Der Kamin. Martina Schäfer
kannst nicht gleichzeitig deine Karriere bei der Polizei planen und illegal Frauen zur Abtreibung nach Holland fahren.“
„Du musstest ja nicht ausgerechnet zur Polizei gehen!“
„Nein, mein Schatz, das nicht. Aber ich wollte eben fotografieren und dort wurde die Stelle frei.“
„Presse wäre doch auch etwas gewesen?“
„Ich weiß es nicht. Ich mochte, als ich noch in der Lehre war und schon so kleinere Aufträge in Konstanz übernahm, diese Hektik nicht, die dort herrschte, diesen Stress. Jeder konkurrierte mit jedem. Das war nicht sehr fein! Abgesehen davon, glaubst du im Ernst, Jane, Fußballspiele oder Bankeröffnungen wären so viel politischer als Autounfälle oder Wasserleichen?“
„Immerhin tust du ja auch was Gutes – so vom Gesellschaftspolitischen her gesehen.“
„Irgendwie schon. Ich bin gerne auf der Rächerseite, wenn ich ehrlich sein soll. Aber als ich hier auf dem Kommissariat ein paar Jahre geschafft hatte und die Vereidigung zur Beamtin anstand ...“ Sie zuckte die Achseln und ich spürte an ihrem Blick, wie sehr sie das Ganze eigentlich bis heute noch berührte: Meine Geliebte sieht aus wie ein hungriger Vogel, wenn ihr die Seele wehtut, und so schaute sie mich auch nachdenklich von oben herab an, während ich in ihrem Schoß lag.
„Manche der Lesben fanden das so schlimm, als wolle ich heiraten!“
„Du hast die Bewegung verraten!“
„So ein Quatsch!“
Aus dieser Zeit hatte sie nur wenige Freundinnen behalten, danach höchstens mal ein Frauenfest besucht und sich ansonsten aus dem aktiven Politleben feministischer Beratungs- und Selbsterfahrungsgruppen zurückgezogen.
Stattdessen war sie Co-Trainerin in einem Aikido-Dojo geworden und genoss die wenigen freien Abende, die ihr die Kleinstadtkriminalistik zwischen Beruf- und Beziehungsstress ließ, mit Pfeife und einem guten Buch auf dem Sofa. Doch Polizeifotografinnen sind viel in der Nacht und ausgesprochen häufig am Wochenende unterwegs, wodurch sie wohl mehr Stress in den Beziehungen wie in ihrem Beruf erlebte. Glücklicherweise war ich ihr ja im Rahmen ihres Berufes begegnet, und aus einer dienstlichen Überwachungssituation war eine sehr wunderbare, wohl auch etwas altmodische Liebesbeziehung geworden.
Mein Beruf hatte es mit sich gebracht, dass ich mir kontinuierlich die Hörner an der bundesrepublikanischen Frauenbewegung und ihren Projekten wundstoßen musste, schon fast seit einem Vierteljahrhundert. Das hatte mich auch ziemlich geprägt.
Der Grund, warum wir nun also doch hin und wieder in die örtliche Frauenkneipe gingen, wenn ich auf Besuch weilte, ist wohl, dass Rosi und ich gerne miteinander angeben! Ja doch, wirklich! Anscheinend halten wir einander tatsächlich für die schönsten und liebsten Frauen der Welt, was ja noch anginge, wären wir nicht darüber hinaus auch noch beide der Meinung, dass alle anderen Frauen auch so über unsere Geliebte zu denken hätten.
Kurz gesagt, wir Beide liebten es sehr, jeweils mit der schönsten Frau der Welt öffentlich aufzutreten.
Da ich am Tag zuvor einen öffentlichen Vortrag gegeben hatte, erkannten mich einige Frauen wieder, hoben die Köpfe und lächelten uns zu, als wir die Türe zum „Grünen Schwan“, der örtlichen Alternativkneipe, die den wöchentlichen Frauenabend veranstaltete, aufstießen.
Ursprünglich hatte das Lokal „Goldener Schwan“ geheißen. Der Schwan hatte leider einen steilen Absturz erlebt. Nach gutbürgerlichem Restaurant, italienischer Pizzeria und sodann nur noch heruntergekommener Altstadtpinte hatten am Ende drei stellungslose Sozialarbeiter in Wollepullis und mit Bärten sowie zwei gleichermaßen stellungslose Sozialpädagoginnen mit gut situierten Elternhäusern in friedfertigen Vororten der umgebenden Großstädte im Hintergrund den unaufhaltsam scheinenden Abstieg des „Schwanes“ durch Ankauf der Räumlichkeiten im letzten Moment gebremst. Da wurden nicht nur die schmuddelig verrauchten Wände in leicht gelblichem Rauhputz a la Mexico neu geweißt und Bilder von rasenden Pferdeherden in staubiger Pampa aufgehängt, sondern von jenem stellungslosen Sozialarbeiter, der kein Mädel mit Geld ins Projekt eingebracht hatte, dafür aber eine Ofensetzerlehre, auch noch ein riesiger, runder Tonofen mit breit umlaufender Kachelbank an Stelle des alten Pizzaofens aufgemauert. Sodann benannte man das „Goldene“ als dezenter Hinweis auf eine etwas andere Ess- und Lebenskultur in „Grün“ um, wohl auch nach einem der Kollektivisten, wie Rosi mir mal erzählt hatte, der damit vermutlich einen ihrer Sponsoren ehren wollte.
