Klara. Dirk Bernemann
Singles. Aber auch Bücher gab es reichlich, wie ich schnell feststellen durfte, während mich Klara durch die Räume führte. Sie lagerten überall: im Flur, in den Fensterbänken, neben dem Bett. Auf dem Bett lagerten zwei Katzen, beide mit sehr kurzem, schwarzem Fell, die eine zierlich, die andere etwas kräftiger.
»Das sind Mickey und Mallory«, sagte Klara.
Ich streckte die Hand aus, um der Zierlichen, die doch nur Mallory sein konnte, über den Kopf zu streichen und erntete ein Fauchen.
Klara lachte.
»Nimm’s nicht persönlich. Sie mag prinzipiell keine Intellektuellen.«
Nachdem die Vorstellungsrunde dergestalt vollzogen worden war, gab es Bulletten (angereichert mit kleingeraspelten Gurken und Knoblauch), Bier (für mich), Rotwein (für Klara) und Campari (für uns beide). Bald schon gab es (leider) auch wieder Streit.
Ich hatte mir die dritte Bullette einverleibt und wurde, wie fast immer, wenn jemand etwas Gutes für mich gekocht hat, von einem Mix aus Trägheit und Sentimentalität regiert. Mir selbst gelingt noch nicht mal Rührei. Es kam daher aus tiefstem Herzen, als ich sagte: »Das war geil. Ein fast schon religiöses Erlebnis. Solche Momente finden in meinem Leben viel zu selten statt.«
Klara reagierte auf dieses Kompliment erst seltsam schmallippig. Dann brach es aus ihr heraus: »In deinem Leben? Was heißt denn das, in deinem Leben? Gehöre ich nicht dazu? Bin ich nicht deine Freundin?«
Dritten gegenüber hätte ich Klara zu diesem Zeitpunkt sicher nicht so vorgestellt, aber das spielte in dem Moment keine Rolle.
»Natürlich bist du meine Freundin«, versuchte ich sie zu beruhigen.
»Dann behandle mich auch so. Und nicht wie jemanden, den du nach Belieben kommen lassen und wieder wegschicken kannst.«
Nun war es an mir, mich aufzuregen: »Warte mal, die Tatsache, dass wir, äh, zusammen sind, kann doch nicht bedeuten, dass ich kein eigenes Leben mehr habe.«
»Natürlich haben wir beide ein eigenes Leben«, entgegnete Klara, »eins, das wir mit dem anderen teilen.«
Die gute Stimmung war erst mal dahin. Ich war perplex, natürlich auch verängstigt, und wütend sowieso. Klara schmollte und rauchte Kette. Im Bett landeten wir trotzdem wieder.
Kurze Zeit später begann das mit den anonymen Briefen. Ob Klara dahintersteckte, habe ich nie herausfinden können. Zu ihr gepasst hätte es. Aber ich greife einmal mehr vor. Vier oder fünf Tage nach unserer Auseinandersetzung erreichte mich jedenfalls ein Schrieb ohne Absender. Der Inhalt ein kopierter Wikipedia-Artikel zum Thema Todsünden. Zwei der sieben für das Laster verantwortlichen Charaktereigenschaften waren mit rotem Filzstift unterstrichen: nämlich Superbia, also Hochmut, und Luxuria, gemeinhin mit Wollust übersetzt. Zuerst dachte ich an einen religiösen Spinner, dem durch Zufall eins meiner Bücher in die Hände gefallen war. Nur: Wo hatte der Irre meine Postadresse her? (Die Spacken, die mir normalerweise zusetzten, zumeist Rechtsradikale, meldeten sich stets über Facebook oder einen ähnlichen Kanal.) Und dann kam mir für eine Millisekunde der Verdacht, dass Klara hinter der Sache stecken könnte. Natürlich verdrängte ich das sofort wieder. Erzählen konnte ich ihr erst recht nicht davon. Was schon bezeichnend ist. Denn normalerweise sprichst du doch mit dem Menschen, der dich gefangen hält, auch und gerade über diese Dinge.
Aber das Übersehen des Wesentlichen ist ja das Wesen der meisten zwischenmenschlichen Beziehungen. Und es lief gut zwischen Klara und mir in den nächsten Wochen (auch und gerade, weil ich die Ahnung, dass ich sehenden Auges ins Verderben lief, konsequent ignorierte). Hätte ich das durch kleinliches Misstrauen kaputtmachen sollen?
