Tausend und eine Insel. Ein Reisebuch aus Polynesien und Neuseeland. Arnold Höllriegel

Tausend und eine Insel. Ein Reisebuch aus Polynesien und Neuseeland - Arnold Höllriegel


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den kleinen automatischen Fächer, und eine Minute lang spielt sie damit, wie ein erfreutes Kind. Dann gibt sie das Ding einer Dienerin zu halten, die vor ihr niederhockt, um es zu empfangen — —

      Das Gästehaus, in dem ich schlafen soll, ist ein ganz gewaltiges Gebäude, gross und hoch und leer wie eine Ballonhalle. Es liegt auf einem künstlich erhöhten Hügel über dem grossen und sauberen Dorfplatz, der mit grünem Rasen bedeckt ist, wie der Kirchenplatz eines englischen Dorfes, und der ebenso zum Krikketspielen verwendet wird. Dem Gästehaus gegenüber steht die Kirche, scheusslich anzusehen, ganz Holz, Ecken und Wellblech. Irgendwo auf einem Hügel ist das Haus des wesleyanischen Missionars. Er ist der einzige Weisse, der auf Mbau wohnen darf, denn wenn auch die Europäer und die asiatischen Plantagenkulis auf allen anderen Inseln von Fidschi noch so zahlreich werden, die kleine königliche Insel Mbau hat man den alten Häuptlingsfamilien vorbehalten und zur Pflege der heimischen Tradition bestimmt. Mbau ist das Versailles, nein, das Potsdam von Fidschi. In diesen schönen luftigen Häusern in den kleinen Gärten dürfen nur Häuptlinge wohnen und ihre Frauen und Diener. Keine Kokosnuss darf auf dieser Insel wachsen, keine Brotfrucht. Was die grossen Herren brauchen, bringt man von den anderen Inseln: hier wird nicht gesät noch geerntet.

      Es ist die Stunde des Sonnenunterganges, und das Meer um Mbau wird ganz rot und golden. „Rührei mit Paprika“, sagt der Apotheker Brown missbilligend und geht ins Innere des Gästehauses einen Whisky trinken, weil diese Stunde ohne Whisky sehr ungesund ist.

      Ich sitze auf den monumentalen Stufen von schwarzem Basalt, die zu dem Gästehaus emporführen, und verbringe diese Stunde des Sonnenunterganges damit, dass ich den nackten schwarzen und kraushaarigen Kindern der Insel beibringe, wie man auf einer Mundharmonika den Radetzkymarsch bläst. Ich blase ihnen gerade den Radetzkymarsch vor, weil ich ihn mit grosser Bestimmtheit von den vielen anderen Melodien unterscheiden kann, die mein so unmusikalisches Gedächtnis nicht so gut kennt, aber auch, weil in diese feudale Cidevant-Atmosphäre der Insel Mbau kein anderes Lied gut passt, das ich blasen könnte.

      Diese vielen Mundharmonikas, die ich mitgebracht habe, machen mich zum geliebtesten Onkel aller kleinen Negerlein auf der Häuptlingsinsel Mbau. Zwanzig, dreissig Stück kauern auf den Stufen, die zu dem Gästehaus führen, oder kriechen auf allen vieren über die Böschung des kleinen Hügels, der das hohe Haus über den schönen sauberen Grasplatz erhebt. Sie halten die Maultrommeln an die Zähne, als wollten sie sie abnagen; ich kann nicht umhin, an die Grossväter dieser munteren Knaben zu denken, die Menschenknochen benagten.

      Ich habe leider, das stellt sich heraus, nicht genug Mundharmonikas für alle nackten kleinen Fidschibuben von Mbau mitgebracht. Einige von den Zurückgesetzten kann ich mit Schokolade trösten, aber ein achtjähriger Häuptlingssohn bleibt unversöhnlich und schneidet wilde Gesichter und ruft mir auf Fidschi ein Wort des Grolls zu, das ich nicht verstehe. Mehrere von den älteren Knaben haben in der Missionsschule Englisch gelernt, und ich frage einen von ihnen, was ihr Kamerad mir da zuschreit, mir, der ich ihm keine Mundharmonika mitgebracht habe.

      Der Gefragte grinst:

      „Er sagt, Sir: Ich fresse deine Augen, Sir!“

      Wir verständigen uns zur Not sehr gut auf Englisch, aber es ist viel lustiger, wenn ich mein Notizbuch ziehe und in der Fidschisprache zu reden versuche. In dem Notizbuch steht: „jo“ heisst „ja“; „nein“ heisst „sengai“; „danke schön“ heisst „vinaka.“ Und „tou veitotaki“ heisst „wir wollen gute Freunde sein“.

      Ich sage immerzu: „tou veitotaki“ und blase dann den Radetzkymarsch, annähernd. Eine Fidschimama, noch schlank wie ein Mädchen, mit einer Hybiscusblüte in dem halblangen gewellten Haar, das wie eine Bürste vom Kopf wegsteht, kommt mit einem guten Lächeln und setzt das nackte Baby, das sie auf ihrem Rükken getragen hat, auf meinen Schoss. Da mich die warme und samtene Haut des Kindes streift, geht durch mich ein merkwürdiges elektrisches Rieseln, ganz anders als jenes Gefühl, das die Berührung eines weissen Säuglings gibt.

