Tausend und eine Insel. Ein Reisebuch aus Polynesien und Neuseeland. Arnold Höllriegel

Tausend und eine Insel. Ein Reisebuch aus Polynesien und Neuseeland - Arnold Höllriegel


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Bola hält in seiner Übersetzung auf einmal inne, mit einem schelmischen Ausdruck in seinem alten Lebemannsgesicht. Sagt dieses Lied etwa, wie stark die Leute von Fidschi sind? So stark vielleicht, dass sie die Augen aller ihrer Feinde essen können? Ich weiss, sie tun es nicht mehr; aber ich weiss auch, in was für einem Haus ich hier sitze. Der greise Tui Savura muss noch dabei gewesen sein, als hier, auf dieser gleichen Stelle, der Tempel des dreiköpfigen Gottes von Mbau stand, ein Tempel, in dem man das „Lange Schwein“ geschlachtet hat, das zweibeinige, dem Gotte zu Ehren — —

      Aber jetzt singen die Leute von Mbau ein anderes Lied, eines, das ein lokaler Barde heute abend eigens gedichtet hat, um mich zu begrüssen, eine epische Ballade, deren Held ich bin, der Fremde mit der Brille, der in dem Boot des Apothekers Brown aus Suva gekommen ist. Er ist in seinem Land ein Häuptling oder vielleicht ein Missionar, und er hat Geschenke mitgebracht, viele, viele — —

      Dann kommt ein ganz anderes Lied, ein Lied aus dem grossen Krieg, der auf die Männer von Fidschi so einen Eindruck gemacht hat. Die Engländer sind sehr tapfer, tapfer, und den Kaiser eines Stammes, der: „die Deutschen“ heisst, haben sie gefangengenommen — —

      Dann kommt wieder ein sanftes und liebliches Lied der Frauen, nicht ein Lied von Fidschi, sondern das schöne samoanische Lied, das man auf allen Inseln der Südsee kennt: „Tofa mai feleni.“ „Lebe wohl, mein Freund.“ Es ist ein sentimentales Lied vom Abschiednehmen, und es hat einen englischen Refrain:

      „Oh, I never will forget you — —“

      Sie singen das immer wieder, immer wieder, und dann andere Lieder. Lieder von Fidschi und sanftere von Samoa, von Tonga.

      Dazwischen zeigen einmal die kleinen dunkeläugigen Buben, was sie in der Missionsschule gelernt haben. „Tipperary!“ jubeln sie, den scharfen Takt mit klatschenden Händen markierend. „Es ist ein langer, langer Weg nach Tipperary — —“

      Dann wieder ziehen sich alle die Chöre in den Hintergrund zurück; ich sehe sie nur rhythmisch sich biegen, während sie, auf ihren Schenkeln sitzend, die Melodie des Tanzes patschen. Vorn aber, im Lichtkegel der Windlampe, haben drei wunderschöne junonische Mädchen sich niedergelassen, ganz bekränzt mit schwer duftenden Blüten. Sie tanzen, sitzend, einen Tanz, der das Lied des Chorus illustriert. Sie bewegen nur, in massvoll strenger Disziplin, ein wenig den Oberleib und die nackten Zehen; die eigentliche mimische Sprache des Tanzes reden ihre schönen bronzenen Arme und ihre adeligen Hände, deren Bewegung die Essenz des Liedes verkörpert und die einfache Handlung der Ballade dem fremden, fremden Gast fast völlig verständlich macht.

      Die ganze Nacht, die ganze Nacht dauern die Lieder. Die Sänger sitzen im Hintergrund der Halle; in der Mitte hockt ein würdevoller Funktionär vor der grossen kuriosen Holzschale, in der man unter vielen Zeremonien Kawa gebraut hat, den Rauschtrank Polynesiens, der keinen Rausch gibt, nur eine unbestimmte lässige Müdigkeit der Beine. Die Yangona-Wurzel, aus der man diese trübe laue Jauche macht, wird auf Mbau nicht mehr von den Frauen vorgekaut, wenigstens nicht vor den Gästen. Sie machen das Mehl der zerriebenen Wurzel mit lauem Wasser an und seihen es durch ein Tuch. Dann taucht ein Mann in das hölzerne Becken eine halbe Kokosschale, in deren Innerem längst eine besondere Patina entstanden ist, und bringt sie dem Ratu.

      Ratu Bola hat eben versucht, mir nicht ohne Anzüglichkeit zu erklären, dass Kawa sehr gut ist, aber Whisky auch. Ich verstehe nicht und höre hingerissen dem leisen Gesang zu. Der Ratu winkt resigniert dem Mann mit der Kawa, der bringt die Kokosnussschale und hockt demütig vor ihm nieder, denn niemand steht vor einem Häuptling. Nun muss auch ich kosten. Ich tue es, das gebührende Zeremoniell sorgsam beachtend. Erst ein Schluck von dem lauwarmen Gesöff, das zunächst wie Chloroform mit Spucke schmeckt, dann aber doch den Durst auf eine ganz geheimnisvolle Weise auszulöschen scheint und im Mund eine eigentümliche herbe Frische hinterlässt. Man muss, bevor man die Schale nimmt und trinkt, dreimal in die Hände klatschen und rufen: „Bola!“ Bola heisst „Prosit“, und den Ratu Bola könnte man so übersetzen: Prinz Prosit.

