Faithless Love. Jana Reeds
doch deine Nummer und dann melde ich mich.“ Never ever!
Elias verschwand im Schlafzimmer. Ich warf einen Blick in den Spiegel, fuhr mir durch meine langen Haare, um sie ein wenig zu richten, dann folgte ich ihm.
Er legte gerade den Stift auf den Nachttisch und richtete sich auf. Strahlend streckte er mir den Notizzettel entgegen.
„Danke!“, sagte ich artig und reckte mich zu ihm hoch, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Dann verließ ich das Schlafzimmer – nur weg hier! Im Flur schlüpfte ich in meine High Heels, dann sah ich zu, dass ich aus der Wohnung kam.
Kaum um die nächste Hausecke zerknüllte ich den Zettel, den ich noch immer in der Hand hielt, und warf ihn in einen Mülleimer am Straßenrand. Ich winkte mir ein Taxi heran und gab dem Fahrer meine Adresse.
Entspannt sank ich in den Rücksitz und ließ den Abend Revue passieren.
Nachdem ich Juan endlich losgeworden war, freute ich mich erst, meine Ruhe vor diesem Aufreißer zu haben. Dann jedoch merkte ich, dass ich aus dem Augenwinkel immer wieder einen Blick zu ihm und den Mädels riskierte. Was war es nur, was mich an diesem Kerl derart anzog? Warum konnte ich ihn keine drei Minuten aus den Augen lassen? Klar, er war heiß – mit seinen tätowierten Armen, den Piercings und diesem Vollbart. Unwillkürlich fragte ich mich, ob er noch an anderen, nicht sichtbaren Stellen Piercings und Tattoos hatte. Als Frau reagierte ich total auf diesen Juan – doch als Polizistin klingelte meine innere Alarmglocke.
Auch wenn wir Juan keinerlei Beteiligung nachweisen konnten, hatte ich das Gefühl, dass er mehr wusste, als er verraten wollte. Er verschwieg uns etwas. Aber warum? Gerade ihm sollte doch daran gelegen sein, die Piraten möglichst lange in den Knast zu bringen. Immerhin hätte der Überfall ihn fast das Leben gekostet.
In diesen Überlegungen war ich versunken, als Elias mich angesprochen hatte. Zwar hatte er nicht den besten Anmachspruch auf Lager, aber er sah gut aus – und er wollte definitiv das eine … So eine Gelegenheit, aus meinen kreisenden Gedanken zu entfliehen, konnte ich mir nicht entgehen lassen. Nach zwei Mojitos beschlossen wir, die Location zu wechseln – in sein Schlafzimmer. Eigentlich hatten wir darüber gesprochen, er wollte nur Sex und ich auch. Wir wollten Spaß miteinander haben, mehr nicht! Aber bereits auf dem zwanzigminütigen Spaziergang zu Elias’ Wohnung fragte er nach zu vielen Details aus meinem Leben, nach Dingen, die einen One-Night-Stand nicht interessieren – sollten …
Und mein Gefühl hatte mich nicht getrogen. Der Welpenblick … Das versteckte Angebot, zum Frühstück zu bleiben … Die Frage nach meiner Nummer … Der Kerl wollte mehr. Hätte ich ihm meine Telefonnummer gegeben, hätte er mich vermutlich mit Nachrichten und Einladungen zu einem Date bombardiert. Das kannte ich bereits zu gut – und es war genau das, was ich partout nicht wollte! Ein bisschen Spaß zusammen? Super! Aber Dates? Allein bei dem Gedanken schauderte es mich.
„Ist alles okay, Señorita?“, fragte der Taxifahrer und warf mir über den Spiegel einen besorgten Blick zu. „Ist Ihnen schlecht?“
Ich schüttelte den Kopf und lächelte ihm zu. „Nein, es ist alles gut. Danke! Ich habe nur gerade an etwas Unschönes gedacht.“
„Ah, dann ist es ja gut. Ich weiß, Sie sind eine Frau und würden mir wohl eher nicht ins Taxi kotzen, aber wenn ein Mann so aufstöhnt wie Sie eben …“
Ich lache auf. „Keine Sorge, ich habe nicht zu viel getrunken. Es geht mir wirklich gut.“
Ich amüsierte mich noch immer darüber, als wir ein paar Minuten später vor meinem Wohnhaus ankamen. Doch als ich in meiner Wohnung die Tür hinter mir zuschlug und die High Heels von meinen Füßen kickte, war der Taxifahrer vergessen. Auch der Sex mit Elias war nicht mehr als eine Erinnerung. Blieb zu hoffen, dass ich ihm nicht noch einmal über den Weg lief. Carlos meinte einmal, ich wäre die unromantischste Frau, die er je getroffen hatte. Wenn er wüsste, dass es früher anders gewesen war …
Es war gerade erst neun Uhr am nächsten Morgen, und die Sonne brannte bereits vom klaren, hellblauen Himmel, als ich meine Wohnung wieder verließ. Ich hatte nicht direkt gelogen, als ich Elias gestern Abend erklärt hatte, dass ich heute arbeiten musste. Nur war es nicht die Küstenwache, bei der ich Schicht hatte, sondern mein ehrenamtlicher Nebenjob.