      Jetzt ist es völlig Nacht, auf einmal. Die Moskitos werden im Freien zu lästig. Ich gehe in das Innere des Hauses und esse etwas, aus meinen eigenen Vorräten, denn ich bin unangemeldet gekommen und zu spät, als dass man noch ein Schwein hätte schlachten und mit Brotfrucht und Taroknollen in der Kochgrube backen können.

      Die Nacht ist schwül, aber die prachtvolle hohe Halle des Gästehauses hat poröse Wände, und vier grosse Türen, in jeder Himmelsrichtung offen, lassen die köstliche Brise durch das Gebäude streichen. Das steile Dach ruht auf tausendfach umwundenen und geschmückten Pfeilern; die Wände sind mit Matten bekleidet, von einem Geflecht wie Panamahüte, mit feinen schwarzen Mäandern und geometrischen Ornamenten. In diesem grossen, grossen Saal steht nur ein langer Tisch, auf den ich meine Geschenke gehäuft habe, die grellbunten Stoffe, Tabak und Flaschen billigen Parfüms. Ich sitze alla turca auf den Matten, an meine Reisetasche angelehnt. Draussen in der Dunkelheit taucht manchmal ein Licht auf; ein Eingeborener bringt eine Windlampe und stellt sie vor mich hin auf die Matte. Dann kommen sie, truppweise, die Knaben und die jungen Mädchen von Mbau. Der alte Häuptling, der Tui, befehligt sie wie ein Schulmeister. Jetzt hocken sie alle nieder, auf einer Seite die Knaben, in ordentlichen Reihen, vier Bub tief, auf der anderen die Mädchen, die ihre losen, bunten Kattunkittel tragen und Blumenkränze. Einige von ihnen, aber nur wenige, haben diese absonderlichen semmelblonden oder fuchsroten Haare, die sie hervorbringen, indem sie ihren Kopf mit Lehm einschmieren oder mit Kalklauge bearbeiten.

      Im Hintergrund sitzen die Männer von Mbau, nicht viele, denn Ratu Pope hat ein stattliches Gefolge mit sich genommen. Es sind nur einige Jünglinge zurückgeblieben, herrlich gebaute Athleten, von deren schwarzen geölten Schenkeln das Lampenlicht reflektiert wird wie von lackierten Schaftstiefeln. Ihre Haare, die ganz weich sind und wunderbar gepflegt, stehen gewaltig über den schönen breiten Stirnen zu Berge. Alle anwesenden Kanaken tragen den Sulu genannten Lendenschurz, obgleich Ratu Bola mir gleich versichert hat, dass er auch Hosen besitzt, „ganz genau ebenso wie weisser Mann, wett’ dein Leben“. Ratu Bola, ein rüstiger Herr von Sechzig, ist ausser dem alten Tui Savura der einzige Häuptling, der augenblicklich auf Mbau ist, die anderen haben alle die Heerfahrt ihres geborenen Lehensherren mitgemacht, Ratu Popes.

      Ratu Bola spricht ein geläufiges, aber persönliches Englisch, das er am Strand von Suva aufgelesen hat, mit drolligen amerikanischen Slang-Ausdrücken. Er ist ein stattlicher Mann und ein Aristokrat, aber ich kann nicht verhehlen, dass er zu oft ein Glas Whisky von mir fordert. Ich habe die Absicht, den Rest des Whiskys als Geschenk zu hinterlassen, nicht aber, diese Kannibalenenkel sehr betrunken zu machen, solange ich da bin. Nur der äusserste Takt hilft aus dieser Klemme. Aber der Ratu ist nicht unverschämt, nur gierig wie ein Kind.

      Immerhin muss ich das Gesprächsthema wechseln. Ach, reden wir doch nicht fortwährend von Whisky und solchen Sachen. „Werden diese jungen Leute singen?“ frage ich.

      „Bet y’r life,“ sagt der Ratu, „wett’ dein Leben, sie werden singen wie ein Schuss! Grosse ‚Meke‘, für dich. Trinkt man viel Whisky in deinem Land?“

      Die „Meke“, mit der man heute abend den Gast der Insel Mbau unterhält, ist nicht sehr gross und nicht sehr zeremoniell, vielleicht wegen der allgemeinen Unwürdigkeit des Gastes, der kaum ein sehr grosser Häuptling ist, vielleicht, weil er so spät kam und grosse Vorbereitungen nicht möglich waren, vielleicht auch, weil man nicht vorher gewusst hat, wie viele Geschenke er mitbrachte. Vor einer wirklich grossen Meke legen Männer und Frauen die festlichen Gewänder aus Tapastoff an oder die Tanzröcke aus breiten und langen Blättern, die vom Gürtel bis zum Knie herabhängen, giftgrün oder kirschrot gefärbt. Heute haben sie auch nicht die kostbaren Halsbänder aus Walfischzähnen angelegt, ja, sie haben ihre Gesichter kaum ordentlich mit Russ gepudert, so wenig grossartig geht es heute zu. Nur gesungen wird und ein wenig dramatischer Tanz geübt. Zwei Chöre, einer von Männern und Knaben, einer von Frauen, singen, im Halbdunkel des ungeheueren Saales hockend, diese Lieder, die ich nicht verstehe, die mir aber ganz wunderbar scheinen: nichts Negerisches oder Wildes ist in diesem süssesten, holdesten Zusammenklingen der vielstimmigen Vokalmusik. Von den beiden Häuptlingen scheint der alte Tui als eine Art Kapellmeister zu wirken, er dirigiert mit energischen Winken oder kurzen und scharfen Befehlen. Ratu Bola sitzt neben mir auf der Matte und dolmetscht


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