Der letzte Leopard. Lauren St John
die Schranke an und winkte sie durch. Endlich bauten sich die Matobo-Berge vor ihnen auf.
Martine war darauf gefasst gewesen, dass sich der Nationalpark als Enttäuschung herausstellen könnte. Aber sie brannte darauf, mehr über den verlorenen Schatz des Ndebelekönigs zu erfahren. Was die Felsen anging, war sie überzeugt, dass diese massiv überschätzt wurden. Wie interessant konnten ein paar Felsbrocken denn schon sein? Sie hatte damit gerechnet, ein paar wenige dieser isoliert dastehenden Felshügel zu Gesicht zu bekommen, die man in Südafrika Kopjes oder auch Inselberge nannte, vielleicht mit einem Denkmal oder zwei oder drei aufeinanderliegenden Felsstücken auf ihrer Spitze. Doch in Wirklichkeit schweifte ihr Blick nun über Hunderte, wenn nicht gar Tausende geologischer Naturwunder.
Überall türmten sich Säulen übereinandergestapelter Felsbrocken auf. Einige schienen sich über die Schwerkraft hinwegzusetzen, andere balancierten auf kleinsten Standflächen, auf denen sich nicht einmal Vögel hätten festklammern können. Es gab einzelne Felsen, die so breit und hoch waren wie Berge, während andere wie Tiere, Burgen oder Gesichter aussahen. Einige waren von dicken Schichten jade- und silberfarbener Flechten überzogen, andere trugen Flecken in Orange- und Kalktönen, als hätten sie im Regen Rost angesetzt. Wieder andere waren glatt, grau und nackt mit geheimnisvollen Zwischenräumen wie Tunnels oder Höhlen oder enormen, von Regenwasser gespeisten Vertiefungen, so groß wie Olympiaschwimmbecken. Zwischen den Felsformationen und um sie herum schoss der afrikanische Busch in die Höhe.
Der Anblick, den die drei für sich völlig allein genießen konnten, war atemberaubend.
«Eigentlich würde man erwarten, an einem solchen Ort eine ganze Menge Touristen anzutreffen», bemerkte Ben.
«Würde man», stimmte ihm Gwyn Thomas zu. «Aber ich denke, die Leute fahren nicht gerne an einen Ort, an dem das Benzin so knapp ist. Und ich muss gestehen, dass es auch mich allmählich etwas nervös macht.»
Die untergehende Sonne tauchte die Spitzen der Felsformationen in ein kupferfarbenes Licht. Martine war noch nie an einem derart wilden, einsamen Ort gewesen. Daneben erschien ihr Sawubona zahm wie ein Vorstadtgarten.
«Dort drüben», sagte Ben. Ein Kudubulle und zwei Kühe beobachteten sie aus großen, mandelförmigen Augen. Der vorbeifahrende Landrover schreckte sie auf und ließ sie durch den Busch davonstieben.
Gemäß der Karte des Parkwächters mussten sie kurz nach einem Affenbrotbaum abzweigen. Gwyn Thomas steuerte das Fahrzeug von der Hauptstraße auf einen stets schlechter werdenden Fahrweg. Die Nadel der Benzinanzeige verschwand immer tiefer im roten Bereich. Auch wenn sie es alle drei wahrnahmen, sagte niemand ein Wort. Die Felstürme schienen sie zu umzingeln. Die Schlaglöcher und Krater wurden immer tiefer. Martine war überzeugt, dass ihr bei diesem Gerumpel noch alle Zähne ausfallen würden. Gwyn Thomas tat ihr Bestes, den schaukelnden Landrover unter Kontrolle zu halten. Martine hatte Mitleid mit ihr, denn sie war offensichtlich am Ende ihrer Kräfte.
Nach knapp zwei Kilometern wurde der Weg ebener und sandig. Sie fuhren an einem Dorf mit fünf Lehmhütten vorbei. Ngoni-Rinder mit weit ausladenden Hörnern und Fellzeichnungen, so hübsch, als wären sie von Künstlern gestaltet worden, ruhten im Staub. Wiederkäuend und schläfrig blickten sie dem vorbeifahrenden Landrover hinterher.
Bei einem Weidegatter und einem Viehrost am Dorfausgang stand auf einem Schild in unbeholfenen Lettern, dass die Black Eagle Lodge noch eine Meile entfernt war.
Gwyn Thomas atmete auf. «Gott sei Dank. Geschafft. An diesem abgelegenen Ort wird Sadie bestimmt etwas Benzin auf Lager haben.»
Ben sprang aus dem Landrover, um das Drahtgatter zu öffnen. Die Fahrstraße war am Rand von Gras überwuchert, und die Äste der dicht auf beiden Seiten wachsenden Bäume strichen über das Dach des Fahrzeugs. Immer wenn die Reifen des Landrovers über Samenhülsen rollten, ertönte ein knackendes Geräusch. Sonst war es ruhig, windstill und schwül.
Martine hielt es im Auto beinahe nicht mehr aus. Sie war froh, als sie schließlich um eine Kurve auf eine Lichtung fuhren, die am Fuße einer mächtigen Bergflanke lag. Die Erhebung erinnerte in ihrer Form an einen Elefanten und bestand aus einer einzigen enormen Granitplatte. Am Rande der Lichtung standen vereinzelte Steinhütten mit eingefallenen, vom Regen geschwärzten Strohdächern. Weit oben kreisten zwei schwarze Adler. Ansonsten war kein Zeichen von Leben zu erkennen.
Martine, die mit ihren Augen die leere Szenerie absuchte, war von der Stille beeindruckt, die auch etwas Unheimliches an sich hatte. Die Stille war so durchdringend, dass Martine sie beinahe berühren und riechen konnte. Sie hing wie ein flatternder Nebelmantel in der Luft. Martine wäre nicht überrascht gewesen, wenn jenseits des Berges nichts mehr gewesen wäre, wenn die Landschaft hier aufgehört hätte. Mit einem Schaudern fragte sie sich, ob sie nicht vielleicht vom Weg abgekommen und am Ende der Welt gelandet waren.
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