Jan wird Detektiv. Carlo Andersen
was haben Sie herausgefunden?»
«Wir haben das Auto entdeckt, in dem die Bankräuber geflüchtet sind», antwortete Mogensen. «Es stand auf dem Parkplatz beim Forum, und es erwies sich, daß es aus einer Privatgarage beim Güterbahnhof gestohlen worden ist. Der Eigentümer, ein Ingenieur namens F. C. Pedersen, ist seit einigen Tagen verreist. Er ist augenblicklich in Göteborg mit Bauarbeiten beschäftigt. Wir haben festgestellt, daß er sich von dort nicht fortgerührt hat. Das Schloß zur Garage ist ein einfaches Hängeschloß, das sich leicht öffnen läßt.»
«Hm.» Helmer blätterte in einem Aktenstück. «Die Kerle haben fünfundachtzigtausend Kronen erbeutet... oder, um genau zu sein, vierundachtzigtausendachthundert Kronen. Darunter befinden sich fünfzig neue Tausendkronenscheine, deren fortlaufende Nummern die Bank notiert hat. Das übrige Geld ist schwerer zu bestimmen. Vieles deutet zudem darauf hin, daß der Räuber sich in seinem Fach auskennt, so daß er wohl auch wissen wird, was er nach dem Raub zu tun hat. Er wird sich wohl kaum die Blöße geben, die neuen großen Scheine sogleich in Verkehr zu bringen.»
Der Kommissar schwieg und trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. Der junge Beamte wartete ab, was sein Vorgesetzter weiterhin sagen würde.
«Das schlimmste an der ganzen Sache ist», fuhr der Kommissar nach einer Weile fort, «daß wir weder von dem Bankräuber noch von seinem Helfershelfer ein genaueres Signalement haben. Niemand hat von den beiden mehr gesehen als die Augenpartie. Beide hatten den Mantelkragen hochgeschlagen und die Kopfbedeckung tief in die Stirne gedrückt. Der Kassierer meint allerdings, daß der Bankräuber einen kleinen, dunklen Schnurrbart gehabt hätte. Ganz sicher ist er aber nicht. Der Helfershelfer war ein kleiner, kräftiger Mann, behauptet der Herr, der vor der Bank mit ihm gesprochen hat. Ha! Ein kleiner, kräftiger Mann! Dieses Signalement würde auf jeden zweiten Kopenhagener passen.»
Der Kommissar versank in Gedanken. Abermals blätterte er in den vor ihm liegenden Akten. Dann fragte er: «Was ist mit den Zeitungen?»
Mogensen zog einige Nachmittagszeitungen aus der Tasche und legte sie vor den Kommissar auf den Schreibtisch. Die Überschriften waren in großen Lettern gedruckt, und überall waren Bilder von der Bank zu sehen; sie zeigten die Polizei bei der Arbeit und den weißhaarigen Kassierer an seinem Schalter. In den Artikeln wurde der Bankraub genau beschrieben, nicht die kleinste Einzelheit war vergessen. Den Beschluß bildete die wenig tröstliche Feststellung, daß die Räuber sich noch immer auf freiem Fuße befanden, und daß die Polizei noch nicht die geringste Spur gefunden hatte.
«Das ist der frechste Raubüberfall, den ich jemals erlebt habe», bemerkte Kriminalkommissar Helmer. «Aber wir müssen die beiden Verbrecher erwischen. Nicht nur damit die Bank ihr Geld zurückerhält, sondern vor allem, um den Leuten zu zeigen, daß ein Verbrechen sich niemals bezahlt macht. Wir haben der Öffentlichkeit gegenüber Pflichten. Sie wissen ja, Mogensen, daß die dänische Polizei bis jetzt noch alle Verbrecher unschädlich gemacht hat, die sich gegen das Gesetz vergangen und die öffentliche Sicherheit gefährdet haben. Und so soll es auch diesmal sein. Diese beiden Verbrecher müssen ebenfalls unschädlich gemacht werden.»
Mogensen nickte. Er kannte seinen Vorgesetzten und wußte, daß er seine Pflicht sehr ernst nahm und seine ganze Arbeitskraft in den Dienst der öffentlichen Sicherheit stellte.
«Welcher Fehler ist nun hier in erster Linie gemacht worden?» fuhr Helmer fort. «Ich meine, in welcher Hinsicht hat die Bank etwas versäumt?»
«Sie hat nicht genügend Schutzmaßnahmen getroffen», erwiderte Mogensen.
«Richtig. Die meisten Banken verfügen heutzutage über eine umfassende Sicherungs- und Alarmanlage. In diesem Falle schließen sich bei einem Druck auf einen bestimmten Knopf automatisch sämtliche Ausgangstüren, und gleichzeitig wird die Polizei alarmiert. Der Räuber sitzt dann fest. Die Gewerbe- und Industriebank aber hatte sich nicht zureichend gesichert. Das war ein Fehler, für den sie nun bezahlen muß. Ich bin überzeugt, daß der Verwaltungsrat in seiner nächsten Sitzung den Beschluß fassen wird, eine tadellose Sicherungsanlage einzubauen. Das ist die erste Stufe in der Bekämpfung des Verbrecherwesens: Alle Bedingungen zu schaffen, die ein Verbrechen unmöglich machen. Man muß auf seine Sachen achtgeben, sein Fahrrad abschließen, sein Geld gut verwahren und nichts herumliegen lassen. Die Gewerbe- und Industriebank hat nun in dieser Beziehung etwas gelernt!»
