Klara. Dirk Bernemann
p>
DIRK BERNEMANN JÖRKK MECHENBIER JAN OFF
KLARA
ROMAN
DIRK BERNEMANN wurde als Bauernsohn im Münsterland geboren, lebt jetzt als Hipster in Berlin. Literatur, meint der Sozialphilosoph, solle man nicht in die Hände halbbesoffener Ereignistheoretiker legen. Trinkt Weißweinschorle bei Lesungen, ist aber sonst angenehm.
JÖRKK MECHENBIER wurde 1977 im Saarland geboren. Weil Fußball ihm egal ist, hängt er meistens mit Musikern rum und gibt bei der Post-Punk-Band LOVE A und beim Punk-Schlager Duo SCHRENG SCHRENG & LA LA den Klassenkasper.
JAN OFF lebt in Hamburg. Obwohl von Tag zu Tag mehr von der Sinnlosigkeit menschlichen Handelns überzeugt, gilt: Kein Buch mehr zu schreiben, ist auch keine Lösung. Wenn du schon mit 180 Sachen auf einen Brückenpfeiler zusteuerst, sollte wenigstens der Soundtrack stimmen.
© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG,
Mainz 2018
Alle Rechte vorbehalten
print-ISBN 978-3-95575-095-4
e-ISBN 978-3-95575-594-2
Cover: Oliver Schmitt unter Verwendung einer Illustration von Liú Quara
Ventil Verlag
Boppstraße 25, 55118 Mainz
JAN OFF
DIRK BERNEMANN
GESPRÄCHE ÜBER FREEJAZZ UND EINE SCHLÄGEREI ZUM THEMA HARMONIE
JÖRKK MECHENBIER
»LACHEN SIE NICHT – SIE KÖNNTE IHRE TOCHTER SEIN«
I.
Mein Geist ist so leer wie die Essener Fußgängerzone an einem gewöhnlichen Mittwochvormittag. Einzig ein paar Informationsbröckchen aus dem Bereich der unmittelbaren Wahrnehmung schwappen an seinem Rand herum. Ein beglückender Zustand. Ein Zustand, den ich schon monatelang nicht mehr habe erleben dürfen. Aber der Reihe nach.
»Tu mir weh«, hatte Klara gesagt, kurz nachdem ich in sie eingedrungen war.
Und ich tat ihr weh. Natürlich nur so, wie man eben jemandem wehtut, der Lust gern mit Schmerz und der eigenen Erniedrigung vermischt. Sie weinte ein bisschen, nachdem sie gekommen war. Aber es war kein trauriges Weinen. Und damit stand fest, dass wir zusammenbleiben würden. Jedenfalls für mich.
Klara dagegen begann gleich am nächsten Tag ein intensives Verhör, das meine Absichten weitaus detaillierter auszuloten gedachte.
Wir waren auf den Garagenkomplex hinter meinem Haus geklettert, saßen auf dem Flachdach und fingen die Strahlen einer käsegesichtigen Maisonne ein. Seit dem Aufwachen war noch keine halbe Stunde vergangen.
»Hast du eine Freundin? Wenn du eine Freundin hast, kannst du’s gleich vergessen. Ich habe keine Lust, mich einmal die Woche von dir ficken zu lassen und ansonsten keine Rolle in deinem Leben zu spielen. Ich bin keine Mätresse. Ich will eine Beziehung. Kannst du dir eine Beziehung mit mir vorstellen? Kannst du dir vorstellen, mit mir zusammenzuziehen? Also optional?«
Ich blinzelte sie an und lächelte dabei. Obwohl ich genau verstand, was sie sagte, weigerte sich mein Gehirn, das Gehörte in greifbare Bilder umzuwandeln. Und warum hätte es das auch tun sollen? Klara war schön, brutal schön, und das, obwohl sie eine dieser riesigen Sonnenbrillen trug, die selbst Filmstars oder Supermodels in Schmeißfliegen zu verwandeln vermochten. Ihre Nase war die eines Püppchens, ihr Kinn gehörte einer knallharten, erfolgsverwöhnten Geschäftsfrau, ihre Lippen versprachen nichts als Sinnlichkeit. Und diese Mischung war es einfach.
