In Ungnade - Band I. Nataly von Eschstruth

In Ungnade - Band I - Nataly von Eschstruth


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glichen uns, ohne uns je ähnlich gesehen zu haben!“ entgegnet er düster. „Gnädigste Gräfin werden das am besten beurteilen können, denn, wie ich hörte, hat mein unglücklicher Bruder viel und gern in Ihrem so gastlichen Hause verkehrt!“

      Er spricht monoton, weder in seinem Wesen noch in seinem Blick liegt etwas Verbindliches; steif und finster steht er ihr gegenüber.

      Sie reicht ihm herzlich beide Hände entgegen, aber sie lässt dabei die Wimpern tief über die Augen sinken und sieht ihn nicht an. Ihre Stimme klingt wieder unsicherer.

      „Ja, der arme, unglückliche junge Mann!“ haucht sie, „wer hätte ihn wohl besser gekannt als ich, die ihn voll mütterlicher Freundschaft, dem guten General zuliebe, in meinem Hause aufnahm, wie ein eignes Kind! Ich habe schon viel Schweres im Leben durchlitten, Herr von Buchfeld, aber die Qual jenes Augenblickes, da mir das furchtbare Ende meines armen, armen Dahlens gemeldet wurde, die übersteigt alles Vergangene!“ — Sie spricht wohl die Wahrheit, ein Frösteln geht durch ihre Glieder, und wie sie beinahe gewaltsam die Augen aufreisst, Aurel anzusehen, tritt abermals der Ausdruck des Grauens in ihre farblosen Züge.

      Der Premierleutnant verneigt sich abermals, sein umschatteter Blick haftet regungslos in dem ihren, und es deucht ihm, als gehe ihr solches Anschauen durch Mark und Bein. Da er schweigt, fährt sie voll nervöser Erregung fort: „Vergeben Sie es meiner Aufregung und meinem Schmerz, wenn ich Sie belästige und Sie mit Fragen quäle, Herr von Buchfeld, welche Ihnen vielleicht indiskret erscheinen! Wenn Sie aber wüssten, wie nah Ihr lieber Bruder, dieses junge, harmlose Kind, mir in der Zeit unseres regen Verkehrs getreten, so würden Sie meine Teilnahme begreifen! Nehmen Sie Platz! Lassen Sie mich von allem sprechen, was mein Herz so überhoch erfüllt — und glauben Sie mir, dass Sie die treueste und aufrichtigste Freundin des Verewigten vor sich sehen!“ — Sie reicht ihm abermals, wie mit einem gewaltsamen Ruck die Rechte entgegen und zieht sie schnell, zusammenzuckend, wieder zurück. Was für eine entsetzliche Art und Weise hat dieser Mann, die Hand zu geben! Er führt die ihre nicht galant an die Lippen, er umfasst sie kaum, kalt, leblos; ohne die seine im mindesten Druck zu schliessen, berührt er knapp die schlanke, sonst so devot respektierte und gefeierte Hand der Gräfin. Er murmelt etwas Unverständliches und setzt sich in Entfernung ihr gegenüber an den Tisch. Sein Blick scheint sie zu bannen, der ihre kehrt immer wieder zu ihm zurück, obwohl solch ein Anschauen die Legationsrätin so nervös macht, dass rote Flecken der Erregung auf ihre Wangen treten. Sie will ihn nicht ansehen, aber es liegt etwas Magisches in diesen geisterhaft dunklen Augen — in dem ganzen Angesicht, welches sie durch seine unheimliche Ähnlichkeit mit dem Bruder entsetzt.

      Sie atmet schwer, die Jetperlen glimmern und blitzen auf ihrer Brust. „Hat Ihnen mein armer junger Freund denn nie von mir geschrieben, Herr von Buchfeld, dass Sie mein Kommen begreiflich finden?“ haucht sie, das schwarzgeränderte Taschentuch gegen die Lippen pressend, aber ihr Gesicht erhält einen Ausdruck hoher Spannung, und durch die langen, dunklen Wimpern schillert es lauernd zu ihm herüber.

      „Nein, gnädigste Gräfin! Ortwin kannte mich als einen ausgesprochenen Feind aller Geselligkeit und alles Verkehrs, er hat mich infolgedessen nie mit Themen unterhalten, welche mir seine Briefe verleidet haben würden!“

      Das war sehr unhöflich gesagt, aber es passte so ganz und gar zu diesem steinernen Gesicht, dass die Gräfin, die so unglaublich verwöhnte Allmächtige des Hofes, sehr interessant aufhorchte. Ein schnelles, feines Lächeln ging um ihre Lippen, es sollte wohl wie Wehmut aussehen.

      „So hat er Ihnen über sein Thun und Handeln wohl nur in militärischer Beziehung Mitteilung gemacht?“

      Aurel antwortete abermals durch eine zustimmende Neigung des Hauptes.

      „Glauben Sie — oder wissen Sie vielleicht, ob Ihr Bruder ausser Ihnen noch einen sehr vertrauten Freund besass?“ — Ihre Finger spielten lässig mit dem Taschentuch, aber sie zitterten dabei.