Pfeifend warf ich meine Sporttasche in den Kofferraum und stieg in meinen Wagen. Dann fuhr ich einmal quer durch die Stadt in das Viertel, in dem ich aufgewachsen war.
Ich lenkte mein Auto durch die altbekannten Straßen. Es hatte sich nicht viel verändert seit damals – und doch war alles anders.
Noch immer zierten hölzerne Bauzäune, beklebt mit Plakaten und verschmiert mit Graffiti, die Gebäude, die kurz vor dem Zusammenbruch standen. Da, das Tag dort erkannte ich, bei dieser Signatur wusste ich genau, wer dahintersteckte. Es wäre meine Aufgabe gewesen, dem nachzugehen und mein Wissen mit der zuständigen Polizeiwache zu teilen, doch ich konnte nicht. Ich war keine Verräterin, und obwohl ich Polizistin geworden war, gab es Menschen, die mir wichtiger waren als mein Job. Und was würde es auch ändern? Eine Strafe wegen Sachbeschädigung, Entfernen des Tags und übermorgen wäre dieselbe Stelle wieder von jemandem markiert.
Das Zentrum kam in Sicht, ich blinkte und fuhr auf den schmalen Parkstreifen. Normalerweise würde ein Cabrio wie meines hier keine zehn Minuten überleben. Es wäre um vier Reifen, ein Radio, Scheibenwischer und andere demontierbare Teile ärmer. Doch nicht mein Wagen. Die Leute kannten mich. Auch wenn ich nicht mehr hier lebte, war ich eine von ihnen. Ich hatte nicht vergessen, wo meine Wurzeln lagen – im Gegensatz zu vielen anderen, die es hier herausgeschafft hatten.
„Carmen! Carmen!“, wurde ich von freudigen Rufen begrüßt, als ich durch die schmutzigen Glastüren trat.
„Hey, ihr Mäuse! Seid ihr etwa schon fertig?“, fragte ich und spürte, wie mein Herz ganz weit wurde, als ich in die strahlenden Kinderaugen blickte. Diese Kids – meine Kids! – wussten nichts von dem Leid, das hier herrschte; und doch wussten sie alles darüber. Dieses Viertel war ihr Leben, gezeichnet von Dreck, Gewalt und Armut. Und ich war hier, um ihnen dieses Leben ein kleines bisschen leichter zu machen.
„Maria ist noch nicht da. Und Pedro hat Hausarrest“, erklärte Aina.
„So? Was hat Pedro denn jetzt wieder angestellt?“, fragte ich augenzwinkernd.
Nun mischte sich Eric ein. „Er hat beim Kiosk Schokolade geklaut. Und er war so blöd, sich erwischen zu lassen.“ Eric rollte mit den Augen.
„Na! So nicht, Eric. Andersherum passt es wohl eher – er war so blöd, die Schokolade zu klauen.“
„Das stimmt!“, erklärte Marta und schob mit einem Finger ihre schief hängende Brille auf der Nase hoch. Mit ihren Rattenschwänzen, die beim Sprechen über ihren Ohren wippten, sah sie aus wie eine dunkelhaarige Pippi Langstrumpf. „Du hast uns beigebracht, dass wir nicht klauen dürfen. Und auch nicht hauen oder treten. Also nicht, wenn wir uns streiten. Nur hier dürfen wir das.“
„Richtig, süße Maus.“ Ich strich der Kleinen über den Kopf, dann scheuchte ich die Horde in den Trainingsraum.
„Matten auslegen und fünf Runden laufen“, rief ich ihnen hinterher, bevor ich mich an Jorge wandte, den Inhaber, der hinter dem Empfangstresen der Boxhalle stand.
„Ich bin so froh, dich hier zu haben“, sagte er. „Du bedeutest den Kindern viel, das weißt du, oder?“
Unangenehm berührt zuckte ich mit den Schultern, während sich gleichzeitig ein Lächeln auf meine Lippen schlich. „Die Kinder bedeuten mir auch viel. Ich hoffe, dass das Training ihnen hilft. Und es macht mir wahnsinnigen Spaß.“ Als Gekreische aus der Halle zu uns herüberdrang, winkte ich Jorge noch einmal zu und folgte dem Geräuschpegel.
„Ich glaube, ich sollte mal – bevor die Bande, anstatt zu kickboxen, die Trainingshalle auseinandernimmt.“
Jorge winkte lachend ab, und ich verschwand in der Halle, um meinen Unterricht zu beginnen. In den nächsten zwei Stunden existierte für diese elf Kinder keine Gewalt mehr. Es gab nur noch den Sport,