Klara. Dirk Bernemann

Klara - Dirk Bernemann


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beantwortete. Bis es dann erneut eskalierte, wobei es sprachlich fast immer bis zum Äußersten ging. Auch ich erwischte mich alsbald dabei, wie mir Sätze à la fick dich, du Fotze! mit einer Selbstverständlichkeit über die Lippen gingen, als wäre ich wieder sechzehn und am Abendbrottisch mit zwei erzkonservativen Erziehungsberechtigten konfrontiert.

      Obwohl ich Klara schlichtweg für irre, manchmal gar für gefährlich hielt, dachte ich nicht mal im Ansatz daran, sie zu verlassen. Das hatte viele Gründe. Einer davon war ihr Antlitz, an dem ich mich einfach nicht sattsehen konnte. Ungeachtet dessen, dass Sex zwischen uns eine so große Rolle spielte, bestand für mich bei all unseren Treffen das größte Glück darin, sie anzuschauen. Wenn wir uns, jeder eine Kippe in den Fingern, gegenübersaßen und ich ihr perfekt geschminktes Gesicht studierte (ein Gesicht, das sich, gerade weil Klara sich aufs Schminken verstand, immer wieder veränderte) – das war es einfach. Als würde ich einen Hollywoodstar daten. Auch Küssen stand bei mir plötzlich hoch im Kurs. Ganz im Gegensatz zu der Zeit vor Klara. Ich konnte nicht genug davon bekommen, dass sich unsere Lippen und Zungen berührten, je zärtlicher, desto besser, am liebsten während ich sie heftig fickte. Oder danach, wenn Klara ermattet dalag und die Erlösung langsam über den Schmerz zu triumphieren begann.

      Langweilig war es mit ihr nie. Sie war schlagfertig und witzig. Und ich konnte stundenlang mit ihr über alles nur Erdenkliche reden, über Bücher natürlich, über den wandelnden Wahnsinn namens Mensch, über technologische Entwicklungen, über Sex und vieles mehr. Selbst Themen wie Mode wurden im Dialog mit Klara interessant. Nur mit Politik durfte ich ihr nicht kommen.

      Wenn ich von irgendwelchen Demoerlebnissen anfing, winkte sie nur müde ab: »Du und deine Freunde mit eurer gutbürgerlichen Revolutionsfolklore. Meine Großeltern waren während der Nazizeit im Widerstand. Die waren echten Gefahren ausgesetzt.«

      Fragte ich sie, wo sie sich selbst politisch einordnete, sagte sie Dinge wie: »Ich bin links. Aber ich denke, dass die Linke besser nicht an die Macht kommen sollte. Immer wenn sie an der Macht war, hat sie es vermasselt. Das ist für mich die Lehre aus allen sozialistischen Experimenten seit der Oktoberrevolution.«

      Und wenn ich daraufhin von ihr wissen wollte, was sie gegen das Elend dieser Erde zu tun gedachte, antwortete sie gern mit Zitaten: »Weißt du, was Janosch auf die Frage geantwortet hat, wie man sich großen Problemen stellt?«

      »Nein.«

      »Janosch hat gesagt Wondrak stellt sich nicht, sondern er legt sich. In eine Wiese mit hohem Gras. Je größer die Probleme, desto größer die Chance, dass sie ihn dann übersehen

      »Wer ist Wondrak? Ein Hobbit aus der Familie der Holzwollehirne?«

      Klara verdrehte übertrieben die Augen und verpasste mir einen zärtlichen Knuff gegen den Oberarm.

      Am spannendsten war es, wenn wir ausgingen. Und das nicht nur wegen ihrer Eifersucht, die sich blitzschnell an irgendeiner Belanglosigkeit entzünden konnte.

      Tanzen war weniger ihr Ding. Meist hingen wir in kleineren Bars ab, belegten, falls möglich, einen Tisch, redeten, rauchten und tranken. Wenn wir geil wurden und die Situation es zuließ, lutschte mir Klara kurz den Schwanz oder ich fingerte sie ein bisschen. Wir waren uns einfach selbst genug.

      An einem dieser Abende – ich war gerade zur Bar gegangen, um neue Getränke zu holen – tippte mir ein Typ auf die Schulter, der so aussah, als wäre sogar seine Zahncreme mit Stereoiden versetzt. Etwa meine Größe, aber doppelt so breit.

      »Hey, ist das deine Kleine da hinten?« Er zeigte auf Klara, die an unserem Ecktisch zurückgeblieben war und dort das alte Stück »einsame Schönheit zieht versonnen an einer Zigarette« aufführte. Ziemlich sexy, wie ich fand.

