorausgesetzt, die Bälle wurden nicht einfach nach vorne gehauen, sondern genau gespielt. War Meisl ein Romantiker, war Hogan im Grunde genommen ein Pragmatiker. Nicht irgendwelche weltfremden Glaubenssätze hatten ihn zu einem Missionar des Passspiels macht. Hogan war einfach nur der Meinung, dass Ballbesitz das beste Mittel sei, um Fußballspiele zu gewinnen.

      Österreich verpasste Deutschland in Stockholm eine 5:1-Packung, schied dann aber im Viertelfinale nach einem 3:4 gegen die Niederlande aus. Dessen ungeachtet blieb Meisl weiterhin von Hogan überzeugt. Als der Deutsche Fußball-Bund ihn um eine Empfehlung bei Hogan bat, bot er diesem lieber selbst einen Job an. Meisl beauftragte ihn mit der Vorbereitung Österreichs auf die Olympischen Spiele 1916. „Mein dunkles, finsteres und industriell geprägtes Lancashire zu verlassen und ins lebenslustige Wien zu kommen, war, wie ins Paradies einzutreten“, sagte Hogan. Er arbeitete zweimal in der Woche mit der Olympiaauswahl und trainierte in der übrigen Zeit mit den besten Vereinsmannschaften der Stadt. Am Ende war er so gefragt, dass er seine Einheiten beim Wiener FC morgens um halb sechs ansetzen musste. Österreich wurde warm mit Hogan, und Hogan wurde warm mit Österreich. Dessen Fußball, so sagte er, sei wie ein Walzer, „leicht und einfach“. Meisl war optimistisch, dass die Olympischen Spiele 1916 ein Erfolg werden würden. Doch der Krieg sollte diesen Traum vernichten. Als Hogan erkannte, dass ein bewaffneter Konflikt drohte, nahm er Kontakt zum britischen Konsul auf und fragte, ob eine rasche Rückkehr mit der Familie nach Großbritannien ratsam sei. Man teilte ihm mit, dass keine Gefahr im Verzug sei. Tatsächlich aber folgte innerhalb von 48 Stunden die Kriegserklärung. Einen Tag darauf wurde Hogan als Ausländer interniert.

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       Jimmy Hogan, Fußballpionier auf dem europäischen Festland, zeigt der 1940 in Frank reich stationierten Einheit der britischen Luftwaffe, wie man köpft.

      

      Dank des Einsatzes des amerikanischen Konsuls konnten seine Frau und sein Kind im März 1915 nach Großbritannien zurückkehren. Hogan selbst wurde einen Tag vor der geplanten Überstellung in ein deutsches Internierungslager freigelassen. Die Gebrüder Blythe, die ein Kaufhaus in Wien besaßen, erklärten sich einverstanden, für ihn zu bürgen. Hogan stand daraufhin fast eineinhalb Jahre in ihren Diensten und gab ihren Kindern Tennisunterricht. Allerdings waren 200 Kilometer weiter östlich bereits Bestrebungen im Gange, ihn zurück zum Fußball zu holen. Baron Dirstay, ein Absolvent der Universität von Cambridge und Präsident des Budapester Klubs MTK, hatte von Hogans Notlage gehört. Er ließ einige diplomatische Kontakte spielen und verschaffte ihm schließlich eine Stelle als Trainer seiner Mannschaft – vorausgesetzt, Hogan meldete sich regelmäßig bei der örtlichen Polizei.

      Hogan nahm bereitwillig an. Da der größte Teil der Stammelf im Einsatz an der Front war, bestand seine erste Aufgabe darin, eine Mannschaft zusammenzustellen. Naturgemäß wandte er sich dabei jungen Spielern zu. Zwei der bekanntesten Spieler des Vereins wurden György Orth und József „Csibi“ Braun. Hogan hatte sie verpflichtet, nachdem er sie bei einem Spaziergang im Angol-Park beim Kicken beobachtet hatte. „Ich stürzte mich auf sie und sagte: ‚Die gehören mir, mir allein‘“, erzählte er später. „Sie waren beide kluge Jungs, die in Budapest das Gymnasium besuchten. Jeden Tag nach der Schule standen sie bei mir auf dem Platz, und ich unterwies sie in der Kunst des Spieles.“ Mit ihrer intelligenten und lernbegierigen Art waren Orth und Braun typische Vertreter jener Spieler, die Mitteleuropa hervorbrachte und mit denen Hogan so gerne arbeitete. Genau deshalb fühlte er sich ja in Wien wie auch in Budapest so sehr zu Hause. „Der große Vorteil des mitteleuropäischen gegenüber dem britischen Fußball besteht darin“, so sagte Hogan, „dass die Jungs bereits in sehr jungen Jahren trainiert werden.“

      Seine Methoden führten zu spektakulären Erfolgen. 1916/17 gewann MTK nach einer kurzen, kriegsbedingten Pause die erste offizielle Meisterschaft und verteidigte sie neun Jahre lang. Nach dem Krieg ließ eine Budapester Auswahl aufhorchen, als sie den Bolton Wanderers eine 4:1-Klatsche zufügte und damit die Stärke des Festlandfußballs demonstrierte. Hogan selbst war allerdings nur bei zwei Triumphen MTKs der Trainer. Als der Krieg zu Ende war, kehrte er, sobald er konnte, nach Großbritannien zurück. „Meine Zeit in Ungarn war bei nahe genauso glücklich wie mein Aufenthalt in Österreich. Budapest ist eine wundervolle Stadt – meiner Meinung nach die schönste in Europa“, sagte er. Dafür aber hatte er fast vier Jahre weder seine Frau noch seinen Sohn gesehen. Hogans Nachfolger wurde mit Dori Kürschner einer seiner älteren Spieler. 20 Jahre später sollte Kürschner noch eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Fußballs in Brasilien spielen.

      Hogan zog wieder nach Lancashire. In Liverpool fand er einen Job im Versand bei Walker’s Tobacco. Seine Geldmittel blieben allerdings knapp. Man gab ihm deshalb den Rat, bei der FA um eine Beihilfe nachzusuchen. Der Verband hatte einen Unterstützungsfonds für Profis eingerichtet, die durch die Kriegsjahre finanziell zu Schaden gekommen waren. Hogan glaubte, einen Anspruch auf 200 Pfund zu haben. Er lieh sich fünf Pfund, um die Reise nach London bezahlen zu können. Doch der Generalsekretär der FA, Frederick Wall, hatte nur Verachtung für ihn übrig. Der Fonds sei für diejenigen, die gekämpft hatten,


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