FM4 Wortlaut 20. Kontakt. Elisabeth Etz
nickt. „Viertes Monat oder so. Eh wie bei mir.”
„Sollten wir uns darum auch schon mal kümmern?"
Emma schüttelt den Kopf. „Die machen das jetzt, damit sie Sachen von den Firmen geschenkt bekommen.”
In der nächsten Story filmt eine Frau mit, als sie ihrem Freund erzählt, dass sie schwanger ist. Das Handy steht auf einem Stativ in der Ecke des Schlafzimmers. Sie umarmen sich und scheinen gar nicht zu merken, dass sie beobachtet werden. Ich erinnere mich, als Emma es mir gesagt hat. Kurz davor war ich auf dem Klo. Während wir uns umarmt haben, musste ich daran denken, dass an meinem Gewand vielleicht Klogeruch klebt und es den Moment ruiniert. Jetzt denke ich, dass genau das vielleicht den Unterschied ausmacht, zwischen uns und den Leuten im Handy.
„Stell dir vor, eine von denen kriegt ein behindertes Kind”, sage ich.
„Kriegen die nicht”, sagt Emma und knipst das Licht aus. „Passt doch gar nicht in den Feed rein.”
„Weißt du, woran ich immer denken muss?”, sage ich in die Dunkelheit hinein.
„Hm?”, antwortet Emma nach einer Weile, ohne sich zu mir umzudrehen.
„Neulich habe ich eine Doku gesehen über die Mondlandung.”
„So was schaust du?”, fragt Emma, aber ich erzähle einfach weiter.
„Da gab es die beiden Astronauten, die gelandet sind. Und dann war da noch ein dritter, den immer alle vergessen. Jedenfalls ist der, während die beiden anderen am Mond waren, einmal rundherum geflogen, um sie danach wieder abzuholen. Und auf der Rückseite vom Mond gab es nichts. Kein Funksignal, keinen Kontakt. Nichts. Er war ganz alleine im Weltraum. Der einsamste Mensch des Universums haben sie ihn in dieser Doku genannt. Aber wenn er nicht zurückgekommen wäre, dann wären die anderen beiden am Mond verloren gewesen.”
„Stimmt”, sagt Emma leise, obwohl das als Antwort eigentlich gar nicht passt. Vielleicht ist sie auch schon eingeschlafen. Aber dann sagt sie viel später doch noch etwas.
„Mich würde das freuen.”
„Was?”
„Na, wenn ich ganz alleine bin und auf der anderen Seite des Mondes warten zwei sehnsüchtig darauf, dass ich bald komme."
„Ich glaube, die haben sich nicht gefreut. Die hatten einfach eine Scheißangst”, sage ich.
„Vielleicht beides”, sagt Emma.
Am Samstag scheint die Sonne und wir machen einen Ausflug mit dem Rad. Danach kehren wir im Kaffeehaus mit der unfreundlichen Kellnerin ein. Ich fädle Möglichkeiten aneinander wie Perlen auf eine Kette. „Es kann immer sein, dass es gar nicht behindert ist”, sage ich. „Und wenn es behindert ist, dann kann es immer noch sein, dass es eine ganz leichte Behinderung ist. Etwas, mit dem man gut leben kann.”
„Wenn es behindert ist, will ich es nicht kriegen”, schneidet Emma die Kette ab und die Möglichkeiten kullern in alle Richtungen davon.
„Ich glaube, dass das wegen der Marie ist bei dir”, sage ich, ohne von meinem Kuchen aufzuschauen.
„Was?”, sagt Emma. Sie weiß, was ich meine, aber sie verschleppt ihre Antwort, um Zeit zu gewinnen.
„Na, dass man mit dir überhaupt nicht darüber sprechen kann.”
Emma antwortet nicht. Also rede ich weiter.
„Du hast selbst gesagt, dass es bei deinen Eltern damals nicht an ihr gelegen hat.”
„Es spielt aber keine Rolle, an wem es gelegen hat, weil das Resultat dasselbe war”, sagt sie.
Ich gebe nicht auf. „Deine Mama sagt immer, dass sie rückblickend froh ist, dass sie die Marie damals bekommen hat.”
„Ja, weil rückblickend jeder über alles froh ist.” Emma legt ihre Gabel ab und schiebt den Teller mit dem Kuchen weg. „Ich war aber dabei. Ganz unrückblickend. Und da war sie noch nicht froh, irgendwie und eigentlich. Da war es einfach nur Scheiße.”
Emma hält das Gespräch für beendet, aber ich will nicht. Ich sage, dass das unsere gemeinsame Entscheidung sein sollte und dass ich nicht ihr Vater bin.
„Das kannst du jetzt leicht behaupten.” Sie lehnt sich mit ihrer Kaffeetasse im Sessel zurück.
