Das Werk des Staatsministers. Bo Balderson

Das Werk des Staatsministers - Bo Balderson


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zudem vollkommen sinnlos. Denn wozu soll es gut sein, das Service und das Essen lange Wege ins Freie zu tragen? Allen ergeht es dabei nur schlechter, sowohl den Essern wie den Trägern. Da saßen wir nun, eine Schar solider Erwachsener – alles andere als eine Gruppe von Pfadfindern – auf unbequemen Stühlen an einem rechteckigen Tisch und zerrten an dicken, halbrohen Scheiben von etwas, das der Staatsminister über dem Feuer beim Steinhaufen geschwärzt hatte. Das Futter lag auf Papptellern – solchen, die wegrutschen –, wir arbeiteten mit Plastikbesteck, das zu Stummeln abbrach, die Gläser bestanden aus Plastikbechern, die umkippten, die Kartoffeln waren nicht geschält, und nur kleine Papierservietten hatten wir zu unserem Schutz. Ein Gastgeberpaar, das eine solche Mahlzeit in seinem Esszimmer serviert hätte, hätte sich in Grund und Boden geschämt, und das vollkommen zu Recht. Aber hier draußen auf dem Rasen stumpfte die Urteilskraft auf unerklärliche Weise ab, und bald riefen die Gäste dem Gastgeber und seiner Frau spontan Komplimente zu. Und die Mücken surrten, Russpartikel vom Feuer fielen auf das blutige und verbrannte Etwas, der Wind strich über die Bucht, die Kinder waren wie ein Rauschen im Hintergrund zu hören, und ich entdeckte, dass wir am Tisch dreizehn waren.

      Neben mir saß Frau Klintestam, und das war alles andere als langweilig. Die Kinnspitze war auch von der Seite scharf, und bei fortschreitendem Verzehr des Roastbeefs entwickelte sich die gefürchtete Reichstagsabgeordnete und Regierungskritikerin regelrecht zu einer Kichererbse. Ich schäkerte ein wenig und sagte, dass sie einem Leid tun konnte, weil sie einen alten Kauz als Tischherrn bekommen hatte, und sie setzte das Plastik ab und rief fröhlich: »Aber ich liebe alte Käuze!«

      Wir lachten zusammen – ich ein wenig angestrengt, denn so ist der Mensch als Mann – und ich erfuhr, dass sie zweiunddreißig Jahre alt war, neben dem Studium als Hilfsschwester gearbeitet hatte, einen kleinen Sohn besaß, den sie vermisste, und über die Widerstandsbewegung in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges promoviert hatte.

      »Aber die Aussicht auf eine Professur ist minimal. Und im Reichstag gelte ich schon seit einer Legislaturperiode als unbequem. Mal sehen, ob ich wieder reinkomme, ich stehe mehr schlecht als recht auf einem wählbaren Platz. Generaldirektorin für lange und treue Dienste wie Västermark dürfte ich jedenfalls nicht werden!«

      Zu meiner Linken saß Frau Burlin. Die Schauspielerin wurde leider auf der anderen Seite durch den Staatsminister und sein Gerede stark blockiert. Während er die Flaschen entkorkte, erzählte sie mir indessen, dass sie bisweilen mitten in der Nacht vor Schreck wie gelähmt aus dem Schlaf auffahre und denke: »Was mache ich da eigentlich? Lasse mich wieder darauf ein, Kritik und Publikum ausgeliefert zu sein, im Alter von fünfzig Jahren und nachdem ich seit zehn Jahren nicht mehr auf der Bühne gestanden habe? Ich muss verrückt sein!« Ich dachte bei mir, wenn sie es jetzt so empfindet, wie würde es ihr erst einen Monat, eine Woche, einen Tag vor der Premiere gehen? Als wir uns beim Anstoßen näherkamen, sah ich, wie der kleine Muskel am Auge zuckte, pulsierte, sein Eigenleben führte …

      Umgeben von zwei so charmanten Damen (die Sonne in den Augen und mit all den Verdrießlichkeiten eines Essens unter freiem Himmel beschäftigt), hatte ich kein großes Interesse am Rest des Tisches. Jetzt entsinne ich mich auch nicht mehr an viel: lediglich an die Gesichter, einige Sätze, die Atmosphäre eines alkoholisierten Picknicks. Die kleine Frau Lind mit ihrem runden, roten Gesicht rief plötzlich durch das Gemurmel: »Pelle ist ein hoffnungsloser Fall! Ich verreise liebend gern, aber er sammelt Ansichtskarten und sagt: ›Warum soll ich denn in der Welt herumreisen? Ich weiß genau, wie es dort aussieht!‹« Pelle Lind, der auch etwas verkrampft mitlacht und sich an den Koteletten zupft, die sein Gesicht ein wenig wie einen moosbewachsenen Fußball aussehen lassen. Zanders Indianerprofil ganz weit rechts, meistens über Schüsseln und Gläser gebeugt. Västermark, der mir schreiend anvertraut, er trinke nur, um andere Menschen für sich interessant zu machen. Andersson, der eine Weinflasche umstößt und im ganzen massigen, ernsten Gesicht rot anläuft. Burlins Verärgerung – eine beherrschte, vereinsmäßige Verärgerung –, als er entdeckt, dass seine Frau sich darauf eingestellt hat, als Chauffeurin nach Hause zu fungieren, da sie nur an ihrem Weinglas nippt und somit seine eigene Enthaltsamkeit überflüssig gewesen ist.

