Die Erde. Emile Zola

Die Erde - Emile Zola


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In der Hinrichtungsnacht prügelten sich die Scharfrichter von Chartres und Dreux beim Teilen der alten Kleidung der Geköpften unter dem vom Blut roten Schaffott.

      Anläßlich eines Mordes, der in der Gegend von Janville begangen worden war, erzählte Fouan also wiederum einmal von den Schandtaten auf dem Pachthof Millouard; und er war gerade bei der vom Roten aus Auneau im Gefängnis verfaßten Beschwerde angelangt, als seltsame Geräusche auf der Dorfstraße, Schritte, Stöße, Flüche, die Frauen in Schrecken versetzten. Erbleichend spitzten sie die Ohren, in dem Grauen, gleich eine Woge schwarzer Männer unvermutet hereinplatzen zu sehen. Tapfer ging Geierkopf zur Tür und öffnete.

      „Wer kommt da?“

      Und man erblickte Bécu und Jesus Christus, die nach einem Streit mit Macqueron eben die Schenke verlassen und dabei die Karten und eine Kerze mitgenommen hatten, um anderswo die Partie zu Ende zu spielen. Die beiden waren so besoffen und man hatte solche Angst ausgestanden, daß alle anfingen zu lachen. „Kommt trotzdem rein und seid vernünftig“, sagte Rose und lächelte ihrem großen Taugenichts von einem Sohn zu. „Eure Kinder sind hier, ihr werdet sie nachher mitnehmen.“

      Jesus Christus und Bécu setzten sich in der Nähe der Kühe auf die Erde, stellten die Kerze zwischen sich und spielten weiter: und Trumpf und Trumpf und Trumpf! Aber die Unterhaltung hatte sich etwas anderem zugewandt, man sprach von den Burschen des Ortes, die zur Auslosung mußten, von Victor Lengaigne und drei anderen. Die Frauen waren ernst geworden, Traurigkeit ließ die Worte versiegen.

      „Das ist kein Spaß“, fing Rose wieder an, „nein, nein, kein Spaß, für niemand!“

      „Ach, der Krieg“, murmelte Fouan, „der richtet schon Leid an! Das ist der Tod für die Äcker. Ja, wenn die Burschen hinausziehen, gehen die besten Arbeitskräfte weg, man sieht das gut bei der Arbeit; und wenn sie wiederkommen, freilich, dann haben sie sich verändert, steht ihnen das Herz nicht mehr nach dem Pflug ... Besser die Cholera als der Krieg.“

      Fanny hörte auf zu stricken.

      „Ich“, erklärte sie, „ich will nicht, daß Nénesse hinauszieht ... Herr Baillehache hat uns einen Trick erklärt, so was wie eine Lotterie: man tut sich zu mehreren zusammen, jeder zahlt eine Summe Geldes an ihn, und die, auf die das Los fällt, werden wieder freigekauft.“

      „Dazu muß man reich sein“, sagte die Große trocken.

      Aber Bécu hatte zwischen zweimaligem Abheben der Karten ein Wort aufgeschnappt.

      „Der Krieg, ach, du meine Güte! Der macht erst richtige Männer! – Wenn man nicht dabeigewesen ist, kann man’s nicht wissen. Es gibt nur eins, sich einen Dreck um Schüsse scheren ... Na? Da unten bei den Mulatten ...“

      Und er zwinkerte mit dem linken Auge, während Jesus Christus mit verständnisvoller Miene grinste. Beide hatten die Feldzüge in Afrika mitgemacht, der Feldhüter gleich in der ersten Zeit der Eroberung, der andere später bei den letzten Aufständen. So hatten sie trotz der verschiedenen Zeitabschnitte gemeinsame Erinnerungen an abgeschnittene und als Rosenkränze auf Schnüre gezogene Beduinenohren, an Beduininnen mit ihrer eingeölten Haut, die man sich hinter den Hecken schnappte und denen man sämtliche Löcher zustopfte. Jesus Christus besonders erzählte immer wieder eine Geschichte, bei der sich die Bäuche der Bauern vor ungeheurem Gelächter blähten: eine große zitronengelbe Stute von Frau, die man splitternackt mit einer Pfeife im Hintern rennen ließ.

      „Himmelsakrament!“ fuhr Bécu fort und wandte sich an Fanny. „Ihr wollt also, daß Nénesse ein Mädchen bleibt? – Ich werde Delphin schon zum Kommiß bringen, ich!“

      Die Kinder hatten aufgehört zu spielen; Delphin, dieses Bürschchen, in dem schon ein richtiger Bauer steckte, hob seinen runden und derben Kopf.

      „Nein!“ erklärte er rundheraus mit starrköpfiger Miene.

      „He? Was sagst du? Ich werd dir Mut beibringen, schlechter Franzose!“

      „Ich will nicht fortziehen, ich will bei uns daheim bleiben.“ Der Feldhüter holte aus mit der Hand, da hielt Geierkopf ihn auf.