„Was du mir zutraust”, sage ich.
„Na ja, mein Vater ist ja nicht der Einzige, der jemals seine Familie verlassen hat. Es ist einfach eine Tatsache, dass Frauen am Ende oft alleine dastehen”.
„Jetzt mach nicht wieder so eine scheiß Feminismusdiskussion draus!”
Das war zu viel. Emma knallt ihre Tasse auf den Tisch, steht auf und geht. Die Kellnerin schaut ihr von der Theke aus ratlos hinterher. Zahlen bitte, deute ich in ihre Richtung. Sie kassiert, geht grußlos davon und schüttelt den Kopf. Ich frage mich wirklich, warum wir immer wieder hierherkommen.
Emma steht am Parkplatz gegen einen blauen Family-Van gelehnt. Sie hat den Kopf in den Nacken gelegt und sieht nicht mehr wütend aus, nur traurig. Ich stelle mich zu ihr und wir schweigen eine Weile.
„Weißt du, was wirklich beschissen ist? Ich kann nicht mal eine rauchen.”
Kurz überlege ich, ob ich ihr eine Zigarette aus meinem geheimen Vorrat anbieten soll, aber dann lasse ich es. Ich sage, dass es mir leid tut und dass das neu ist. Dass die Dinge uns früher immer beide gleich betroffen haben und plötzlich betreffen sie einen mehr. Das ist ungewohnt. Sie sagt, bitte machen wir die Untersuchung, ich kann das sonst nicht, und ich sage, natürlich machen wir es. Da gibt es gar keine Diskussion.
Ich gehe zur Bank und hebe das Geld für die Untersuchung ab. 450 Euro in Scheinen und 200 Euro aus dem Münzautomaten. Zuhause lege ich die Münzen am Küchentisch auf und ersetzte die letzte gegen einen roten Plastikchip für den Einkaufswagen. Ich rufe nach Emma, aber sie will nicht blind hingreifen. Ich sage, dass ich mir nur die Wahrscheinlichkeit besser vorstellen will und schiebe die Münzen in den Beutel zurück. Dann fordere ich sie auf, eine zu ziehen. Sie meint, das bringt Unglück und überhaupt, warum ich daraus jetzt ein Spiel mache. Als Emma gegangen ist, ziehe ich trotzdem. Beim ersten Mal erwische ich eine Euromünze. Beim zweiten Mal auch. Beim dritten Mal auch. Dann lasse ich es.
Emma unterschreibt bei der Sprechstundenhilfe zwei Formulare. Das erste bestätigt, dass sie verstanden hat, was der Arzt vorhat und das zweite, dass sie ihn nicht verklagt, wenn etwas schiefgeht. Ich muss nichts unterschreiben. Als Emma sich auf den Behandlungstisch legt, frage ich mich, ob Ärzte bei diesen Untersuchungen auch nervös sind, aber Doktor Gruber wirkt so gelangweilt wie immer. Vielleicht ist er auch einfach nur konzentriert. „Das werden Sie jetzt gleich ein wenig spüren”, sagt er, als er die Nadel in Emmas Bauch sticht, ein paar Zentimeter neben ihrem Nabel. Ich halte ihre Hand. Im Ultraschall kann man erkennen, wie die Spitze in die Fruchtblase eindringt. Dr. Gruber zieht den Kolben zurück und der Konus füllt sich langsam mit einer gelblichen, trüben Flüssigkeit. Emma schaut zur Decke. Ihre Hand ist verschwitzt. Vielleicht ist es auch meine. Der ganze Eingriff dauert keine fünf Minuten. Doktor Gruber zieht die Nadel langsam heraus, legt einen Tupfer auf und sagt „bitte kurz draufdrücken”. Dann ist er fertig. Emma muss noch eine halbe Stunde im Behandlungsraum liegen bleiben und Doktor Gruber erklärt, dass wir uns melden sollen, falls Beschwerden auftreten. Emma will wissen, wann wir das Ergebnis erfahren.
„Spätestens in einer Woche”, meint er. „Wir rufen Sie an.”
Ich bin auf der Couch eingeschlafen. In der Küche klingelt Emmas Handy. Schon ewig. Irgendwann hebt sie ab. Ich höre sie im Gang auf und ab gehen und antworten. „Ja. Ja, genau. Verstehe. Danke. Wiederhören.” Sie kommt ins Zimmer und hat eine Tupperware-Dose in der Hand. Ich will wissen, wer das war. Sie sagt „der Arzt“ und dass die Untersuchung ergeben hat, dass das Kind gesund ist. „Gut” sage ich und richte mich auf. „Eigentlich schon, aber zu spät”, sagt Emma und hält mir die Dose mit dem Fötus hin. „Es ist leider schon gestorben.”
Ich