3.
«Meine Güte, hab’ ich einen Hunger!»
Jan Helmer kam in die Wohnstube geschossen, wo seine Mutter am Fenster saß, die unvermeidliche Näharbeit in den Händen. «Grüß Gott, kleine Frau Helmer!»
«Grüß Gott, mein Junge.» Frau Helmer lächelte ihren Sohn an. «Hör einmal, Jan, du darfst auf der Treppe nicht so poltern. Ich dachte schon, ein ganzes Regiment käme heraufmarschiert. Was glaubst du denn, was die andern Hausbewohner sagen werden, wenn du solchen Krach machst?»
Sie sah voll Stolz auf ihren Jungen. Jan hatte sich auf die Tischkante gesetzt und baumelte mit den Beinen. Er trug einen dunkelblauen Pullover, lange, dunkelblaue Hosen und blauweiße Bootsschuhe. Sein Gesicht war sonnverbrannt, und seine Augen glänzten vor Lebenslust und Gesundheit.
«Hast du dich gut unterhalten?»
«Ob ich mich gut unterhalten habe! Ach, Mutter, ich bin ja so glücklich, daß ich der Juniormannschaft beitreten durfte! Du ahnst nicht, wie herrlich das Segeln ist! Und Peter Winslöw, der Hafenaufseher, ist ein glänzender Lehrer.»
Jan hatte nach endlosem Hinundherreden die Erlaubnis erhalten, der Juniormannschaft des Segelklubs beizutreten. Sein Vater, Kriminalkommissar Helmer, hatte von Anfang an nichts dagegen gehabt; aber Frau Irene Helmer war von Natur ziemlich ängstlich, so daß sie sich zuerst heftig widersetzt hatte. Tatsächlich saß sie jetzt immer mit klopfendem Herzen da, wenn Jan mit seiner Mannschaft auf dem Wasser war. Trotzdem freute sie sich an seiner Begeisterung und an seinem guten Aussehen, das er dem freien Leben auf dem Meer verdankte.
Nun hörte sie lächelnd seiner begeisterten Schilderung von der heutigen Segelfahrt zu, obwohl sie nicht recht zu folgen vermochte, da alle möglichen Fachausdrücke durch die Luft schwirrten, mit denen sie überhaupt keinen Begriff verband. Was war zum Beispiel «Luvseite», was «Backbord» und «Klüverbaum» und «Heck»? Was bedeutete es, wenn Jan von «abfallen» sprach, und davon, daß «das Boot in den Wind geschossen war»? Sie gab es auf, hinter den tieferen Sinn dieser Seemannssprache zu kommen, und begnügte sich damit, sich an der Begeisterung ihres Sohnes zu freuen. Im übrigen setzte sie ihr Vertrauen auf den Hafenaufseher, der als vernünftiger und tüchtiger Mann galt und es verstand, die Knaben auf eine muntere und gleichwohl bestimmte Weise zu meistern.
Während Jan erzählte, ging die Türe auf, und seine Schwester Lis kam herein. Sie war nur ein Jahr älter als Jan, doch schon fast erwachsen – wenigstens ihrer eigenen Meinung nach! Sie hatte mit einer Freundin einen Spaziergang gemacht und trug einen sehr hübschen Hut.
Jan riß die Augen auf. «Heiliger Bimbam! Woher hast du denn diesen Deckel?» Er sprang vom Tisch hinunter, stürzte auf Lis zu und versuchte ihr den Hut zu entreißen.
Sie wehrte sich, so gut sie konnte. «Scher dich, du Frechdachs! Es geht nur mich etwas an, was für einen Hut ich aufhabe. Au! Jan, du bist ein Ungeheuer! Geh, du verdirbst mir ja meinen Hut!»
«Könnt ihr denn niemals Ruhe geben!» mahnte Frau Helmer. «Man möchte beinahe meinen, ihr wäret fünf Jahre alt.» Sie mußte dann aber doch lachen, als sie Jan sah, der sich den Hut seiner Schwester aufgesetzt hatte und damit durchs Zimmer stolzierte.
Plötzlich hielt er in seinem Spaziergang inne, und Lis nützte die Gelegenheit, sich ihren Hut wieder anzueignen und mit verächtlicher Miene hinauszugehen.
Jan fragte: «Kommt Vater heute spät nach Hause?»
«Ich weiß wahrhaftig nicht, wann er heimkommt», seufzte Frau Helmer. «Dieser Bankraub gibt ihm viel zu schaffen. Er rief vor kurzem an und sagte, daß er zum Abendessen hier zu sein hoffe; aber ich weiß zur Genüge, was das zu bedeuten hat. Es kann geradesogut sein, daß er die halbe Nacht hindurch arbeiten muß.»
«Wenn