      Nachdem man getrunken hat, fängt man ein wenig zu grunzen an, und man massiert sich mit beiden Händen die Speiseröhre, durch die der Nektar herabrieselt. Oh, heuchelt man mimisch, das hat aber geschmeckt!

      „Whisky ist auch sehr gut!“ bemerkt der Prinz Prosit, ganz beiläufig, nachdem wir die Kawa getrunken haben.

      Er kriegt ja endlich doch einen Whisky, einen kleinen nur, und wird auf einmal gesprächig. Ich liege auf dem Bauch, das Kissen unter mir, und schreibe manchmal in mein Notizbuch. Der Mann ist ein Konversationslexikon.

      „Wett’ dein Leben,“ sagt er, „Fidschi ist gutes Land. Wir hier in Mbau nur Häuptlinge, Häuptlinge und Frauen und Kinder und Diener. Kinder? Ich ob Kinder habe? Wett’ dein Leben! Vierzig Kinder! Missionär sagt: ‚Viele Frauen, nicht gut.‘ Ich heirate eine Frau, andere Frau in andere Haus, viele. Das Fidschisitte.“

      Er runzelt sorgenvoll die Stirn. „Missionär nicht gut,“ sagt er. „Nimm an etwas Fidschisitte, er sagt: ‚Nicht gut, gehst Hölle.‘ Ich rechne, ich bald gehe anderen Missionär. Romkatholisch gutes Stück viel mehr besser, wett’ dein Leben!“

      Er spricht so, in dem Strandenglisch der aussterbenden alten Generation, und man kann ihn leicht ein wenig komisch finden, wenn man zu stumpf ist, um zu verstehen, wie vornehm der Mann im Grunde ist, wie sehr ein wirklicher Aristokrat, einer der letzten vielleicht, die diese Erde trägt. Vielleicht ist diese Insel Mbau, das Schutzgebiet der grossen Häuptlingsfamilien von Fidschi, heute die letzte sichere Zufluchtsstätte adeligen Wesens.

      Halb aufgerichtet auf seinem Trinklager aus köstlichen Matten, zeigt der alte Häuptling auf diese festliche Halle, auf die sklavisch hockenden Chöre der schönen Mädchen, der starken Jünglinge, auf dieses Halbdunkel, aus dem die leisen Gesänge kommen, und er erklärt mir hochmütig, dass diese schöne Halle keineswegs nur ein Schlafraum für vazierende Schriftsteller ist.

      „Dieses Haus unser Haus der Lords,“ sagt Ratu Bola. Er meint, dass die Halle an der Stätte des uralten Tempels eigentlich der Ratssaal der Edlen von Fidschi ist. Einmal im Jahr kommt der britische Gouverneur von Fidschi nach Mbau; man begrüsst ihn mit einer grossen festlichen Meke, mit Liedern und Kriegstänzen auf dem grünen Platz vor dem Hause; dann aber sitzt der Gouverneur hier in der grossen Bure mitten unter den Häuptlingen, und sie sprechen zu ihm, sagen ihm, was sie wünschen.

      „Und was uns nicht gefällt,“ sagt Ratu Bola und wirft seinen grauen Kopf trotzig zurück.

      O Meisterschaft, denke ich, der englischen Politik! Sie haben den Eingeborenen in Mbau eine Art Scheinkönigreich gelassen, eine Republik von grossen Häuptlingen, in die kein Polizist den Fuss setzt; da sitzen die vierzehn stolzen Enkel der Inselfürsten, hübsch beisammen — —

      Unterdessen erschliessen auf den grossen Hauptinseln elende indische Kulis die weiten Plantagen.

      In Mbau aber ist alles, wie es war, und bleibt alles, wie es war, höchstens, dass keine Menschen mehr gefressen werden. Es ist wahr, der Missionar lebt auf der Insel, und er legt Wert darauf, jeden Häuptling mit einer seiner Frauen feierlich zu verheiraten, in der kleinen Kirche, vor der ein gehöhlter Baumstamm liegt, die Trommel, die einst zu Kannibalenfesten rief und jetzt zum christlichen Gebet ruft. Man heiratet eine Frau und hat ein paar Dutzend andere in netten kleinen Hütten. Nur diese Familien der Häuptlinge wohnen auf der Insel Mbau; ein Gemeiner von geringem Blut betritt diesen heiligen Boden nur, wenn ihn der Häuptling gerufen hat. Was der Häuptling zum Leben braucht, lässt er sich einfach kommen. „Geh auf Festland,“ befiehlt er dem ehrfürchtig hockenden Diener, „bring’ Fisch! Bring’ Taro! Bring’ Feuerholz!“ Der gemeine Mann geht und bringt.

      „Sieh,“ sagt der Ratu und streckt mir seine schlanken braunen Hände mit den hellen Nägeln entgegen. „Sieh, diese Hände — — wett’ dein Leben, ganzes Leben nicht einmal verdammt gearbeitet!“

      „Auch nicht schreiben wie weisser Mann,“ sagt er mit einem verächtlichen Blick auf meine eigenen Hände. Er hat mich offenbar im Verdacht, dass ich gar kein so grosser Kazike bin.

      Er spricht und spricht, laut und rücksichtslos, in den lieben Gesang der Knaben


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