In Ungnade - Band I. Nataly von Eschstruth

In Ungnade - Band I - Nataly von Eschstruth


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und wenn Sie gestatten, kehre ich während der Dauer Ihrer Unterredung an die Bahre des Verewigten zurück!“

      Aurel nickte schweigend, wie in tiefem Traum, vor sich hin, ein Aufglühen ging durch sein Auge, er hob entschlossen das Haupt. „Gehen wir!“ stiess er durch die Zähne hervor.

      Vor dem Zimmer des Adjutanten stand er plötzlich still und legte die Hand über die Augen. „Ich ersuche Sie um eine Gefälligkeit, Herr Kamerad. Treten Sie vorerst ohne mich ein und melden Sie der Gräfin mein Kommen, dann erst benachrichtigen Sie mich; ich — ich möchte der Dame gern allein gegenübertreten!“

      Parlow blickte den Sprecher frappiert an. Er begriff diesen absonderlichen Wunsch nicht recht, aber er schrieb ihn der momentanen, so sehr hohen Erregung des Bedauernswerten zu, und nach prüfendem Blick in die etwas verstörten Züge, aus welchen die Augen jedoch völlig klar und zurechnungsfähig schauten, trat er mit zustimmendem Gruss nach der Thür.

      Noch einmal hielt ihn Aurel zurück. Seine Stimme klang heiser. „Führt diese Nebenthüre zu Ihrem Schlafzimmer, Herr von Parlow?“

      „Allerdings ...“

      „Ich bin Ihnen eilig gefolgt, die Erregungen der letzten Stunden haben vielleicht Spuren hinterlassen, Sie gestatten noch einen Blick in den Spiegel?“

      Wunderlich! Auf ein derartiges Verlangen hätte der Adjutant den Kameraden in diesem Augenblick am wenigsten taxiert; er begriff nicht, wie ein Mensch inmitten eines solch grossen Seelenschmerzes an derartige Äusserlichkeiten denken konnte, da es aber gar penible Leute gibt, die in keiner Lebenslage die Form verletzen, und es ihm ohnehin natürlich schien, dass man einer Gräfin Vare gegenüber ganz besondere Umstände mache, so riss er voll liebenswürdiger Hast die Thür auf, entzündete schnell ein Licht und flüsterte: „In fünf Minuten hole ich Sie ab!“ Im nächsten Moment war er auf demselben Weg, wie er gekommen, verschwunden.

      Der Spiegel stand vor Buchfeld, aber der Premierleutnant würdigte ihn keines Blickes. Sein Auge überflog das Zimmer. Richtig, eine Seitenthür, welche in das Gemach führt, in welchem Gräfin Vare auf ihn wartet. Er hört, wie sie mit Parlow spricht, eine weiche, tiefklingende Stimme, voll, wie eine Glocke.

      Eine Totenglocke, welche Ortwins Lebensglück zu Grabe geläutet! Aurel presst mit hasszitternden Lippen die Hände gegen die Schläfen. Wehe jenem Weib, wenn sie es ist, die er sucht! Ihn soll keine Maske täuschen, er wird sie ihr von dem Antlitz reissen, ehe sie es ahnt. Und Rache wird er an ihr nehmen, Rache für den Bruder, den sie in den Tod getrieben, und Rache für ihn selbst, den sie durch solch ein Sterben zum haltlosen, wüsten Gesellen gemacht! Aurel fühlt es, an der Bahre droben hat ein Dämon gestanden, der schlug ihm giftige Krallen in das Herz. Er hat ihm die Waffe noch rechtzeitig aus der Hand genommen und ihn erinnert, dass er noch eine Mission auf Erden zu erfüllen habe: Rache! Rache an einem Weib! Wie ein fernes, fernes Echo hallt eine Knabenstimme durch seine Gedanken, die einst voll jubelnder Begeisterung des Ahnherrn Devise wiederholt: „Bin ich ein Schandbub, dass ich ein Weib verrate?!“

      So sprach ein Dahlen. Aber Aurel ist ein Buchfeld, und die Traditionen seiner Familie sind ein wildes, rachelustiges Bekämpfen und Rächen. Ein ungefüges und trutzig rohes Geschlecht sind seine Vorväter gewesen, und ihr später Nachkomme fühlt es in diesem Augenblick, dass auch durch seine Adern das zügellose, leicht gereizte Blut der Ahnen rollt. Es hat sich lang genug verleugnet, nun aber schäumt’s empor, wie der Gebirgsbach, den Wetterfluten unter Donner und Blitz geschwellt haben.

      Nein, er ist kein Dahlen! Er hohnlacht über Memmen, die ihre stolzen Nacken unter einen Pantoffel ducken! Er fragt nicht danach, ob sein Gegner im Stahlkleid oder im Weiberrock vor ihm steht, er packt ihn und schlägt ihn zu Boden! Welch ein kluger Mann würgt Löwe und Tiger und beugt vor der Schlange das Knie?!

      Horch, wie die Stimme drinnen singt und klingt! Eine Lurlei will den arglosen Knaben bethören, dass er auf sie schaut und hört und nicht das Opfer sieht, welches der Abgrund zu ihren Füssen verschlungen! Täusche dich nicht, Verruchte! Die nächste Minute soll’s zeigen, ob du schuldig bist, und ist’s der Fall, dann schlag das Schuldbuch auf, der Bruder des Gemordeten rechnet ab mit dir!

