Träume und Träumen. Michael Ermann
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Der Autor
Prof. Dr. med. habil. Michael Ermann ist Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalytiker in Berlin, wo er vor allem als Berater, Supervisor sowie als Autor und Ausbildungspsychoanalytiker tätig ist. Er ist habilitiert für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse an der Universität Heidelberg und emeritierter Professor für Psychosomatik und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort hat er 25 Jahre lang eine psychosomatische Abteilung geleitet. Er ist Mitbegründer und Herausgeber der Zeitschrift »Forum der Psychoanalyse« und der »Lindauer Beiträge«, in denen auch der vorliegende Band erscheint. Als Mitglied und Funktionsträger in wissenschaftlichen und berufspolitischen Gremien hat er die psychoanalytisch begründete Psychotherapie und Psychosomatik in den letzten Jahrzehnten mitgestaltet.
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3., aktualisierte Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-035553-8
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-035554-5
epub: ISBN 978-3-17-035555-2
mobi: ISBN 978-3-17-035556-9
Vorwort
Dieses Buch geht auf die Vorlesungsreihe zurück, die ich bei den Lindauer Psychotherapie Wochen im April 2000 gehalten habe1. Einhundert Jahre nach dem Erscheinen von Sigmund Freuds Traumdeutung war es die Absicht dieser Vorlesungen, dieses Jahrhundertwerk aus theoretischer und klinischer Sicht zu würdigen und die Entwicklungen nachzuzeichnen, die es in Gang gesetzt hat. Freud hat mit seinem auf den einzelnen Träumer zentrierten Ansatz einen völlig neuartigen psychotherapeutischen Umgang mit Träumen ermöglicht. Dieser Ansatz hat sich als unglaublich fruchtbar für das Verständnis des menschlichen Seelenlebens erwiesen und eine Epoche eingeläutet, die man als Jahrhundert des Unbewussten bezeichnen kann.
In der Art des Zugangs zu Träumen und des Umgangs mit ihnen in der Psychotherapie zeigen sich die divergierenden Entwicklungen der sog. tiefenpsychologischen Schulen, aber auch die Strömungen innerhalb der immer breiter werdenden Entwicklung der Psychoanalyse. Die gegenwärtig dominierende Entwicklungspathologie der sog. frühen Störungen stellt die Behandlungstheorie und -technik dabei vor besondere Herausforderungen. Sie kann sich nicht nur auf einen immer reicheren Fundus an klinischer Erfahrung stützen, sondern auch auf eine inzwischen weit entwickelte kognitive Traumpsychologie, welche bedeutende Bausteine zum Verständnis des niederstrukturierten Träumens beiträgt.
Daneben werden Traumbiologie und Schlafforschung für das Verständnis des Träumens immer wichtiger. Seit sich die anfängliche Gleichsetzung von REM-Schlaf mit Traumschlaf als unzutreffend erwiesen hat, sind bedeutende Annahmen Freuds zur Entstehung und Funktion des Träumens von dieser psychophysiologischen Traumforschung in ein neues Licht gerückt worden.
Die Veröffentlichung dieser Vorlesungen geht auf Anregungen aus dem Hörerkreis zurück. Die positive Resonanz hat mich ermutigt, die Traumlehre als ein Herzstück der psychoanalytischen Konzepte in einer allgemein verständlichen Weise einem breiteren Publikum nahe zu bringen.
Bei der Durchsicht für die 3. Auflage erschien der Text nach wie vor aktuell und machte nur geringfügige Änderungen erforderlich.
Dass der Kohlhammer Verlag dieses Unternehmen engagiert unterstützt hat, soll besonders betont werden.
Berlin, im Sommer 2020
Michael Ermann
1 Siehe hierzu auch: www.auditorium-netzwerk.de.
Dieser Bandes ist
Gaetano Benedetti (1920–2013)
gewidmet.
Er hat der psychoanalytischen Traumlehre
durch sein Lebenswerk neue kreative Impulse gegeben.
1. Vorlesung
Freuds »Traumdeutung«
Flectere si nequeo superos, acheronta movevo
Motto von Sigmund Freuds Traumdeutung2
Als vor mehr als hundert Jahren am 4. November 1899 in Leipzig Freuds später so berühmtes Buch Die Traumdeutung3 erschien, wurde es – an der Auflage gemessen – eine Enttäuschung. Bis zur zweiten Auflage wurden nur knapp über 100 Exemplare verkauft. Dennoch hat Freud es schon damals für ein überragendes Werk gehalten und wohl deshalb darauf bestanden, dass es den Beginn eines neuen Jahrhunderts markieren sollte: Es trug das Erscheinungsjahr 1900, obwohl es noch im vorangehenden Jahrhundert erschienen war.
Tatsächlich gehört es zu den großen Werken, die das 20. Jahrhundert geprägt haben. Es gibt keine Kultursprache, in die es nicht übersetzt worden ist. Allein der Fischer Verlag, der über die deutschsprachigen Rechte verfügt, erzielte mit der Traumdeutung beeindruckende Jahresauflagen: 80.000 als Taschenbuch, 30.000 als Studienausgabe und immerhin 10.000 gebundene Exemplare.
Was macht die Traumdeutung zu einem so besonderen Werk, von dem man behaupten kann, dass es einen Durchbruch in der Geistesgeschichte des Abendlandes und einen Markstein in der westlichen Kulturgeschichte darstellt?
Abb. 1: Sigmund Freuds »Traumdeutung« sollte das neue Jahrhundert einläuten. Obwohl 1899 bei Franz Deuticke erschienen, trug es auf Drängen von Freud das Erscheinungsjahr 1900.