Einfach weitergehen. Gertraud Hofbauer

Einfach weitergehen - Gertraud Hofbauer


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du was? Die suchst du zu Hause raus und dann setzen wir uns mit unseren Nachbarn zusammen. Das wird bestimmt ein sehr lustiger Abend!«

      »Ja, das ist eine tolle Idee!«

      »Du musst dir das unbedingt merken! Nicht vergessen!«

      »Ja, ich denke schon daran!«

      Mit dieser beschwingten Stimmung gehen wir anschließend ins Bett und freuen uns schon wieder auf daheim und die Kinder.

       Im Flugzeug

      Es ist noch dunkel, als wir am Hotel abgeholt und zum Flughafen gefahren werden. Im Duty Free Shop sind um diese Zeit nur wenige Leute und wir wollen hier zwei Stangen Zigaretten besorgen. Da wir um diese frühe Morgenstunde beide noch nicht sehr gesprächig sind, bummeln wir fast schweigsam durch den Shop. Rupert kauft schließlich nur eine Stange und meint, dass diese genüge. Ich wundere mich etwas, aber es ist mir egal. Anschließend gehen wir über den Flugplatz zum Flugzeug und steigen ein.

      Im Handgepäck haben wir nur meine Handtasche und jeder eine Jacke für die Ankunft, da wir den 30. Oktober haben. Am Abend wollen wir mit den Kindern meinen Geburtstag nachfeiern und essen gehen. Den Tisch haben sie bereits reserviert und wir freuen uns auf das Wiedersehen.

      Nachdem ich unsere Jacken verstaut und Platz genommen habe, bemerke ich mit einem Blick auf meinen Mann, der am Fenster sitzt, dass er sich offensichtlich nicht wohl fühlt.

      »Geht’s dir nicht gut?«

      »Ich habe wieder diesen Druck auf der Brust«, erwidert er leise.

      »Dann lass uns jetzt sofort aussteigen! Du musst zum Arzt!«

      »Nein, das vergeht schon wieder«, bekomme ich unwillig zur Antwort.

      »Doch, du musst aber unbedingt zum Arzt!«, dränge ich. »Seit wann spürst du denn den Druck?«

      »Seit dem Duty Free Shop.«

       Aha, deshalb also nur eine Stange Zigaretten!

      »Komm, bitte lass uns aussteigen«, hake ich nach.

      »Jetzt hör auf, ich geh dann übermorgen zu Hause zum Arzt!«

      »Nein, dann geh wenigstens gleich heute noch«, bitte ich eindringlich.

      »Ich hab vor übermorgen keine Zeit! Morgen muss ich erst arbeiten und möchte dann hinterher im Stüberl noch etwas fertig machen.« (Das Stüberl ist unser neuer Aufenthaltsraum in unserer Vereinsgaststätte).

      Naja, wenn er das alles noch vorhat, wird es vielleicht doch nicht so schlimm sein, hoffe ich, sonst wäre er beunruhigter.

      Nur wenige Sekunden später blicke ich in sein angespanntes Gesicht und nehme wahr, dass seine Gesichtsfarbe aschfahl geworden ist.

       Er stirbt!

      Für den Bruchteil einer Sekunde taucht eine Todesahnung auf. Er gibt die Schmerzen zu und im nächsten Augenblick stehe ich auf, hebe meine Hand und rufe laut: »I need your help!«

      Eine Flugbegleiterin kommt auf uns zu und ich sage ihr auf englisch, dass mein Mann, der jetzt nur noch stöhnt, einen starken Druck auf dem Herzen und vermutlich einen Herzinfarkt habe und wir schnell einen Arzt bräuchten.

      Während sie nach vorne läuft und telefoniert, frage ich, ob ein Arzt unter den Passagieren sei. Es meldet sich tatsächlich einer und gibt meinem Mann nach dem Messen des Blutdruckes aus dem Erste-Hilfe-Koffer der Stewardess einen Hub Nitrospray.

      Ich kann den Wettlauf gegen die Zeit fühlen, alles in mir krampft sich zusammen und ich habe das Gefühl, es gehe nichts vorwärts im Cockpit. Ich will ruhig bleiben für ihn und kämpfe gleichzeitig gegen die Panik, die sich in mir ausbreiten will.

