Einfach weitergehen. Gertraud Hofbauer
Mein 50. Geburtstag Ende Oktober rückt näher und damit auch die Frage, wie ich diesen Tag verbringen will.
Auf keinen Fall beabsichtige ich, am jährlichen Leonhardiritt teilzunehmen. Natürlich würde ich hier unzählige Bekannte treffen und viele Gratulationen erhalten, aber an diesem besonderen Tag möchte ich etwas machen, das mein Herz erfüllt.
Mein Mann Rupert ist mit Leib und Seele Vorstand des hiesigen Schützenvereins. Dazu gehört für ihn unter anderem auch die Organisation an der Teilnahme dieses Festes und ein Fehlen seinerseits hatte es bisher noch nie gegeben. Ich weiß, wie wichtig dieser Tag für ihn ist.
Und mein Geburtstag fällt diesmal genau auf diesen Tag!
Mit einem langgezogenen »Duhu?« beginne ich also das Gespräch. Er sieht mich über den Rand seiner Lesebrille an und ihm ist klar, dass ich etwas von ihm will: »Mein Geburtstag fällt dieses Jahr genau auf den Leonhardiritt und dort möchte ich ihn ganz sicher nicht verbringen. Da ich aber weiß, wie wichtig dieser Tag für dich ist, habe ich mir überlegt, ich könnte ein Wellnesswochenende mit einer Freundin buchen. Ich würde Astrid fragen.«
Mit einem breiten Grinsen fahre ich fort: »Oder wir zwei fahren über das Wochenende fort?«
Von meinem ohnehin schweigsamen Mann kommt nur ein langes »hmm«, dann liest er weiter. Er muss nachdenken.
Ein paar Tage später hake ich nach: »Was hältst du denn von meinem Vorschlag, zu zweit für ein paar Tage zu verreisen?«
»Wo möchtest du denn hinfahren?«, kommt die interessierte Gegenfrage.
»Das ist mir egal, ich würde einfach nur gerne wieder einmal Zeit mit dir allein verbringen«, erwidere ich und weiß gleichzeitig, dass er sich etwas überlegen wird. Wir hatten in unseren 29 Jahren Ehe noch nie längeren Urlaub gemacht, das längste waren vier Tage Hamburg. Umso mehr überrascht mich wenige Tage später sein Vorschlag, eine Woche Urlaub in Nordzypern zu verbringen. Dies sollte gleichzeitig unsere nachgeholte Hochzeitsreise werden, die wir nie gemacht hatten.
Die Kinder freuen sich mit uns und amüsieren sich gleichzeitig über mich, weil sie ahnen, dass ich sie bereits am ersten Tag vermissen werde.
Wir leben in unserem Haus auf dem Land und unsere 28-jährige Tochter wohnt mit ihrer Familie direkt neben uns. Unsere Söhne sind mit 22 und 16 Jahren noch zu Hause und jeder versteht sich mit jedem prächtig.
Die Planungen und Vorbereitungen laufen an, mein Mann bucht online ein Hotel, das auch deutschsprachige Mitarbeiter hat, ansonsten ist die Landessprache türkisch, viele Leute sprechen außerdem englisch. Ich hoffe, dass mein Englisch zur Verständigung ausreicht, und so lassen wir uns auf dieses Abenteuer ein und freuen uns auf den bevorstehenden Urlaub.
Kleine Hinweise der Seele
Unsere Hotelanlage ist wunderschön. Wir haben ein Zimmer mit Balkon und Meerblick und sind in fünf Minuten am Strand. Die Umgebung und die Sehenswürdigkeiten erkunden wir auf eigene Faust und fast täglich gehen wir in das kleine Hafenstädtchen Girne oder fahren mit dem hoteleigenen Shuttlebus dorthin.
Am ersten Tag beschließen wir, mit der EC-Karte vom Bankautomaten Türkische Lira zu besorgen, auch wenn wir überall mit Euro bezahlen könnten.
Zu unserem großen Entsetzen zieht der Automat die Karte ein!
Es bleibt uns nichts anderes übrig, als dass Rupert bei dem Automaten wartet, während ich in die Bank gehe und unser Missgeschick erkläre. Der freundliche Angestellte holt unsere Karte, ich winke Rupert herein und bevor er sie ausgehändigt bekommt, muss er noch ein Formular unterschreiben, da es seine Karte ist. Wir bekommen außerdem mitgeteilt, dass wir von nun an von jedem Automaten dieser Bank Geld abheben können.
Am Abend schreiben wir eine SMS nach Hause und ernten für diesen amüsanten Zwischenfall natürlich jede Menge lustige Kommentare.