      Mein Instinkt sagte mir, dass ich die Frage unbedingt verneinen sollte. Und das hätte ich vielleicht auch, wenn mich der Ausdruck Kleine nicht so gestört hätte. Klara war nicht klein und selbst wenn …

      Also sagte ich: »Das ist nicht meine Kleine, das ist meine Freundin.«

      »Gut«. Der Muskelberg (weißes Shirt, graue Jogginghose, Glatze, Kinnbart, silberne Panzerkette um den Hals) nickte bedächtig mit seinem Nilpferdschädel. Dann zeigte er erneut auf Klara und sagte: »Eigentlich müsste ich der in die Fresse hauen, aber ich schlage keine Weiber.«

      Finde ich gut, dass du der Frau, die ich liebe, keine Gewalt antun möchtest, dachte ich noch bei mir, dann hatte ich auch schon in direkter Folge seine beiden Fäuste im Gesicht.

      Danach muss ich für einen Moment das Bewusstsein verloren haben, denn das Nächste, was ich sah, war Klaras besorgte Miene über mir.

      »Hey, alles okay?«

      »Keine Ahnung.« Ich befühlte vorsichtig meine Wangen und spürte Blut an den Fingern.

      »Der Feigling hat sich leider sofort verpisst«, sagte Klara erhitzt.

      »Was?«

      »Er und seine Alte sind sofort abgehauen, nachdem er dich niedergeschlagen hat. Ich hab noch versucht, ’ne Flasche nach ihm zu werfen, aber ich hab ihn verfehlt.«

      Während sie mir aufhalf, dankte ich dem Allmächtigen für Klaras mäßige Treffsicherheit. Dann war da auch schon jemand mit einer Packung Taschentücher und ich konnte mir ein bisschen was Rotes aus dem Weißen wischen.

      Weniger hilfreich war der Schnösel, der hinter der Theke arbeitete.

      »Ihr geht jetzt besser«, befahl er.

      »Spinnst du?!«, schrie Klara ihn an. »Mein Freund ist gerade angegriffen worden, und du willst uns rausschmeißen?«

      »Du hast ’ne Flasche durch den Laden geworfen, das läuft hier nicht. Wenn ihr nicht verschwindet, ruf ich die Polizei.«

      »Ich scheiß auf deinen Laden, du Spast! Du kriegst gleich ’ne Flasche in den Arsch!«, brüllte Klara.

      Ich griffnach ihrem Arm und lotste sie nach draußen.

      Drei Hauseingänge weiter setzte ich mich auf die Stufen und bat Klara, zwei Bier vom Kiosk zu besorgen.

      Als sie zurück war, zündete ich für uns beide je eine Zigarette an.

      Klara war noch immer auf hundertachtzig: »Das läuft hier nicht – hast du den Penner gehört?« Sie sog hastig den Rauch ein. »Vielleicht sollten wir denen ’nen Gullydeckel durch die Scheibe …«

      Ich versuchte sie abzulenken.

      »Wie sehe ich aus?«

      »Wie ein Pulled-Pork-Taco mit reichlich Salsa.« Endlich lächelte sie wieder.

      »Weißt du, was der Typ eigentlich von mir wollte? Er hat von dir gesprochen.«

      »Ich denke, es ging um seine Alte.«

      »Aha. Und was war mit der?«

      »Na ja, die war mit mir auf der Toilette und wollte das Waschbecken nicht freigeben, hat da ewig mit ihrem Eyeliner rumgemacht. Keine Ahnung wofür, bei der Restpostenfresse. Jedenfalls habe ich der irgendwann ’nen Pferdekuss gegeben. Du weißt schon, so einen Tritt mit dem Knie.«

      Ich wusste, was ein Pferdekuss war, und klang deshalb vielleicht ein wenig ungeduldig: »Und weiter?«

      »Schrei mich nicht an, okay?«

      »Ja, gut. Also?«

      »Na, und weil sie dann so nach vorn gekippt ist und ihr Kopf plötzlich vor dem Seifenspender lag, hab ich ihr gleich noch ’ne Spülung verpasst.«

      »Du hast was?«

      »Ein bisschen den Glanz ihrer Haare aufgefrischt.« Klara strahlte mich an. »Und das hat sie dann wohl ihrem Stecher gesteckt. Blöde Fotze.«

      Ich musste nun selber lachen. Hielt aber sogleich wieder inne, als, ausgehend von der Nasenwurzel, ein Sonnenrad aus Schmerz in meiner Fresse explodierte.

      »Tut’s sehr weh?« Klara beugte sich zu mir herab.

      Ich schenkte


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