Seewölfe Paket 35. Fred McMason
„Wissen wir nicht“, antwortete Philip junior.
Sein Zwillingsbruder und er stürmten die Back – der beiden Drehbassen wegen, die dort montiert waren.
Indessen wurde der Profos von wütenden Indern in Empfang genommen, denen jedoch keine große Freude an ihrem Fang vergönnt war. Carberry schwang die Fäuste wie Dreschflegel, und wo er hinschlug, da wurde die Luft noch dünner. Um ihn herum war der Steg schon nach wenigen Augenblicken wie leergefegt. Dafür tummelten sich immer mehr Inder im Wasser und kühlten ihre Blessuren.
Dem ersten Soldaten, der die Flinte auf ihn anlegte, stieg der Profos gehörig auf die Zehen. Der Mann brüllte, als habe ihn ein Elefant getreten. Das wiederum behagte dem Profos nicht. Er schlug zu. Mit beiden Händen gleichzeitig. Von rechts und links.
Der Inder mußte sich fühlen, als sei er zwischen die zusammenkrachenden Becken einer Militärkapelle geraten. Er verdrehte die Augen und ließ die Flinte fallen. Auf seinen Wangen zeichneten sich die kräftigen Abdrücke von zehn Fingern ab, die nach einiger Zeit wohl alle Farben aufweisen würden.
Carberry lüftete den Mann von den Füßen und benutzte ihn als lebenden Rammbock, um die anderen zurückzudrängen. Fünf Inder verloren nacheinander den Halt und klatschten rücklings in das fast schon überfüllte Hafenbecken.
Der nächste Schütze, fünf Schritte vom Profos entfernt, heulte auf und ließ seine Feuerwaffe fallen. Eins von Bob Greys Wurfmessern hatte seine Hand durchbohrt, ehe er den Schuß abgeben konnte.
„Danke, Bob!“ rief Carberry, ohne sich umzuwenden.
„Keine Ursache, Eddylein“, klang es von der Schebecke zurück.
Die Fackelträger stürmten heran. Gleichzeitig dröhnten auf der Back die Drehbassen. Holz splitterte, eine kleine Wasserfontäne stieg in die Höhe, dann wand sich ein mehrere Yards langes Teilstück des Steges – genauer gesagt, der Abschnitt zwischen zwei Stützpfosten – wie ein getretener Wurm und brach in sich zusammen.
Das ganze geschah rund zwanzig Schritte vor der Schebecke, und das Wasser war dort noch so tief, daß keiner stehen konnte.
Die Inder stimmten ein wütendes Geheul an. Einige schleuderten ihre Fackeln, die den Dreimaster aber nicht erreichten.
Das Blatt hatte sich damit vollends gewendet, nachdem die Arwenacks zunächst völlig überrascht worden waren.
Mit oft geübter Präzision schoben die Zwillinge neue Kugeln in die Hinterlader-Drehbassen, setzten die mit Pulver gefüllten Kammern ein und verkeilten sie. Sie brauchten dazu nur wenige Handgriffe.
Über den Kammergriff hinweg visierten sie erneut den Steg an, ein Stück weiter landwärts diesmal. Dann senkten sie die Lunten auf die Zündlöcher. Die beiden Pulverexplosionen klangen wie ein einziger Knall.
Abermals splitterte Holz. Armlange Bruchstücke wirbelten, Geschossen gleich, nach allen Seiten davon. Aber offenbar wurde niemand verletzt.
Heulend wich die Meute zurück. Wer noch auf den Beinen stand, hastete den bebenden Steg entlang, die anderen schwammen, als gelte es ihr Leben.
Jung Hasard richtete die Backbord-Drehbasse auf eine Jolle, die von vier Männern gepullt wurde. Offenbar hatten sie geglaubt, die allgemeine Verwirrung und die Tatsache ausnutzen zu können, daß die Aufmerksamkeit aller auf den Steg gerichtet war.
Sie schafften es auch, bis auf ungefähr zehn Yards heranzukommen, aber dann zerspellte die Drehbassenkugel den Rumpf des kleinen Bootes und riß ein beachtliches Loch unter der Wasserlinie. Die Jolle sackte so schnell weg, daß den Indern keine Gelegenheit blieb, die mitgeführten Fackeln an Deck der Schebecke zu werfen. Unruhig flackernd erlosch das brennende Pech.
Die Zwillinge – vom neuen Moses Clinton Wingfield mit ausreichendem Nachschub an Kammerstücken und Kugeln versorgt – luden die Drehbassen zwar nach, brauchten sie aber nicht mehr abzufeuern, denn die Inder suchten ihr Heil im Rückzug.
