Asiaten! Ein Liebesroman aus zwei Welten. Artur Hermann Landsberger
mit Unterwürfigkeit verbindet. Damit, daß alle Oirans und Geishas, ja, überhaupt alle japanischen Frauen, sich mit der Hingabe dem Manne zugleich auch unterwarfen, haben sie sich und ihren Stand erniedrigt. Die Frau in Europa gewährt. Ihre Hingabe ist ein Akt der Gnade, die sie dem Manne erweist und der ihr dafür den Fuß küßt. So wurde die Frau Herrin, während die japanische Frau Dienerin blieb. Hier liegt der Schlüssel zu eurer Befreiung. Ich will, daß ihr das erkennt und begreift und mir helft, es zu ändern. Ich kann euch den Geist einflößen, die Kraft habe ich — den Umschwung vollziehen aber kann nur die Schönheit und die Jugend. Die habt ihr! Mein Geist und mein Wille also muß sich mit eurer Jugend und Schönheit verbinden. — Ich fürchte, noch seid ihr zu jung und zu unerfahren, um zu verstehen. Aber vielleicht schon nach einem Jahr werdet ihr begreifen, was ich meine. Fürs erste genügt, daß ihr die Augen offen haltet und nicht, wie die meisten von euch, die Tage verträumt. Nicht ihr seid es, die auf die Männer warten und denen eine Ehre widerfährt, wenn ein Mann kommt, der euch begehrt. Die Männer sind es, die Tag und Nacht über an euch denken und euch herbeiwünschen. Ihr seid die Erfüllung ihrer Wünsche. Ihr gebt! Daher sind sie es, die zu danken haben. Bei aller Höflichkeit, mit der ihr ihnen begegnet, vergeßt das nie!“
In der Tat verstanden die drei Mädchen nicht viel von dem, was Shima mehr in Erinnerung an die eigene Vergangenheit als aus innerem Interesse für das Wohlergehen der Mädchen vortrug. Aber sie fühlten doch mehr oder weniger, daß eine in ihren Gefühlen beleidigte Frau zu ihnen sprach. Zu persönlich leidenschaftlich war es vorgetragen. So kam ihnen weniger zum Bewußtsein, vor eine große Aufgabe gestellt zu werden, sie hatten vielmehr das Gefühl, als seien sie ausersehen, eine Shima zugefügte Schmach zu rächen.
Nur Hana, deren Erleben auf dem Schiff sich nur in einem veränderten Gefühl gegenüber Taizo Hodsumi ausgewirkt hatte, empfand, daß hier ein Zusammenhang bestand mit dem, was ihr zugestoßen war.
Er hatte in ihr Gefühlsleben eingegriffen, eine Wand errichtet zwischen zwei ihm fremden Menschen, ihr und Tazio. Mit welchem Recht? — Und was er gestern mit ihr tat, das tat er morgen mit einer andern. Nicht die Tausende von Kilometern, die sie gereist war, hatten sie von Taizo Hodsumi getrennt. Sie hatte im Gegenteil bei Beginn der Reise mit jedem Meilenstein, an dem der Zug vorbeiraste, stärker die enge Bindung an ihn empfunden. Auf dem Meer war ihr dann das noch stärker zum Bewußtsein gekommen. Daß es Liebe war, wußte sie damals freilich nicht. — Aber dann, als sie aus der Kabine taumelte, ohne sich noch recht klar zu sein, was eigentlich geschehen war, da fühlte sie, daß Taizo ihr entrückt war. Unendlich weit. Daß zwischen ihnen ein Schatten stand, der sie schärfer voneinander trennte als Länder und Meere.
Ihr war der Gedanke gar nicht gekommen, sich gegen den Baron zu wehren. Ja, wenn sie Shima damals gekannt und mit ihr gesprochen hätte, wie sie heute sprach, dann hätte sie ihn gefragt: ‚Mit welchem Recht?‘ — Sie hätte sich gewehrt und wäre vielleicht Taizo Hodsumi heute noch so nahe, wie sie ihm damals war.
So stark wirkten Shima Mataumotos Worte. Anders freilich, als es deren Absicht war. Und dann: was nützte Hana eine Erkenntnis, die zu spät kam? Nicht nur in bezug auf den Baron? Auch für die Zeit, die nun kam. Denn wenn der Fall sich wiederholte und die erwachte Hana die Frage stellte: ‚Mit welchem Recht?‘ dann hielt ihr Shima Mataumoto den Vertrag vor Augen und erklärte: ‚mit diesem staatlich sanktionierten Recht.‘ —
Dazu kam es aber gar nicht. Denn das Tempo, mit dem die Mataumoto an das Geschäft ging, ließ gar keine Zeit zu solchen oder ähnlichen Gedanken. Wieder zeigte es sich, daß Theorien nur so lange Gültigkeit haben, als man sie nicht in die Praxis umsetzt. Dann gehen sie auf wie Seifenblasen.
Der Gegenstand des neuen Unternehmens aber war so klar wie möglich. Schon sein Name, der Shima Mataumotos feinen Instinkt verriet, erübrigte jeden Kommentar. Bürgerfamilien, die sich bei grünem Tee oder dem zum japanischen Nationalgetränk erhobenen Bier ein paar Stunden harmlos unterhalten wollten, stießen sich an der Aufschrift: Maneki-Nako (winkendes Kätzchen). Und die von einem begabten Künstler verfertigte Plakette, die über der Haustür prangte und einen Kater im Spiel mit einem Kätzchen zeigte, verriet, daß es in diesem Teehaus alles andere denn harmlos herging.