Der ökologische Bezug hatte leider zur Folge, dass das Kollektiv nur noch an zwei Tagen in der Woche Fleischmahlzeiten servierte. Tage, die sich geheimnisvollerweise nie mit dem Frauenkneipentag deckten, so sehr in dieser Hinsicht auch schon die regionale Motorradlesbengruppe Einspruch erhoben hatte. Doch das merkwürdig moderne Medienbild der emanzipierten, schlank-sportiven, rundum erfolgreichen Karrierefrau mit drei Kindern und etwas angefaultem Hausmann deckt sich seltsamerweise über große Strecken mit der grün-alternativen Vorstellung der allzeit aktiven, politisch engagierten, aufstrebenden Konrektorin mit drei Kindern, etwas fülligerer Statur und trägem Hausmann, der Künstler zu sein vorgibt, was ihn oft vom Windelnwechseln, Einkaufengehen und Abspülen abhält. Beide essen keine Wurst und keine Schweineschnitzel, erbleichen im Anblick einer Salamitheke, selbst wenn sie in der Toskana steht, und halten Döner-Kebab entweder für eine Berliner Unanständigkeit oder für politisch unkorrekt. Die Karrierefrau beschränkt sich auf Salat, Tomaten mit Basilikum und Mozzarella das ganze Jahr über und Joghurt am Morgen, die Konrektorin isst Körneraufläufe, Pastenbrote in der Zehnuhr-Pause und Joghurt mit Müsli am Morgen. Nun ja – von irgendwoher müssen die verschiedenen Staturen herrühren. Beide halten die allgemeine Illusion aufrecht, dass Emanzen doch nicht so schlimm, staatstragend und im Tierschutzverein sind. Ein politisches Verdienst, denn ohne ihre vegetarische Harmlosigkeit hätten wir den zwanzigjährigen Schnelldurchmarsch durch diese patriarchale Gesellschaft nie geschafft!
Fakt ist, es gibt erstens Lesben, zweitens begeistert Fleisch essende Lesben, drittens kräftig gebaute Lesben, viertens ekelhaft unbescheidene Lesben, die jetzt auch noch heiraten, sprich an die Fleischtöpfe des geschützten Patriarchates heran wollen, fünftens solche Lesben, die meinen, die Frauenbewegung habe noch gar nichts erreicht, Karrierefrauen und Konrektorinnen hin oder her, solange Wen-Do nicht Pflichtfach an allen Schulen für alle Mädchen von acht bis achtzehn Jahren ist. Zur letzten Gruppe gehöre ich – ebenso wie zu den vier vorherigen auch.
Glücklicherweise – andererseits – herrschte striktes Rauchverbot im „Grünen Schwan“ zu allen Tages- und Nachtzeiten, die ganze Woche über und nicht nur an den Frauenkneipentagen, was ich andernorts nämlich auch schon erlebt hatte. Als ob Männer schöner rauchen als Frauen!
Von daher war der „Grüne Schwan“ auch im gemischtgeschlechtlichen Zustand für eine gewisse rot-grüne Bildungsbürgerschicht sowie weitere Leute, die guten Willens sind, ein sehr angenehmer Treffpunkt in Rosis Mittelalterstädtchen und berühmt für seine vegetarische Paellia de Verduras, angeblich nach dem Spezialrezept einer Mutter oder Großmutter des Kneipenkollektives.
Natürlich würden die fünf KneipenbetreiberInnen mit solch einem Geschäftsgebaren nie reich werden, aber das war wohl sowieso schon vorher nicht ihr Ziel gewesen. Oder ist jemals ein Sozialpädagoge in Ausübung seines Amtes Millionär geworden?
Der ohne Mädchen, also der Ofenfachmann, der auch am vorherigen Abend Kneipendienst gemacht hatte, nickte mir vom Tresen her freundlich zu, denn ich hatte auch den gestrigen Nachvortragsabend hier mit den Organisatorinnen der Anti-Gewalt-Reihe verbracht.
„Kommt, setzt euch zu uns!“ Eine kräftig gebaute Frau winkte Rosi und mich an einen großen, runden Tisch am Fenster, an welchem bereits drei andere Frauen saßen.
„Friedrich, ein Weizenbier und ein großes Klosterbräu!“, riefen wir dem Ofenbauer zu und folgten der Einladung.
„Katharina“, Rosi deutete auf die Frau, die uns her gewunken hatte. „Wir waren früher in der Beratungsgruppe zusammen. Katharina ist immer noch dabei.“
Diese nickte zufrieden vor sich hin. „Ja, ja – so`n alter Ackergaul,