Handbuch Eigentumswohnung. Werner Siepe
Zunahme der Bevölkerungskonzentration zur Folge, und die wurde in wilhelminischer Zeit überwiegend vom privat finanzierten Mietwohnungsbau aufgefangen. Das ist eine Besonderheit gegenüber den europäischen Nachbarstaaten, in denen sich andere Eigentumsformen auch in den Großstädten schon früher durchsetzten.
Eine zweite Ursache ist der deutsche Mietwohnungsmarkt selbst. Er ist zwar reguliert, aber er funktioniert im europäischen Vergleich außerordentlich gut. Über Jahrzehnte ist es mittels Gesetzgebung und fiskalischer Steuerung gelungen, einen Interessenausgleich zwischen den Marktteilnehmern zu erreichen und dieses Gleichgewicht bei allen Schwankungen und trotz starker Interessenskonflikte in den Ballungsgebieten bis heute zu erhalten. Der Wohnungsmarkt besitzt in Deutschland eine starke soziale Komponente, aber er lebt nicht ausschließlich von diesen Sozialbindungen. Im europäischen Vergleich besitzen Mietwohnungen in Deutschland auch einen hohen Standard.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den Westzonen für 14,6 Millionen Haushalte nur 9,4 Millionen Wohnungen. Der Fehlbestand war im Grunde noch größer, denn in die Summe der „Wohnungen“ waren Behelfsheime wie Baracken und Gartenlauben eingeschlossen. Fünf Personen teilten sich statistisch gesehen eine Wohnung, pro Person standen 15 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung. Drei alternative Wege der Wohnungsbauförderung boten sich an:
Man entschied sich für den Weg der Objektförderung. Aus Haushaltsmitteln des Bundes wurden zinslose Baudarlehen mit Tilgungsfristen von 30 bis 35 Jahren an private Investoren vergeben. Im Gegenzug verlangte man den Investoren für die Dauer der Förderung eine Sozialbindung ab:
Diese Direktsubventionen trieben den sozialen Wohnungsbau innerhalb kurzer Zeit an. Damit war aber auch der Anteil der privaten Bautätigkeit im Wohnungsbau von Anfang an sehr hoch und stieg in der Folgezeit weiter an: In der Mobilisierung privater Investoren für den Mietwohnungsbau liegt die zweite historische Ursache dafür, dass in (West-)Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ein dynamischer Mietwohnungsmarkt entstand. Dazu trug auch die flexible Handhabung der Mietpreisbindung bei, die in Deutschland die Marktmechanismen nicht aushebelte. Der sozialpartnerschaftliche Kompromiss bestand darin, dass die Investoren etwas verdienen und die Mieter dennoch günstig wohnen konnten. In anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Großbritannien führten starre Regulierungen der Wohnungsmieten dazu, dass sich private Investoren mehr und mehr aus dem Mietwohnungsmarkt zurückzogen und die „Sozialwohnung“ zu etwas Anrüchigem wurde, das ihre Bewohner regelrecht stigmatisierte.
Vorläufer: Das Stockwerkseigentum
Der Prager Schriftsteller und promovierte Jurist Max Brod (1884–1968) beschreibt in seinem Roman „Ein Sommer, den man sich zurückwünscht“ die Verhältnisse im Jahr 1899; er beschreibt unter anderem eine Besonderheit, ein bestimmtes Wohngebäude, an das sich der Romanheld erinnert: „Es war ein sogenanntes ‚Teilhaus’; denn in diesem Stadtviertel, nur hier, gab es noch die Besonderheit, die später den Grundbüchern und Juristen einige Kopfschmerzen machte: Man konnte auch einzelne Stockwerke erwerben, ohne den Boden selbst in Eigentum zu bekommen. Man lebte also eigentlich im wahren Sinn der Worte in der Luft, in einem Luftschloss.“
Das hier leicht ironisch beschriebene Eigentumsverhältnis war früher unter dem Namen Stockwerkseigentum bekannt. Nicht nur in Österreich-Ungarn, auch im Deutschen Reich – besonders in Süddeutschland, im früheren Geltungsbereich des Code civile – gab es das Stockwerkseigentum, das Eigentum an einem Gebäudeteil ohne das zugehörige Grundeigentum. 1900 beseitigte das Bürgerliche Gesetzbuch die Möglichkeit, Stockwerkseigentum neu zu begründen. Das bestehende Stockwerkseigentum wurde damit aber nicht automatisch aufgehoben. In der Mehrzahl der Fälle hat man in den folgenden Jahren die Rechtsverhältnisse an die Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs angepasst, in einzelnen Fällen unterblieb das aber, und die eigentlich unmögliche Eigentumsform bestand fort – oftmals ohne dass die Nutzer davon wussten. Das ist auch nachvollziehbar, wenn man unterstellt, dass innerfamiliäre Regelungen den scharfen Blick ins Grundbuch obsolet machten. Wenn aber der Familienfrieden einmal gestört war und ein Rechtsstreit um eine Immobilie entstand, lebten die längst tot geglaubten Rechtsverhältnisse wieder auf und führten durch die Instanzen das Leben eines gleichsam juristischen „Wiedergängers“.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg lebte die Idee des Stockwerkseigentums wieder auf.