      Er hob jäh das Haupt. „Nein! Warum diese Frage?“ Langsam schlug sie die Augen auf und verschlang die Hände wie in grossem Schmerz. „Weil ich hoffe, durch Sie — oder einen nahestehenden Kameraden Aufschluss über das furchtbare, unbegreifliche Ende meines armen Schützlings zu erhalten!“ rief sie voll Leidenschaft. „Sie glauben gar nicht, wie es mich kränkt und schmerzt, dass ein Freund, wie Ortwin, dem ich in mütterlicher Liebe so nahe stand, dass er mir rückhaltslos alles und jedes anvertraute, was sein Herz und seinen Sinn bewegte, dass der für ewig von mir scheiden konnte, ohne eine Zeile — ein Lebewohl zu senden, welches seine grauenvolle That motiviert!“

      Aurel hatte sich erhoben; er stand regungslos und schaute auf das eigenartige, gefährliche Weib hernieder. Er war nicht Herr seiner Gefühle, er wusste nicht, was sich in seinem Auge spiegelte, er sah nur, dass die Schlange, welche den Liebling ins Herz gestochen, sich unter seinem Blicke wand.

      „Haben Sie, die Fremde, schon ein Recht über solch ein Scheiden zu klagen, was soll ich erst thun, ich, der nie etwas Lieberes gekannt auf der Welt, als wie diesen Bruder, und der ihn auch für ewig von sich lassen musste, ohne eine Silbe zu erfahren, was dieses Kind an Herz und Seele in den Tod getrieben?!“

      „Er hat Ihnen nichts hinterlassen ... keine Papiere, keine Eingeständnisse ... kein .. kein Tagebuch oder Aufzeichnungen?!“ Man hörte das Herz der Fragerin durch ihre Stimme klopfen, ihr Auge hing voll verzehrender Angst an den Lippen des Gegenüberstehenden.

      Der Premierleutnant schüttelte das Haupt. Ein seltsames Zucken ging um seine Lippen und gab dem Gesicht etwas Grausames, Hartes. „Nichts; es liegt ein tiefes, unheimliches Dunkel über der unseligen Veranlassung, welche ihm die Pistole in die Hand gezwungen. Den Freunden und Kameraden meines Bruders ist sein jähes Ende ebenso unbegreiflich wie mir, und da der Grund und die Ursache seiner Handlungsweise weder auf dienstlichem noch pekuniärem Boden zu finden ist, so kann man sie wohl einzig auf dem der Geselligkeit suchen! Ortwin war ein fast täglicher Gast in Ihrem Hause, Frau Gräfin! Wäre es nicht viel natürlicher. Sie stünden jetzt vor mir, nicht um zu fragen, sondern um des Rätsels Lösung zu bringen?“ Er trat ihr einen Schritt näher und neigte sich mit fascinierendem Blick dicht über sie. „Sollten Sie in der That keine — gar keine Mutmassung hegen, wahr und wahrhaftig ahnungslos sein? Denken Sie nach, überschauen Sie im Geist die Stunden, welche der Entschlafene unter Ihrem Dach verlebt, die Gespräche, welche er mit Ihnen geführt, die Geheimnisse seines Herzens, welche er Ihnen anvertraut! — Finden Sie nicht das Samenkorn, aus welchem solch blutige Saat aufspross? Drüben im einsamen Zimmer, nur durch wenig Wände von uns getrennt, liegt der Gemordete und klagt mit schwerer Todeswunde jene Hand an, welche ihn auf solch dunklen Pfad der Verzweiflung gestossen! Es ist mir ein furchtbarer Gedanke, dass diese Hand eine unwürdige, beschmutzte gewesen, und ich würde Gott auf den Knien danken, wenn Ortwin nicht als schlechter, ehrloser Mann in den Tod ging, sondern als ein ritterlicher Sohn seiner Ahnen, — aus unglücklicher Liebe, um eines Weibes willen!“

      Gräfin Vare lag bleich und regungslos, das Haupt zurückgelehnt, in dem Sessel. Ihre Augen starrten voll Grauen in das Gesicht, welches sich wie Ortwins Geist näher und näher, gleich einem erdrückenden Alp, auf sie herab neigte. Sie wollte nicht sehen, aber sie musste es! Ihre Zähne schlugen aufeinander, sie rang in verzweifeltem Kampfe gegen ihr thörichtes, furchtsames Herz. Und da die leise flüsternde Stimme endlich schwieg, riss sie sich gewaltsam empor, fasste den grünen Lampenschirm und hob ihn mit zitternden Fingern von der Kuppel. War es sein gespenstisches Licht, welches solch livide Leichenfarbe über den Sprecher goss?

      Sie atmete schwer auf. Gottlob, die grelle Flamme zeigte ihr nur fremde, vergrämte und verbitterte Züge und verwischte die Ähnlichkeit mit dem Erschossenen; die Gestalt vor ihr war kein entsetzlicher Schemen mehr, sie war ein Mensch von Fleisch und Bein, ein Mensch, dessen Blick nur sah, was vor Augen war, ein armseliger, schwacher Mensch, der keine Rätsel mehr lösen kann, wenn sie mit einem Toten in das Grab gesunken.

      Sie stand hoch aufgerichtet, urplötzlich ganz und gar verändert, vor dem Bruder Dahlens. Ein wunderlicher Ausdruck lag in den graugrün flimmernden Augen, der Blick einer Wildkatze, die ihren Hals noch rechtzeitig aus der gestellten Schlinge zieht. Aber ihre Stimme klang ebenso weich und sympathisch wie zuvor, als sie voll milden Vorwurfs das Haupt schüttelte: „Sie hielten Ihre Worte ganz allgemein,


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