Bei einer leichten Steigung des Weges bittet mich Rupert, kurz Pause zu machen und langsamer zu gehen, da er ein Druckgefühl auf dem Herzen verspüre. Ich bekomme einen enormen Schreck und schlage ihm vor, sofort zum Arzt zu gehen, aber er weigert sich vehement und meint nur, dass er das schon öfter gehabt habe und es stets gleich wieder verginge. Alles Zureden bleibt erfolglos.
Zu Hause würde ich ihn schon zu einem Arztbesuch überreden können.
Es ist mein 50. Geburtstag! Wir bummeln am Vormittag durch Girne. Zu Hause ist Leonhardiritt und wir amüsieren uns, als Georg, unser Jüngster, zweimal auf Ruperts Handy anruft, um etwas bezüglich des Festes zu fragen. Nur meinen Geburtstag hat er vergessen.
Insgeheim warte ich auf einen Anruf der Kinder, aber nichts rührt sich. Bis zum Nachmittag ist meine Enttäuschung so groß, dass mein Mann bei Georg anruft und ihn darauf hinweist, mich anzurufen.
Ich möchte keine aufgeforderten Glückwünsche! Auf diese Weise haben sie keinen Wert!
Die Kinder rufen an, aber ich kann mich nicht darüber freuen. Nach den angeordneten Glückwünschen nimmt mich Rupert in die Arme und ich lasse meine Tränen der Enttäuschung fließen.
Ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass mir meine Tochter sogar ein Video mit den Enkeln geschickt hatte, welches wir jedoch auf Grund der schlechten Verbindung nicht erhalten hatten. Ich werde es erst zu Hause sehen.
Wir besichtigen in dieser Woche Kirchen, alte Festungen und Moscheen, bummeln durch die geteilte Hauptstadt Nikosia und besuchen ein Museum. Aber unser Lieblingsort ist der kleine, malerische Hafen von Girne.
»Ich möchte mir gerne eine Kette kaufen«, teilt Rupert mir hier beim Bummeln mit.
»Welche Kette?«
»Eine silberne mit Kreuzanhänger.«
Wir suchen nach Schmuckgeschäften und finden im zweiten Geschäft eine Kette. Kreuze gibt es hier allerdings nirgends. »Dann kaufen wir eben zu Hause noch ein Kreuz dazu«, schlage ich vor und Rupert ist einverstanden.
Von unserem Balkon aus sehen wir auf den Pool und kommen auf die Kinder zu sprechen. Rupert erzählt, was er an jedem Einzelnen von ihnen besonders schätzt, einschließlich unseres Schwiegersohnes.
Es ist ungewöhnlich, da er in dieser Hinsicht eigentlich kein Mann vieler Worte ist. Dann ergänzt er unvermittelt: »Du musst unsere Kinder mehr loslassen. Sie sind nicht mehr so klein und brauchen uns auch nicht mehr ständig. Und auch mich musst du mehr loslassen, darfst mich nicht so festhalten.«
Mir kommen die Tränen und ich entgegne, dass von Festhalten wohl keine Rede sein könne, da er durch seine Arbeit und Vereinsarbeit ohnehin weit mehr Zeit außer Haus verbringe als daheim.
Das ganze Gespräch verläuft trotz der intensiven Gefühle friedvoll und vor allem äußerst ungewöhnlich.
Es ist unser letzter Abend und wir sitzen an unserem kleinen Tisch beim Abendessen. Es liegt eine ruhige und liebevolle, fast zauberhaft wirkende Stimmung in der Luft. Als säßen wir alleine unter einer unsichtbaren Glocke. Nachdem wir mit dem Essen fertig sind und wir nur noch unsere Getränke vor uns stehen haben, bemerke ich, wie Rupert mich auf ungewöhnliche Weise betrachtet: »Was ist los?«, frage ich amüsiert.
»Nichts«, bekomme ich lächelnd zur Antwort und es fällt mir schwer, seinem Blick standzuhalten. Sein Lächeln ist versonnen und sein Blick erfüllt von tiefster Liebe, und es fühlt sich an, als blicke er direkt tief in meine Seele. Ich werde etwas verlegen und fange an, an der Tischdecke zu nesteln, woraufhin er mich nur noch liebevoller anlächelt. Lange hält er diesen Blick und das versonnene Lächeln. Es bleibt unvergessen.
Später am Abend sitzen wir auf der Terrasse und trinken Cocktails. Unsere Stimmung ist heiter und ausgelassen und wir lachen in Erinnerung an die vielen gegenseitigen Streiche, die wir vor Jahren gemeinsam mit unseren Nachbarn erlebten.
»Wir haben davon doch bestimmt noch viele Fotos«, überlegt Rupert.
»Ja, haben