      Dann endlich geht es weiter. Ein Arzt kommt mit einem Rollstuhl und mein Mann setzt sich unter verhaltenem Stöhnen um, während ich unsere Jacken und meine Handtasche schnappe. Vor dem Aussteigen werde ich noch nach der Beschreibung unserer Koffer gefragt und nehme gleichzeitig wahr, wie eine Frau mir zuruft: »Alles Gute, auch für Sie!«

      Der Moment, in dem wir das Flugzeug verlassen, fühlt sich an, als würde ich den Boden unter den Füßen verlieren. Mir ist klar, wir brauchen zwei neue Flüge, unsere Konten sind überzogen und wir haben keine Bleibe mehr. Ich weiß nicht, wo ich in der jeweils nächsten Minute sein werde und habe keine andere Wahl, als mich fallen zu lassen in dieses Nichts. Zeitgleich breitet sich das unklare Gefühl in mir aus, geführt zu sein.

       Der Herzstillstand

      In Zypern herrscht Linksverkehr. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und blicke immer wieder nach hinten.

       Wieso fahren wir nicht schneller?

      Es scheint alles viel zu langsam zu gehen.

      Mein Mann krümmt sich mittlerweile vor Schmerzen und macht mit seinem Bein eine Bewegung, als ob er diesen Wahnsinn wegstoßen wolle. Der Arzt schiebt ihm eine Schmerztablette (wie ich auf Nachfrage erfahre) in den Mund und legt ihm eine Kanüle für eine Infusion, während ich versuche, Rupert gut zuzureden, dass die Tablette sicher bald wirken würde. Vielleicht geht es mir aber auch nur darum, mich selbst zu beruhigen.

      Während der gesamten Zeit kann ich bei Rupert keinerlei Angst sehen oder fühlen, dazu sind vermutlich seine Schmerzen viel zu groß.

      Im Krankenhaus angekommen, wird in der Aufnahme sofort ein EKG geschrieben. Ich stehe an Ruperts Fußende und meine Hände liegen auf seinen Unterschenkeln, während der neben ihm stehende Arzt mit ernster Miene das EKG betrachtet.

      Im selben Augenblick muss ich mit ansehen, wie mein Mann plötzlich seine Augen verdreht und gleichzeitig Kopf und Körper überstreckt, während ein gequälter, unmenschlicher Schrei aus seiner Kehle dringt. Es klingt, als würde ihm jemand seine Seele herausreißen und er mit letzter Kraft dagegen ankämpfen.

      Er hat einen Herzstillstand!

      Ich will schreien, stehe wie erstarrt und sehe und höre lediglich, wie die Schwester mich wiederholt liebevoll aus dem Raum bittet.

      Immer wieder schüttele ich den Kopf, während ich weiterhin seine Beine halte: »I don’t cry, I don’t cry«, stammele ich nur.

      Schließlich verlasse ich doch den Raum und setze mich davor auf eine Bank.

      »Bitte lass ihn nicht sterben, bitte, bitte!« Immer wieder dieselben Worte. Ich kämpfe gegen meine aufsteigende Panik an.

      Endlich öffnet sich die Tür.

      Rupert ist intubiert und während zwei Ärzte versuchen, ihn zu reanimieren, wird er gleichzeitig wieder in den Rettungswagen geschoben und ich muss abermals auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Der Fahrer erklärt mir, dass es in diesem Krankenhaus keine Intensivstation gäbe und wir jetzt deshalb auf dem Weg in ein anderes Krankenhaus seien. Während der ganzen Fahrt sehe ich zu, wie mein Mann hinter mir von den zwei Ärzten reanimiert wird und habe dabei das Gefühl, ihn zu verlieren.

       Im Krankenhaus in Nikosia

      Im nächsten Krankenhaus angekommen, wird Rupert fast im Laufschritt durch eine breite, sich automatisch öffnende Glastüre geschoben, während ich davor Platz nehmen und warten muss.

      Ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dies ein Abschied für immer ist.

      Nachdem die Formalitäten erledigt sind, erkundige ich mich, wie ich jetzt zu meinem Mann gelangen würde. Zu meinem Entsetzen bekomme ich mitgeteilt, dass man in die Intensivstation nicht hineindürfe, da man Keime einschleppen könne.

      Panik steigt auf!

      Ich überlege kurz, ob ich mich auf eine Diskussion einlassen und erklären soll, dass dies bei uns durchaus erlaubt


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