      „Laßt doch den Jungen in Ruhe! – Er hat recht. Braucht man ihn denn? Es gibt andere ... Hat sich was, daß man zur Welt kommt, um sein Fleckchen Erde aufzugeben, um loszuziehen und sich die Fresse einschlagen zu lassen wegen eines Haufens Geschichten, um die man sich nicht schert. Ich, ich bin nicht aus der Gegend fortgekommen, mir geht es deswegen nicht schlechter.“

      Tatsächlich hatte er eine gute Nummer gezogen, er war ein Mann der Scholle, dem Boden verhaftet, kannte nur Orleans und Chartres und hatte jenseits des flachen Horizonts der Beauce nichts gesehen. Und er schien sich damit zu brüsten, so mit dem beschränkten und ausdauernden Starrsinn eines Baums in seiner Erde gesprossen zu sein. Er hatte sich aufrecht hingestellt, die Frauen schauten ihn an.

      „Wenn sie vom Militärdienst heimkommen, sind sie alle so mager!“ wagte Lise zu flüstern.

      „Und Ihr, Korporal“, fragte die alte Rose, „seid Ihr weit herumgekommen?“

      Jean, der ein nachdenklicher Bursche war und lieber zuhörte, rauchte wortlos. Er nahm langsam seine Pfeife aus dem Mund.

      „Ja, so ziemlich ... Auf der Krim allerdings nicht. Ich mußte weggehen, als Sewastopol genommen wurde ... Aber später in Italien ...“

      „Und wie ist das, Italien?“

      Die Frage schien ihn zu überraschen, er zögerte, durchwühlte seine Erinnerungen.

      „Aber Italien, das ist doch wie bei uns. Da gibt’s Äcker, da gibt’s Wälder mit Flüssen ... Überall ist es dasselbe.“

      „Ihr habt also dort gekämpft?“

      „Ach ja, gekämpft, na klar!“

      Er hatte wieder angefangen seine Pfeife zu schmauchen, er beeilte sich nicht; und Françoise, die aufgeblickt hatte, wartete mit halb offenem Mund auf eine Geschichte. Übrigens zeigten alle Interesse, die Große versetzte sogar dem Tisch einen neuen Stockhieb, um Hilarion zum Schweigen zu bringen, der wimmerte, weil sich Bangbüx das Spielchen ausgedacht hatte, ihm heimtückisch mit einer Nadel in den Arm zu stechen.

      „Bei Solferino da ging’s tüchtig heiß her, und es regnete dabei, oh, es regnete ... Ich hatte keinen trockenen Faden am Leibe, das Wasser lief mir am Rücken rein und floß in meine Schuhe ... Wir sind durchgeweicht worden, das kann man ohne zu lügen sagen!“

      Man wartete, was nun noch kommen würde, aber er fügte nichts hinzu; nur das hatte er von der Schlacht gesehen. Nach einer Minute Schweigen fing er mit verständiger Miene wieder an:

      „Mein Gott, der Krieg, das ist nicht so schwierig, wie man glaubt ... Das Los fällt auf einen, nicht wahr? Man ist schon gezwungen, seine Pflicht zu tun. Ich, ich habe den Militärdienst aufgegeben, weil mir anderes lieber ist. Bloß für den kann das noch was Gutes haben, dem sein Beruf zuwider ist, und für den, der wütend wird, wenn der Feind kommt, um uns in Frankreich anzuscheißen.“

      „Trotzdem eine dreckige Sache!“ schloß Vater Fouan ab. „Jeder sollte sein Zuhause verteidigen und nicht mehr.“

      Abermals herrschte Schweigen. Es war sehr warm, eine feuchte und lebendige Wärme, die noch verstärkt wurde durch den starken Geruch der Streu. Eine der beiden Kühe, die sich aufgestellt hatte, mistete sich aus; und man hörte das sanfte und rhythmische Geräusch breitklatschender Kuhfladen. Aus der Nacht des Gebälks klang das schwermütige Zirpen einer Grille herab, und die flinken Finger der Frauen, die die Nadeln ihres Strickzeugs bewegten, schienen mitten in all diesem Schwarz riesige Spinnenbeine die Wände entlanglaufen zu lassen.

      Palmyre, die die Lichtputzschere zur Hand genommen hatte, um den Docht der Kerze abzuschneiden, schnitt ihn so tief ab, daß sie sie auslöschte. Das gab Geschrei, die Mädchen lachten, die Kinder stachen Hilarion mit der Nadel in eine Arschbacke; und die Dinge hätten eine Wendung zum Schlimmen genommen, wenn die Kerze von Jesus Christus und Bécu, die über ihren Karten dösten, nicht trotz ihres langen, zu einem roten Pilz verbreiterten Dochts dazu gedient hätte, die andere wieder anzuzünden. Erschüttert


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