Wo ist solches Stockwerkseigentum potenziell heute noch anzutreffen? Im württembergischen Landesteil Hohenzollern betrifft es zum Beispiel die Keller. Reicht der Keller des eigenen Hauses teilweise unter das Haus des Nachbarn, mit oder ohne Verbindung zu dem darüber befindlichen Gebäude, so durfte von der Existenz eines Stockwerkseigentums ausgegangen werden, wenn der Keller nur vom eigenen Haus aus zugänglich war.
Relativ häufig musste Stockwerkseigentum auch angenommen werden, wenn bei aneinandergebauten Häusern eine Überbauung der Grundstücksgrenze vorgenommen worden war. Häufig standen ja die Gebäude schon Jahrzehnte oder Jahrhunderte, bevor im 19. Jahrhundert die Vermesser loszogen und neue Kataster erstellten.
Gerade bei vermeintlichen „Schnäppchenhäusern“ kann man auf Überraschungen stoßen. So ist oft nicht nur die Bausubstanz über Jahrzehnte vernachlässigt worden, sondern auch die juristische Substanz. Das bemerkte zum Beispiel eine junge Familie, die ein Doppelhaus mit zugehörigem geteilten ehemaligen Stallgebäude erwarb und im Grundbuch den Vermerk fand: „Ohne den ganzen Keller.“ Der ungeteilte Keller unter den Stallungen hatte, wie sich herausstellte, einen anderen Eigentümer, dessen Eigentum mit dem Vermerk „Keller unter dem Stall“ beschrieben war. Zuweilen wird noch heute um Zahlungen aus der Ablösung von Rechten an Gebäuden gestritten, die schon vor Jahrzehnten abgerissen wurden.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg lebte die Idee des Stockwerkseigentums wieder auf. Nach 1945 (namentlich vor der Währungsreform) stellte man verschiedene Überlegungen an, wie der Wiederaufbau der zerstörten Wohnungen in Deutschland am besten zu finanzieren sei. „Es muss ein Weg gefunden werden, um den dann noch vorhandenen Besitzern von verhältnismäßig kleinen Kapitalien dazu zu verhelfen, Grundbesitz zu erwerben und damit die Finanzierung des Wiederaufbaus zu sichern. Dieses könnte im Wege des Erwerbs einer Wohnung oder einer Etage erfolgen. Voraussetzung hierfür ist die Schaffung von Stockwerkseigentum“ hieß es in einem Beitrag der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 13. Juni 1946. Bei diesen Überlegungen war auch bereits daran gedacht worden, intakte (beispielsweise am Stadtrand gelegene) und im Gemeindeeigentum befindliche Wohnanlagen etagenweise an die Mieter zu verkaufen, um auf diese Weise Geldmittel für den Aufbau der zerstörten Innenstädte zu beschaffen. Als Modell stellt der Verfasser die Eigentumsverhältnisse in den westeuropäischen Staaten vor, in denen sich das Stockwerkseigentum großen Zuspruchs erfreue, sich bewährt habe und gesellschaftlich weitgehend akzeptiert sei.
Der Unterschied zwischen dem Stockwerkseigentum und der heute üblichen Form des Wohnungseigentums besteht – einfach gesprochen – im Verhältnis mehrerer Eigentümer zu einer Sache. Beim Stockwerkseigentum wird eine Sache, also ein Gebäude, real geteilt (was nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch dem Grundsatz nach nicht möglich ist). Jeder einzelne Eigentümer hat dann das