Die Nacht ohne Morgen - Krimi. Paul Rosenhayn

Die Nacht ohne Morgen - Krimi - Paul Rosenhayn


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      Paul Rosenhayn

      Die Nacht ohne Morgen - Krimi

      Detektivroman

      Saga

      Die Nacht ohne Morgen - KrimiCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1919, 2020 Paul Rosenhayn und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726629408

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

      Erstes Kapitel

      Als an jenem strahlend hellen Septembernachmittag das Telephon wie irrsinnig läutete, sass Joe Jenkins behaglich in der Badewanne.

      Der Kammerdiener, den der Amerikaner mit der möblierten Wohnung übernommen hatte, die er für seinen vorübergehenden Berliner Aufenthalt bewohnte, und die in einem der Vororte des Westens lag, dieser Diener, der sozusagen ein Stück des Hausinventars darstellte, kannte die Gewohnheiten seines neuen Herrn noch nicht. Ein Telephonanruf vermochte ihn immer noch in fliegende Eile zu versetzen. Besonders wenn der Anrufende von einem dringenden Fall oder gar von Lebensgefahr sprach, dann war Peter, der Diener, ganz wie aus dem Häuschen. Er hatte noch nicht begriffen — und konnte noch nicht begriffen haben — dass auch die eiligsten und gefährlichsten Dinge der Welt, wenn sie sich häufen und sich wiederholen, für den Betreffenden zu einer Art von Alltagserscheinung werden, und dass selbst für Verbrechen und Todesgefahr und überhaupt alle jene Dinge, die sozusagen den Superlativ des Erlebens darstellen, in letzter Linie die gleiche altbewährte Maxime gilt: dass nur die Ruhe es machen kann.

      Peter, der Diener, lief atemlos zwischen dem Arbeitszimmer und dem Badezimmer hin und her:

      „Mr. Jenkins!“

      „Was gibt’s?“

      „Das Telephon. . .“

      „Was ist mit dem Telephon?“

      „Es klingelt!“

      Ein glucksender Ton kam durch die Tür.

      „Das höre ich. Haben Sie gefragt, wer da ist?“

      „Nein.“

      „Dann tun Sie es, Peter.“

      Peter rannte ins Arbeitszimmer zurück:

      „Hier ist der Kammerdiener des Mr. Joe Jenkins.“

      Er lauschte einen Moment, und seine Finger krampften sich um das schwarze Holz; dann liess er den Hörer — man konnte nicht sagen, ob vor Schreck oder aus Eilfertigkeit — fallen und hastete wieder über den Korridor, hinüber zum Badezimmer.

      „Mr. Jenkins — bitte, Mr. Jenkins — Sie müssen selbst kommen.“

      „Wer ist es, der mich sprechen will?“

      „Eine Dame.“

      „Hat sie ihren Namen genannt?“

      „Nein.“

      Der Diener riss ungeduldig die Perlmutterknöpfe seiner Leinenjacke auf und fuhr nervös mit der Hand nach dem Kragen, wie um sich Luft zu machen.

      „Ein Verbrechen, Mr. Jenkins!“

      „Nun, was hat sie denn gesagt? Jene unbekannte Dame?“

      Der Diener blickte mit einer scheuen Gebärde zurück. Dort drüben, wo das Licht durch die hohen Fenster flutete, lag der abgenommene Hörer schweigend und gefühllos auf dem grünen Tuch. Ein Sonnenstrahl tanzte spielerisch auf dem mattglänzenden Holz, und das fröhliche Lachen der Kinder drang durch den sonnigen Spätsommertag gedämpft und lebensfreudig herauf. Wie ein feiner Nerv lief der Telephondraht durchs Zimmer — wie ein Nero, dessen ruhiger und exakter Linie niemand ansah, dass in ihm Todesangst vibrierte.

      Der Diener wandte sich schaudernd zur Tür, und wie mit einem Ruck sich aufrichtend sagte er:

      „Eine weibliche Stimme hat gerufen: Kommen Sie sofort nach Tigergasse 16.“

      „Und das ist alles?“ fragte der Detektiv verwundert zurück.