      Jetzt waren wir bei Eis und Sherry angekommen. Von der Anspannung vor dem Abendessen war nicht mehr viel zu spüren. Die Gäste schrien gut gelaunt ihre Tischnachbarn an wie Menschen, die sich im Nebel verlaufen haben. An eine Kommunikation über eine größere Distanz als diese war wegen des allgemeinen Lärmpegels kaum zu denken.

      Schräg gegenüber saß Herr Västermark neben der Gastgeberin. Es war Zeit, sich für das Essen zu bedanken. Er klopfte mit dem Plastiklöffel an den Plastikbecher, hörte aber wohl selbst kaum das Geräusch. Dann reckte er den Hals, drückte das Kinn auf die Brust, und dann durchschnitt das raue Rufen der Brandseeschwalbe die Unterhaltung: »Kirrik, kirrik, kirrik!«

      Es wurde mucksmäuschenstill.

      Der Generaldirektor erhob sich. Er machte ein zufriedenes Gesicht. Eine leichte Röte auf dem faltigen Gesicht hielt sich.

      »Ja, das war wieder die Brandseeschwalbe. Wie ich schon gesagt habe, soll sie diese Woche hier auf der Insel gehört worden sein. Wenn es der Wahrheit entspricht, ist das eine Sensation. Sie klingt fast wie ein knarrendes Wagenrad: kirrik, kirrik, kirrik! Für ein nicht geschultes Ohr hört sich der Ruf an wie der einer Küstenseeschwalbe, die nur etwas größer ist und einen längeren Schnabel hat.«

      Er war nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, aber jetzt umklammerten seine Hände die Stuhllehne.

      »Von der Seeschwalbe und ihrer leckeren Brust komme ich ohne Umschweife zu unserer Gastgeberin und ihrem, hmm, leckeren Essen. Doch zuerst möchte ich einen Toast ausbringen auf eine andere unserer schönen Damen. Sie wissen sicher, wen ich meine.«

      Er nickte eifrig, führte die Hand zum Hals und lachte: »Sie haben alle bestimmt schon von der großen Neuigkeit gehört. Ich werde auf die Bühne zurückkehren. An Neujahr haben wir im Nya Teatern Premiere von ›Zwei schlagen den Dritten‹. Ich glaube, es wird unglaublich viel Spaß machen, und hoffentlich sind Sie derselben Meinung.«

      Arvid Västermarks natürliche Voraussetzungen, Frau Burlin darzustellen, hätten nicht geringer sein können. Nichtsdestotrotz, ungeachtet des gefurchten Gesichts, des grauen Haars und der langen, runzeligen Gestalt war er für wenige Augenblicke Kerstin Burlin-Nilsson gewesen. Das rasche Kopfnicken, die Angewohnheit, die Hand zum Hals zu führen, das routinierte Lächeln – alles war da gewesen, jedoch verzerrt, vergröbert, verwandelt zu Affekt und vulgärer Manier und dargeboten ganz ohne die spielerische Übertreibung, die der treffsichersten Imitation ihren Glanz verleihen kann. Es war sehr geschickt und sehr, sehr gemein.

      Frau Burlin saß neben mir, ich konnte, wollte sie nicht anschauen. Aber ihr Mann, der Anwalt, saß mir direkt gegenüber. Er beugte sich eine Idee vor und schaute den Redner unverwandt an. In der ersten leichten Dämmerung wirkte das Gesicht zwischen Klubblazer und weißen Haarkämmen steif und ausdruckslos, als hätte er nicht mitbekommen, was sich abspielte. Doch die Hand verriet ihn. Sie hatte sich fest um den Pappbecher geschlossen und ihn zu einem Nichts zusammengepresst. Die Umklammerung war so kräftig, so verkrampft, dass der Arm zitterte …

      »Ich bin selbst sehr gespannt, wie es läuft.« Herr Västermark hatte seine normale Stimme und Gestalt wieder angenommen. »Ein Comeback ist immer schwierig, besonders schwierig vielleicht für eine, hm, etwas ältere Schauspielerin. Aber was meine Wenigkeit davon hält, können Sie lesen, wenn es soweit ist. Ich rezensiere natürlich das Theater in der Tagespresse nicht mehr. Aber das Wochenjournal hat mir in den Ohren gelegen, und ich habe versprochen, dort eine Rezension pro Woche zu veröffentlichen. Selbstverständlich werde ich mir ein solches Ereignis wie die Rückkehr einer alten Primadonna nicht entgehen lassen …«

      In dem Augenblick kamen die Schwäne.

      An der Küste von Lindö kreuzen ständig schöne, aggressive Schwanenpaare auf, die von gutmütigen Strandbesitzern und ihren dienstbaren Geistern gefüttert werden. An diesem Abend hatten die Vögel ganz offensichtlich kein serviertes Abendbrot am Rand des Schilfes vorgefunden und verwöhnt wie alle Schönheiten kamen sie jetzt durch Dickicht, Erlen und Hecken gewatschelt, um dem Oberkellner ihre Wünsche vorzutragen.

      Wir schrien


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