Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi. Rudolf Stratz
Elfi noch lebt?“ sagte sie.
„Weil Ihr Schwager nicht den geringsten Grund hatte, sie umzubringen!“ erwiderte der Rechtsanwalt Burhem kurz, beinahe schroff. Er trommelte, nach seiner Gewohnheit beim Plädieren, nervös mit den Fingern auf dem Tisch. „Ihr Schwager war durch die Erbauszahlung, wie Sie mir selbst sagten, abgefunden! Irgendwelche weiteren Vermögensvorteile hatte er durch den Tod Ihrer Frau Schwester nicht zu erwarten! Und bei Lebzeiten machte sie es ihm im übrigen doch wahrhaftig nicht schwer! Sie liess ihn mit seinen tausend Amouren ungehindert gewähren! Sie siechte still an seiner Seite dahin, den sie trotz allem dabei noch leidenschaftlich liebte. Nun sagen Sie selbst!“
„Ich sage einfach und immer wieder: wenn die Elfi lebte, würde sie mir ein Lebenszeichen geben!“
„Das kann sie nicht, gnädiges Fräulein. Denn sie soll nach dem Willen ihres Mannes für tot gelten!“
„Was hätte denn das für einen Zweck?“
„Gnädiges Fräulein: Sie erzählten mir, Ihr Schwager habe das ganze Geld seiner Frau in die Siedlung Neuwest gesteckt! Sie äusserten gleich darauf Ihren Zweifel, ob das wirklich solch eine Goldgrube sei? Nun: Im Vertrauen: die Neuwest wackelt! Wackelt äusserst! Es ist in Berlin ein offenes Geheimnis, dass die Gesellschaft und damit auch deren oberster Mann an der Spitze, der Architekt Christof Vohwinkel, vor dem finanziellen Kladderadatsch stehen!“
„Gut, dass die arme Elfi das nicht mehr erlebt!“
„Sie erlebt es, meine Gnädigste — sie erlebt es!“ Der Verteidiger spielte unruhig mit einem Kaffeelöffel. „Das ist ja eben der Zweck der Übung — ich meine dieses Scheintodes! Des Todes für einen Schein! Oder für mehrere Scheine. Scheine der Lebensversicherungsgesellschaften. Zugunsten des Architekten Christof Vohwinkel, im Fall des Ablebens seiner Gattin!“
„Was . . .?“ Das junge Mädchen erhob sich langsam, mit grossen, starren Augen. „Wenn ich Sie recht verstehe, so wollen Sie behaupten, dass mein Schwager hohe Versicherungspolicen auf den Tod meiner Schwester abgeschlossen . . .“
„. . . und wahrscheinlich schon lange in Amerika eingestrichen hat!“
„. . . und dass er zu diesem Zweck die Elfi mit ihrem Einverständnis für tot ausgibt . . .?“
„Ja!“
„Aber das wäre ja der reine Betrug!“ sagte das junge Mädchen. Ihre Augen funkelten.
„Trauen Sie den Ihrem Schwager nicht zu?“
„Von ihm rede ich nicht! Aber meine Schwester! Meine Schwester!“ Male Matteis flüsterte, damit niemand im Lokal sie hörte. Sie beugte den Kopf weit über die Tischplatte gegen den Rechtsanwalt vor. Ihr Gesicht sah gefährlich aus in seinem heiligen Zorn. „Sie wagen es, das Andenken meiner Schwester zu beschimpfen?“
„Das sind zu grosse Worte, Fräulein Matteis!“
„Sie bringen dieses reinste Wesen der Welt, das Sie nie gekannt haben, und wenn Sie es gekannt hätten, nie begriffen hätten, Sie bringen meine Elfi mit einem — ja. . . mit einem ganz glatten, schamlosen Betrug in Verbindung?“
„Der Mithilfe, gnädiges Fräulein! Es tut mir ja leid, es zu sagen!“
„Die Elfi! Der Elfi das zuzutrauen! Es wäre ja so lächerlich, wenn es nicht so schimpflich wäre!“
„War, nach Ihrer Aussage, Ihre Schwester nicht in ihren Mann verliebt?“ frug der Rechtsanwalt gleichgültig.
„Na — wahnsinnig!“
„War sie nicht, wie Sie sie schilderten, von zärtlichem, hingegebenem Charakter — weiches Wachs in der Hand eines Menschen, den sie liebte?“
„Das schon — aber . . .“
„Also — was tut nicht eine opferfähige Frau, die liebt?“
Male Matteis stand nun wirklich auf. Der Rechtsanwalt Burhem war sitzen geblieben. Sie schaute von oben auf ihn hinab. Sie hatte sich jetzt beruhigt. Sie war nur sehr blass. Sie zuckte die Achseln.