Aber Maneki-Nako hatte Niveau. Es war in neuem Stil erbaut, unter Fortfall der Käfige, in denen die Mädchen wie eingesperrt saßen und der Schaulust lüsterner Männer freigegeben waren. Wenn man eintrat, kam man in einen mit Teppichen belegten Vorraum, in dem ein halbes Dutzend Mägde in grauseidenen Kimonos und lila Schleifen einem aus den Schuhen halfen. Eine schwere Portiere wurde auf ein Zeichen hin von innen so weit nach beiden Seiten auseinandergezogen, daß man grade hindurchschlüpfen konnte. Man stand in einem von betäubenden Düften angefüllten Raum. Wer bisher dachte, daß die Gerüche frischer Blumen und weihrauchartiger Parfüms einander töten, der wurde hier eines besseren belehrt. Neben den alten japanischen Gefäßen, aus denen weihrauchartige Düfte aufstiegen, standen in kostbaren Vasen Päonien, Kamelien, Schwertlilien, Chrysanthemen und blühende Kirschzweige. Auf dem mit seidenen Teppichen ausgelegten Boden lagen statt der Matten hohe herrliche bestickte Zabutons. In der Mitte der Wand zwischen blühenden Kirschzweigen in Oel gemalt Hanas Bild in weißem Kimono mit schwarzem Gürtel. Unter dem Bilde stand eine tiefe Schüssel aus Porzellan mit farbiger Malerei, in der Tulpen schwammen. Rechts und links davon Vasen aus Kutani-Por-zellan mit Schwertlilien. An den Seitenwänden hingen ebenfalls in Oel die Porträts von Kohana und Isa. Audi unter diesen Gemälden standen Tischchen mit Blumen und kostbarem Seifu Yohei-Fayencen und Porzellanen. Der Raum hatte als Wände nur schwere Gobelins, durch die man gedämpft das Spiel der Samisen und die Schläge auf die kleinen Trommeln vernahm. Eine feine, alte Japanerin, die niemand anders als Matsu Shuto war, empfing hier die Gäste und fragte sehr höflich, wem die Maneki-Nako den hohen Besuch zu danken habe. Gäste, denen man nicht auf den ersten Blick ansah, daß sie vornehm und reich waren, wurde bedeutet, daß dies hier eine geschlossene Gesellschaft sei, deren Mitgliedschaft nur von Madame Shima Mataumoto persönlich erworben werden könne. Man gab diesen Besuchern eine Karte, auf der Shimas Name, Adresse und Besuchszeit stand. Neugier und die ungewöhnliche Handhabung eines Geschäftsbetriebes, dessen Eigentümlichkeit es sonst war, Gäste auf alle mögliche Weise anzulocken, nicht aber fernzuhalten und ihren Besuch an Bedingungen zu knüpfen, verschaffte der Maneki-Nako, dem winkenden Kätzchen, schnell Berühmtheit und reiche Klientel.
Shima Mataumoto wurde tagsüber in ihrem Hause überlaufen. So mußte auch hier die alte Matsu Shuto sichten. Allen, die nicht im eigenen Autocar vorfuhren oder als vornehme Ausländer Gnade vor ihren Augen fanden, wurde bedeutet, daß die festgesetzte Zahl der Mitglieder, über die man mit Rücksicht auf die Mädchen und die Besucher nicht hinausginge, erreicht sei. Diejenigen, die genügendes Vertrauen erweckten und die man daher zu Shima Mataumoto vorließ, mußten es sich gefallen lassen, einem förmlichen Verhör unterzogen zu werden. Das war für japanische Begriffe etwas Unerhörtes. Aber es gab kein Gesetz gegen Unverschämtheit. Als solche empfand man es. Polizeilichen Vorstellungen setzte Shima moralische und hygienische Bedenken entgegen. Sie habe die Verantwortung für die Damen des Hauses so gut wie deren Besucher. Es müsse in Japan wenigstens eine Stelle geben, wo das Liebesgeschäft nicht völlig wahllos betrieben werde. Ihr Betrieb sei mustergültig für die ganze Welt. Man solle ihr dankbar sein, statt auf die Stimmen Mißvergnügter zu hören, die ihr nicht appetitlich und gut genug erzogen schienen, um sie der Ehre eines Verkehrs mit ihren Töchtern würdig zu befinden. Sie vertrete den Mädchen gegenüber, die unter ihrem Schutze ständen, die Stelle einer Mutter, und so lange sie nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstoße, habe ihr niemand hineinzureden.
Shima Mataumoto war so geschäftstüchtig, daß sie derartige Kontroversen geradezu provozierte. Die Presse bemächtigte sich ihrer. Hohe und höchste Herrschaften trieb die Neugier zu diesem eigentümlichen Teehaus, das in der Gesellschaft sehr bald nur noch ‚das Palais der Liebe‘ hieß. Die Manager der großen europäischen Hotels setzten eine Ehre darein, ihren vornehmen Gästen den Besuch der Maneki-Nako zu vermitteln. Es war in der Vorstellung der Bewohner und Besucher von Vergnügungsstätten etwas ganz Außerordentliches. Höchster Wunsch und Ehrgeiz einer jeden Oiran, aber auch mancher Geisha, in Maneki-Nako Aufnahme zu finden. Aber Shima Mataumoto hielt außer den drei ‚Prinzessinnen‘, deren uneheliche Abstammung von Prinzen kaiserlichen Geblüts niemand in Zweifel zog, nur noch sechs Geishas: Asa, Tamako, Humi, Momo-Ko, Sada und Noyo.