„Die Bande zieht den Schwanz ein!“ rief Big Old Shane. In seiner Stimme schwang Bedauern mit. Intensiv massierte er seine Fäuste.
„Immerhin haben sie ihre Waren zurückgelassen“, meinte Jeff Bowie. „Das ist doch schon was. Als Entschädigung sozusagen.“
Jeder war so mit sich selbst beschäftigt gewesen, daß niemand auf den Seewolf und Dan O’Flynn geachtet hatte. Erst jetzt, als die beiden wieder aufenterten, ging ein Grinsen reihum.
Die waren nicht allein.
„Ein fetter Hecht ist dir da ins Netz gegangen, Sir“, sagte Edwin Carberry anerkennend. Er stemmte die Pranken in die Hüfte und schritt drohend auf Chandra Bose, den Hauptmann der Stadtwache zu, der lediglich seinen prachtvollen Turban verloren hatte, sonst aber kein bißchen lädiert war. „Was haben wir mit dem vor? Ein klein wenig kielholen oder an die Rah hängen? Oder binden wir ihn als Galionsfigur und abschreckendes Beispiel vor den Bug? Er wirkt nur ein wenig jämmerlich, findet ihr nicht?“
Ein paar Arwenacks lachten.
Chandra Bose hatte zwar herzlich wenig verstanden, aber Carberrys Tonfall und seine unmißverständliche Haltung ließen ihn Schlimmes ahnen.
3.
Die Schreie der Verfolger gellten in seinen Ohren. Wenn ihre Zahl anwuchs und sie ihn einholten, würden sie ihn übel zurichten. Er gab sich keinen Illusionen darüber hin, was die aufgebrachten Singhalesen mit ihm anstellen würden.
Derartige Gedanken mobilisierten seine letzten Reserven. Zum Glück hatte er lange genug in Tuticorin gelebt und wußte, wohin er sich wenden mußte. Zum Hafen hin wurden die Gassen verwinkelter und unüberschaubarer, dort einen Unterschlupf zu finden, war leichter als anderswo in der Stadt.
Malindi Rama hastete quer durch einen kleinen Krautgarten. Am anderen Ende war ein Gatter. Eine Herde Ziegen blickte ihm entgegen. Ihr helles Meckern, als Malindi das Tor offenstehen ließ, klang dankbar. Prompt liefen sie den wütenden Verfolgern entgegen, die erst mal aufgehalten wurden.
Malindi umklammerte den Lederbeutel, in dem der Backenzahn Buddhas lag. Er glaubte zu spüren, wie neue Kraft auf ihn überströmte. Seine Rückkehr nach Tuticorin hatte er sich zwar anders vorgestellt, aber was konnte er noch daran ändern?
Im Zickzack lief er zwischen Stallungen und baufälligen Lagerschuppen hindurch. Er hätte sich in einem der Gebäude verstecken und auf die Nacht warten können, aber an solchen Orten würde die aufgebrachte Menge wohl zuerst nach ihm suchen.
Irgendwo in der Nähe schnatterten Gänse. Malindi wandte sich in die andere Richtung, setzte über eine Jauchegrube hinweg und zwängte sich zwischen Stößen von Brennholz hindurch.
Die Frau sah er den Bruchteil eines Augenblicks eher als sie ihn. Mit zwei weit ausgreifenden Sätzen war er bei ihr, zog sie an sich und preßte ihr eine Hand auf den Mund, bevor sie schreien konnte. Zweifellos hatte sie die Rufe seiner Verfolger gehört.
Aus schreckgeweiteten Augen starrte sie ihn an und versuchte gar nicht erst, sich aus seinem Griff zu befreien.
„Ist noch jemand im Haus?“ zischte Malindi.
Er verstärkte seinen Griff, als eine Antwort ausblieb. Die Frau, sie zählte höchstens dreißig Jahre, schüttelte endlich den Kopf.
Malindi Rama zog den Dolch, mit dem er das Laderaumschott auf der Schebecke aufgebrochen hatte, und setzte ihr die Klinge an die Kehle.
„Wenn du lügst, wirst du keine Zeit mehr finden, zu bereuen.“
„Niemand“, ächzte sie.
Malindi schob sie unsanft vor sich her – keinen Augenblick zu spät, denn schon erschienen die Verfolger beim Nachbarhaus.
„Du hast mich nicht gesehen, verstehst du!“ Malindi knirschte mit den Zähnen. Er unterstrich seine Forderung mit einer unmißverständlichen Handbewegung.
Die Frau