„Sie sind ein armer Mensch!“ sagte sie verächtlich. „Sie tun mir leid. Für Sie gibt es nur das Schlechte und Niedrige im Leben!“
„Leider Gottes!“ Der Verteidiger blickte ergeben vor sich hin. „Da die Mustermenschen der Schöpfung sich nur sehr spärlich nach Moabit verirren . . . Ich sehe nun einmal berufsmässig den Menschen in seiner ganzen Schwäche!“
„Und wieviel entgeht Ihnen, dass Sie den Menschen nicht mal in seiner ganzen Stärke sehen!“ Males Atem ging stürmisch. Aus ihren Augen lachte zornige, zukunftsfrohe Jugend. Ihr Antlitz rötate sich in einem heiligen Eifer. „Und den Menschen in seinem ganzen Anstand! Es gibt fabelhaft anständige Menschen — prachtvolle Naturen . . .“
„Ihnen glaub’ ich das aufs Wort!“ sagte, sich erhebend, der Rechtsanwalt.
„Und an solche Menschen glaub’ ich — sonst müsste man ja den ganzen Glauben an die Menschheit verlieren — und solch ein Mensch war die Elfi! Nein — der ihr Bild trüben Sie mir nicht! Kommen Si emit hinaus auf die Strasse — draussen sage ich Ihnen die Meinung weiter! Hier rede ich zu laut . . . Die beiden Briefträger drüben schauen schon herüber! . . .“
„Bitte!“
„So! Die Strasse ist leer. Hier sind wir ungestört. Nun hören Sie meine Überzeugung! Mein Schwager steht vor dem Bankrott. Das Geld seiner Frau hat er vertan. Neues ist von ihr nicht zu erwarten! Also braucht er eine zweite Frau mit neuem Geld. Für ihn eine Kleinigkeit: er ist in den Dreissig, ein sogenannter schöner Mann, von einer für mich unbegreiflichen Wirkung auf mein Geschlecht. Er hat, wenn er frei ist, an jedem Finger zehn reiche Partien. Aber er ist noch nicht frei. Er besitzt schon eine Frau. Die muss also zuerst von der Bildfläche verschwinden! Die Elfi stirbt im Ausland über Nacht. Das Trauerjahr ist jetzt um. Wir werden bald von einer neuen Verlobung des Herrn Christof Vohnwinkel hören — wenn ich ihn nicht vorher dem Staatsanwalt wegen Ermordung seiner Frau überliefere. Und das werd’ ich — verlassen Sie sich darauf!“
„Und der leere Sarg?“
„Der leere Sarg sagt Ihnen, Herr Doktor, dass die Frau, die da hineingehört, irgendwo in der Umgebung dieses spanischen Nestes ermordet worden ist und garnicht mehr an Ort und Stelle in den Sarg gebracht werden konnte! Vielleicht hat mein Schwager sie in einen Teich gestossen oder in einem Kaktusgebüsch vergraben — was weiss ich . . . Das wissen nur die, die ihm dort bei dem ganzen Verbrechen geholfen haben, und unter denen werde ich jetzt in Spanien in aller Stille auftauchen, ehe eine Woche um ist!“
„Sie werden mir glauben, gnädiges Fräulein,“ sagte der Rechtsanwalt Burhem langsam, „dass ich mich in erster Linie mit dieser Möglichkeit eines Mordes, die Sie eben andeuteten, beschäftigt habe!“
„Das hoff’ ich wenigstens!“
„. . . und ich habe diese Möglichkeit ausgeschaltet, nachdem ich mir vorhin Ihren Schwager eine Stunde lang angesegen habe! Das ist nämlich bestimmt kein Mörder!“
„Wer sagt Ihnen das?“
„Die Menschenkenntnis — gnädiges Fräulein! Die hat man oder man hat sie nicht! Man sagt sie mir ja in einem besonderen Masse nach! Sie ist ein Gefühl! Analysieren lässt sie sich nicht! Ihr Schwager Vohwinkel kann kein Blut sehen. Er ist ja kein Mann der Gewalt! Er ist viel zu weichlich. Ein Liebling der Frauen. Weiblich mit ihnen empfindend. Sie verstehend und von ihnen verstanden. Solchen Leuten braucht man nicht erst zu sagen: Du sollst nicht töten. Die töten von selber nicht! Als halbe Naturen tun sie auch da eben ie Hälfte: sie lassen ihren Mitmenschen am Leben und tun so, als wäre er tot!“
„Ich bleibe steif und fest bei dem Mord!“
„Und ich bei der Versicherungspolice, Fräulein Matteis!“
Es hielten jetzt schon einige Frühdroschken an der Strassenecke. Male Matteis stieg in die eine.
„Die Elfi ist tot!“ sagte sie halblaut zu dem Rechtsanwalt Burhem,