Die Nacht ohne Morgen - Krimi. Paul Rosenhayn

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Karosserie in einer einzigen geraden Linie lief, sauste eben am Hause vorüber.

      „Weiss Gott, er fährt weiter“, sagte Jenkins.

      Der Diener folgte mit den Augen dem dahinrasenden Wagen. Dann fiel sein Blick plötzlich auf den Insassen.

      „Sehen Sie nur! Eine Dame, Mr. Jenkins — — eine fremde Dame . . .!“

      Der Amerikaner nickte: „Ich sehe schon, Peter. In unserem Auto sitzt eine fremde Dame, und der Chauffeur fährt vorüber — obwohl Sie ihm vor einer Viertelstunde gesagt haben, dass er mich abholen soll . . .“

      „Was bedeutet das?“ drängte der Diener, und seine Stimme zitterte.

      Der Detektiv zuckte die Achseln.

      „Auf jeden Fall nichts Gutes. Meinen Hut!“

      Eine Sekunde später fiel die Tür hinter dem Amerikaner ins Schloss.

      Als Joe Jenkins die Strasse betrat, war der Wagen längst verschwunden. Nur irgendwo aus der Ferne, aus dem Gewirr, das aus Strassen und Gassen, aus Häusern und Plätzen zusammenklang, kam noch der schwache Ton der wohlbekannten Hupe.

      Die Strasse war jetzt fast leer. Nur eine einsame Autodroschke stand, offenbar auf einen Fahrgast wartend, drüben am Halteplatz.

      Der Detektiv ging um den Häuserblock herum. In dem Torweg, der zur Garage führte, spielten ein paar Kinder. Hinten auf dem Hof standen Pfützen, und eine breite Wagenspur glänzte feucht auf dem zementierten Weg, der auf die Strasse hinausführte.

      Der Detektiv nickte. Die Tür war verschlossen.

      Er zog den Schlüssel. Das Schloss glitt klirrend zur Seite, und er stiess die Tür auf.

      Der leere Raum grinste ihm im Halbdunkel entgegen.

      „Halloh!“

      Aus dem Hinterhause kam die Frau des Chauffeurs mit einer Markttasche in der Hand.

      „Was ist das, Frau Lanz? Warum ist Ihr Mann nicht hier?“

      Die Angerufene kam eilig näher, stellte die Markttasche behutsam auf den Boden und wischte sich die Hände eifrig an der Schürze ab.

      „Aber Mr. Jenkins! Er ist doch fortgefahren.“

      „Fortgefahren?“ wiederholte der Detektiv mit erheucheltem Erstaunen. „Wohin denn?“

      „Nun, mit der Dame!“

      „Mit was für einer Dame?“

      „Mein Gott! Mit der Dame, die Sie hergeschickt haben, Mr. Jenkins!“

      „Ich habe keine Dame hergeschickt.“

      „Aber die Dame sagte doch ausdrücklich, sie käme von Ihnen! Erst glaubte mein Mann ja, sie sei nur sozusagen als erste eingestiegen, und er wollte also zu Ihnen vor die Tür fahren, um Sie abzuholen.“

      „Und das erlaubte die Dame nicht?“

      Die Frau schüttelte eifrig den Kopf.

      „Herrgott! Jetzt wird es mir klar! Dass ich das auch nicht gleich gemerkt habe! Sie wurde ganz aufgeregt, fast böse. Oder vielmehr, wenn ich es mir jetzt so überlege, möchte ich fast meinen: sie wurde ängstlich.“

      „Was sagte sie denn?“

      „Nein, nein, sagte sie, Mr. Jenkins hat ausdrücklich befohlen, dass Sie sich nicht aufhalten. Sie sollen mich so schnell wie möglich hinfahren. Er selbst ist schon mit Herrn Rüdiger vorausgefahren.“

      „Mit wem?“ wiederholte der Detektiv verwundert.

      „Mit Herrn Rüdiger.“

      „Den Namen habe ich noch nie in meinem Leben gehört.“

      „Das verstehe ich nicht“, staunte die Frau und fasste sich nachdenklich an den Kopf. „Das ist mir wirklich rätselhaft.“

      „Wie konnte denn Ihr Mann so einfach auf die Weisung einer fremden Frau eingehen?“

      „Ja, Mr. Jenkins, das frage ich mich jetzt auch. Aber die Dame trat wahrhaftig so bestimmt auf, dass uns keinen Augenblick irgendein Zweifel gekommen ist. Meinem Mann nicht und mir auch nicht. Und dann kam noch eins hinzu . . .“ fuhr sie zögernd fort.