Kennengelernt hatten wir uns nach einer meiner Lesungen. Sie hatte sich ein Buch gekauft und auf meine Frage, ob ich ihr eine Widmung hineinschreiben solle, geantwortet, dass das nicht nötig wäre. So toll sei der Auftritt nun auch nicht gewesen.
»Gut, dann kaufe ich das Buch wieder zurück. Und du schreibst mir was rein«, konterte ich, »und zwar deine Telefonnummer.«
Sie sah mich kurz an, schien wie ein Pokerspieler abzuwägen, ob Mitgehen oder Passen die bessere Option wäre. Dann sagte sie: »Okay, aber du zahlst mir das Doppelte.«
Ich drückte ihr Geld, Roman und Kuli in die Hand. Sie nahm sich einen Stehtisch als Unterlage und ließ den Stift übers Papier fliegen.
Als ich das Buch wieder in den Händen hielt, stand auf der Innenseite tatsächlich eine Handynummer. Und neben der Nummer ein Name: Klara.
Angelina oder Anastasia hätten besser zur ihr gepasst. Klara klang zu brav, nach Klavierunterricht und im Schoß gefalteten Händen. Aber der Name löste auch andere Assoziationen aus: kaltes, klares Wasser; klare Sicht; klarer Verstand.
Klara verstand klarer Verstand wiederholte mein Gehirn unentwegt auf dem Heimweg. Gut möglich, dass sich währenddessen ein Lächeln auf meinem Gesicht zeigte.
Natürlich bestand die Möglichkeit, dass die Telefonnummer bloß eine ausgedachte war. Aber Klara hatte nicht den Eindruck erweckt, als hätte sie derartige Mätzchen nötig. Und so war ich, als ich zwei Tage später anrief, nicht überrascht, dass es wirklich ihre Stimme war, die ich vernahm.
Ich schlug vor, sie zum Essen auszuführen, und sie sagte ja.
»Irgendwelche Vorlieben?«, fragte ich.
»Sushi. Unbedingt Sushi«, kam es prompt zurück.
»Gut. Dann Sushi. Übermorgen?«
»Übermorgen plus sieben Tage. Ich will, dass du ausreichend Zeit hast, dir Gedanken zu machen.«
»Darüber, wo genau wir hingehen werden?«
»Nein, darüber, ob ich ein Höschen unterm Kleid tragen werde und ob meine Fotze rasiert sein wird. Solche Dinge.«
Sie sagte wirklich Fotze und damit machte sie mich völlig schwach. Ich meine, welches Mädchen redet schon so mit dir, bevor du sie gefickt hast? Und ja, ich musste wirklich darüber nachdenken, wie sie wohl nackt aussah. Aber nicht nur darüber. Mich beschäftigten auch banalere Fragen, zum Beispiel, mit welchem Restaurant ich sie am meisten beeindrucken konnte, oder wie ich mich kleiden sollte. Und, ich gebe es zu: Natürlich sann ich auch darüber nach, ob ich meinen eigenen Schambereich gründlich rasieren sollte. Der übliche abgeschmackte Wahnsinn eben, wenn der monochromen Sickergrube namens Menschheit plötzlich ein Geschöpf entstiegen ist, dessen Einzigartigkeit du nicht leugnen kannst. Ich entschied mich schließlich für ein Running-Sushi in Uni-Nähe, nicht zu schick, nicht zu ranzig.
Klara kam pünktlich. Und zwar auf die Sekunde. Ich hatte damit nicht gerechnet, ja, fand das Manöver in Bezug auf das, was ich von ihr erwartet hatte, regelrecht irreal, als würde ein Pickup-Artist in einem autonomen Zentrum referieren.
Ich reagierte entsprechend perplex, setzte, als sie da mit einem Mal vor mir stand, meine Flasche Tsingtao so heftig auf die Tischplatte, dass ein Schwall Schaum herausschoss. Das Bild hatte etwas von vorzeitigem Samenerguss. Jedenfalls war es das erste, woran ich denken musste, während ich die Flasche ein Stück anhob und die kleine Lache vor mir unbeholfen mit den Fingern verrieb.