      Die Thür, welche nach dem Flur hinausführt, öffnet sich. „Ist es Ihnen jetzt gefällig, mir zu folgen?“ flüstert Parlow.

      „Ich bin bereit! Verbindlichsten Dank für Ihre Liebenswürdigkeit.“ Und Buchfeld legt die Hand auf die Klinke, welche die Thür nach dem Wohnzimmer öffnet.

      Der Adjutant macht eine jähe Geste. „Bitte, von dem Flur aus einzutreten!“ ruft er leise und hastig. Die weissen Zähne des Kameraden blitzten ihm wunderlich zu, da er das Haupt zum Gegengruss neigt — er hat ihn wohl nicht verstanden — seine hohe Gestalt verschwindet lautlos hinter der grünen Wollportiere.

      „Fatal, die Gräfin erwartet ihn von der anderen Seite!“ denkt Parlow. „Je nun, es ist nicht mehr zu ändern!“ Und er schritt hastig über die Schwelle, die Allmächtige des Hofes voll ritterlicher Aufmerksamkeit an der Treppe zu erwarten.

      Aurel aber war ohne das mindeste Geräusch in das Zimmer getreten, darinnen ihn Gräfin Vare erwartete. Sie stand von ihm abgewandt und schaute nach der Flurthür, sie hörte es nicht, dass Buchfeld eingetreten. Das war’s zum ersten, was er gewollt und bezweckt hatte: einen Blick in das Antlitz dieser Frau, wenn sie sich unbeobachtet glaubt. Er stand und sah sie an. Eine zierliche, mittelgrosse, schlanke Gestalt stützte sich mit kleinen Händen auf einen Sessel; bedurfte sie des Halts für den nächsten Augenblick? Nein, ihre Finger ruhen leicht auf einem Sessel und thuen es nur der anmutigen Stellung wegen. Ein Trauergewand wallt in langen, weichen Falten an ihr nieder und liegt wie ein dunkler Schatten weit über dem Teppich, Kreppschleier umhüllen Hinterhaupt, Nacken und Schultern, und das schwarze Samtdiadem, welches sie auf dem Haupt zusammenhält, gibt der ganzen Erscheinung etwas Majestätisches. Ein feines, bleiches Profil wendet sich dem Beschauer zu. Es scheint kein schönes, aber eigenartiges Angesicht zu sein, welchem es zugehört. Die Augen sind starr nach der Thür gerichtet, die schmalen Lippen fest geschlossen. Weiche, beinahe melancholische Ruhe liegt über der graziösen Gestalt, und Aurel zieht die Brauen finster zusammen — sollte er sich getäuscht haben? Sein Blick streift an ihr nieder und glüht auf. Diese Ruhe ist Verstellung! Der Kleidersaum zittert und regt sich ununterbrochen, weil der Fuss nervös hin und her zuckt. Das ist Diplomatenmanier! Das Gesicht aus Marmor — aber in den Fingern, in den Fussspitzen, da pulsiert das Empfinden, welches man gewaltsam zwingen will!

      Parlows Schritt klingt auf dem Flur. Sie bebt nicht zusammen, sie neigt nur den Kopf wie eine tauschwere Blüte, und ihre Augen öffnen sich weit, mit feuchtschimmerndem Blick. Aber das Geräusch auf dem Korridor verhallt, und statt seiner rauscht eine Portiere leise, ganz leise hinter Gräfin Vare.

      Mechanisch fast wendet sie das Haupt. Aurel steht ihr gegenüber, und sein Antlitz mit den starr blickenden, tief umschatteten Augen, hebt sich geisterhaft bleich von dem dunklen Hintergrund ab.

      Ein Aufschrei, leise und kurz, gellt ihm entgegen. Voll zitternden Entsetzens, die Hände abwehrend erhoben wie in eisigem Grauen, taumelt die Gemahlin des Legationsrats zurück. „Ortwin!“ ringt sich’s von ihren Lippen, und mit aschfahlem Angesicht klammert sie sich an den Schreibtisch, als wolle sie in die Knie zusammenbrechen. Weit aufgerissen haften ihre Augen auf der gespenstischen Erscheinung, und sie wiederholt noch einmal wie im Aufstöhnen voll Todesangst: „Ortwin!“

      Da flackert es in Buchfelds Augen auf wie ein wilder, grausamer Triumph; seine Hand ballt sich über dem Herzen. „Gefunden!“ frohlockt es in seinem Innern, „so kann ein gut Gewissen nicht erschrecken! So zeichnet nur die Schuld das Antlitz ihrer Opfer!“

      Langsam tritt er näher, sich tief, sehr tief vor der Gönnerin seines Bruders zu verneigen. „Vergebung gnädigste Gräfin, wenn Sie mein Eintreten überrascht hat — ich glaubte mich von Herrn von Parlow angemeldet.“

      Seine Stimme klingt ruhig, tief und kalt.

      Die junge Witwe muss eine unglaubliche Selbstbeherrschung besitzen; schon bei dem ersten Laut seiner Worte richtet sie sich hochatmend, jählings empor. Wie fortgehaucht ist der Ausdruck bebender Furcht in ihren Zügen, sie presst nur die beiden Hände gegen die Brust und antwortet


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