      Der Diener schüttelte den Kopf und schluckte:

      „Nein!“

      „Na also — sprechen Sie endlich, Peter. Was hat sie denn gesagt?“

      Der Diener sagte langsam: „Einen Moment lang war alles ruhig. Dann, auf einmal rief die Dame mit einer merkwürdig veränderten Stimme, die fast kreischte:

      Ein Mord!

      Darauf gab es einen seltsamen Ruck; das Telephon knackte — so, als ob man auf eine Blechschachtel drückt, wissen Sie, Mr. Jenkins — dann hörte ich merkwürdigerweise plötzlich Musik — ich konnte es ganz deutlich hören, es war ein Walzer, den ich kannte — und dann mit einem Schlage war alles still.“

      Aus dem Badezimmer kam ein plantschendes Geräusch. Ein knarrender Ruck, in den sich das Glucksen und Schwappen des Wasser mischte — dann flog die Tür auf. In einen unendlich langen Bademantel gehüllt, stürzte eine Gestalt über den Korridor ins Arbeitszimmer.

      „Halloh!“ Der Detektiv schlug auf die Gabel des Hörers. „Halloh — hier Joe Jenkins persönlich.“

      Keine Antwort.

      Der Detektiv strich sich mit der Rechten das wirre, feuchte Haar aus der Stirn und trocknete mit einem Zipfel des Handtuchs sein Gesicht. Inzwischen setzte er seine Bemühungen, das Amt zu erreichen, fort.

      „Halloh! Halloh!“

      Endlich, es mochten fast fünf Minuten vergangen sein, meldete sich eine Stimme: „Hier Amt.“

      „Fräulein, ich muss wissen, mit wem ich eben gesprochen habe.“

      Die Stimme murmelte ein paar Worte, die er nicht verstand; dann setzte ein Summen ein, so, als ob sich der Stromkreis um Tausende von Gesprächen erweitere. Die Stimmen wogten auf und ab, zerrissene Gesprächsfragmente schwirrten; hier und da ein verständliches Wort, dann erstarb das Summen und Murmeln, und eine kühle, sachliche Stimme sagte:

      Ich kann nicht mehr feststellen, mit wem Sie gesprochen haben, mein Herr.“

      Das Stimmengewirr schwieg nun völlig, und der Apparat, den der Detektiv in der Hand hielt, war wie ein totes und schweigendes Stück Holz.

      Er warf den Hörer auf die Gabel: „Peter, gehen Sie hinunter und sagen Sie dem Chauffeur, dass er in zehn Minuten vor der Tür sein soll.“

      Der Diener ging eilig davon und kam nach zwei Minuten zurück.

      „Erledigt?“

      „Jawohl.“

      „Gut. Helfen Sie mir beim Anziehen.“

      Peter glitt geräuschlos durchs Schlafzimmer, und selbst die Türen knarrten leiser unter seinen zarten wie biegsamen Händen. Während Joe Jenkins die Krawatte knüpfte und Weste und Jackett anlegte, holte Peter den Tee herein und goss diskret eine Tasse halb voll. Geräuschlos zerteilte er ein Brötchen, stülpte den irdenen Kühler um und bestrich beide Hälften sorgsam mit goldgelber Butter.

      Der Detektiv zog die Uhr: „Dreizehn Minuten — er ist noch immer nicht da!“

      „Soll ich hinuntergehen?“

      „Nein.“ Joe Jenkins schob den letzten Bissen in den Mund und stellte die Tasse klirrend nieder.

      „Also Tigergasse 16, sagte die Dame?“

      „Ganz recht, Mr. Jenkins.“

      Vom Lärm der Strasse löste sich ein taktmässiges Knattern, das schnell näher kam.

      „Er ist es“, nickte Peter und ging ans Fenster. Aber mit einem bestürzten Gesicht wandte er sich herum.


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