      Noch eins? Was denn?“

      „Das Ziel, das die Dame nannte, war dasselbe, das Peter meinem Mann angegeben hatte. Da sagte sich mein Mann natürlich — das stimmt! Dieselbe Adresse hat dir Mr. Jenkins auch sagen lassen. Da ist die Sache einfach so: Mr. Jenkins ist eben mit diesem Herrn Rüdiger vorausgefahren, und da sollst du diese Dame hinterherbringen. Ja, so hat er gedacht — und ich muss sagen, ich habe genau dasselbe gedacht. Und ich hätte genau so gehandelt.“

      Der Detektiv blickte zu Boden: „Sie sagen, die Dame hätte dieselbe Adresse genannt, die Peter Ihrem Manne gesagt hat?“

      „Jawohl“, nickte die junge Frau eifrig.

      „Können Sie sich erinnern, wie diese Adresse lautete?“

      „Warten Sie mal. Ja, so war es: Tigergasse 16. Und da muss ich doch sagen, wenn ich — — —“

      Frau Lanz vollendete diesen Satz nicht mehr. Ihr Mund war in sprachlosem Erstaunen offen stehen geblieben, und sie starrte mit runden Augen auf den Torbogen, durch den eben Joe Jenkins in vollen Sätzen davonstürmte.

      Die Autodroschke stand noch immer gemütlich wartend auf ihrem Platz. Der Detektiv kam in hastigen Schritten um die Ecke und winkte.

      Der Chauffeur sah ihn nicht. Er sprach eben mit einer Dame, und jetzt, in dem Augenblick, da der Detektiv näher kam, sah er, wie die Dame im Wagen Platz nahm, wie der Chauffeur mit kräftiger Hand den Motor in Schwung setzte, sich dann auf den Sitz schwang und die Hand an das Steuerrad legte.

      „Halt!“

      Der Chauffeur blickte erstaunt auf, mit jenem spöttischen Flimmern in den Augen, das den Chauffeuren der ganzen Welt zur Verfügung steht in jenem Moment, da sie einem Fahrgast klarzumachen wünschen, dass sie bereits einen andern Fahrgast haben.

      „Ich bin besetzt!“

      Damit zog er kurzerhand den Bremshebel.

      „Warten Sie!“

      In dem Klang der Stimme des Amerikaners war etwas, was den Chauffeur unschlüssig werden liess.

      Der Detektiv wandte sich an die Dame:

      „Es handelt sich um ein Verbrechen, gnädige Frau. Wahrscheinlich um einen Mord. Würden Sie sich entschliessen können, mir dieses Auto abzutreten?“

      Die Angeredete sah ihm mit einem schnellen Blick ins Gesicht.

      „Wohin wünschen Sie zu fahren, mein Herr?“

      „Nach der Tigergasse.“

      „In welcher Gegend ist die?“

      „In der Nähe des Dönhoffplatzes — zwischen Dönhoffplatz und Moritzplatz.“

      „Das trifft sich gut, mein Herr,“ sagte die Dame lächelnd, „ich will in die Stadt fahren, nach dem Schlesischen Bahnhof. Wenn Sie wollen, so nehme ich Sie nach der Tigergasse mit!“

      Der Detektiv lüftete dankend den Hut und stieg ein. Er nahm das Sprachrohr:

      „Fahren Sie also zuerst nach der Tigergasse 16.“

      Der Chauffeur nickte, und einen Augenblick meinte Joe Jenkins, während jener ein schnelleres Tempo einschaltete, auf seinem halbgewandten Gesicht ein leises Lächeln zu sehen.

      Alleen flogen vorüber. Eine breite Landstrasse tat sich auf. Bäume, deren Laub schon goldig schimmerte, wuchteten auf das Fahrzeug zu, verschwanden. Der Chauffeur rückte abermals den Hebel, und mit der letzten Geschwindigkeit raste das Auto vorwärts.

      „Er macht seine Sache gut“, sagte die Dame.

      Der Detektiv nickte. Er warf einen verstohlenen


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