Wir trafen uns von nun an fast täglich, unternahmen, weil der August ungewöhnlich heiß daherkam, nicht selten Ausflüge ins Umland. Klara fuhr, ich griff ihr zwischen die Beine. Sobald sie feucht genug war, hielten wir an und trieben es auf der Motorhaube oder im ausgedörrten Gras. Eine dieser Fahrten führte uns an einem Erdbeerfeld vorbei. Selber pflücken, so viel du willst, und danach den Betrag, den du für angemessen hältst, in eine Metallbox werfen.
»Lass uns welche mitnehmen«, sagte Klara und bog, ohne meine Antwort abzuwarten, in die Auffahrt ein.
Wir füllten einen der bereitgestellten Körbe, wobei die Hälfte dessen, was wir sammelten, bereits in unsere Münder wanderte.
Als wir uns der Bezahlbox näherten, friemelte ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche. Klara schenkte mir ein neckisches Lächeln und packte mich am Unterarm.
»Du bist so ein Spießer«, sagte sie und zog mich mit sich.
Anlass für die darauffolgende Meinungsverschiedenheit waren allerdings nicht die unbezahlten Erdbeeren, sondern (unbezahlte) Blumen.
»Ich bekomme für mein Leben gern Blumen geschenkt«, sagte Klara, während sie beschleunigte »vor allem zum Geburtstag. Ein Geburtstag ohne Blumen geht gar nicht.«
»Tja«, entgegnete ich, »ich verschenke schon gern mal Blumen. Aber nie zu Geburtstagen. Einfallsloser geht’s ja nicht.«
»Heißt das, dass ich zu meinem nächsten Geburtstag keine Blumen von dir bekomme?«
»Genau.« Ich lächelte vergnügt und schob mir eine besonders dicke Erdbeere zwischen die Lippen.
Im nächsten Moment spürte ich eben diese Erdbeere, ohne auch nur einmal draufgebissen zu haben, schon an der Öffnung zur Speiseröhre. Klara hatte das Steuer derart heftig verrissen, dass mich die Schwerkraft gleichzeitig nach hinten drückte und gegen die Beifahrertür schleuderte.
»Spinnst du?«, schrie ich, nachdem ich die Frucht (die ja in Wahrheit eine Nuss ist) mühsam wieder nach oben gewürgt hatte.
»Wie kannst du behaupten, dass du mich liebst, und derart ignorant sein?«, erwiderte Klara gänzlich unbeeindruckt. »Du bist ein scheiß Psychopath, weißt du das?!«
Ich kannte sie ja nun schon ein bisschen, dennoch überraschten mich diese abrupten Stimmungsumschwünge nach wie vor. Ein Gefühl, als würde sich dir im angenehm leeren Großraumabteil eines ICE plötzlich ein Hells Angel auf den Schoß setzen.
Es brauchte die gesamte Rückfahrt, bis Klara sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte. Ich beschloss unterdessen, sie zu ihrem nächsten Geburtstag mit einem Blumenmeer zu bedenken. Aber das behielt ich wohlweislich für mich.
Auch meine Vergangenheit war oft genug ein Thema, das für Eifersucht und Theater herhalten musste.
Ich saß gerade in der U-Bahn, als mir mein Handy mitteilte, dass eine SMS eingegangen war. Der Absender: Klara.
»Wenn du glaubst, dass du mich ficken und dabei weiter mit deiner Exfreundin rummachen kannst, hast du dich geschnitten, du perverses Arschloch«, las ich.
Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was sie meinte. Entsprechend konsterniert fiel meine Antwort aus: »Hey, wovon sprichst du?«
Es brauchte zwanzig weitere Kurznachrichten und einen ganzen Duden an Beschimpfungen ihrerseits, bis herauskam, dass es um folgende »Verfehlung« ging: Ich hatte einen Facebook-Post meiner vorletzten Freundin mit einem Herz versehen.
Nachdem ich den Bus verlassen und mehrfach Klaras Nummer gewählt hatte, waren wir endlich zum direkten Gespräch übergegangen. Ich versuchte, Sanftmut in meine Stimme zu legen, auch wenn ich zugegebenermaßen aufgebracht war: »Hör zu, Postings von Ex-Freundinnen zu liken, ist doch nun echt kein Verbrechen. Im Gegenteil, ist doch schön, wenn sich Menschen gut verstehen, die mal zusammen waren.«
»Du hast ihr ein Herz gegeben.«
»Aber ein Herz sagt doch nur, dass dir ein Beitrag richtig gut gefällt, dass du ihn also gewissermaßen von Herzen …«
Noch bevor ich den Satz vollenden konnte, hatte Klara mich weggedrückt.
So ging das ständig. Und natürlich war mehr als einmal endgültig Schluss, hatte Klara mich abgeschossen (wie sie das nannte) oder ich meinerseits die Geduld verloren (weil ich mich ungerecht behandelt fühlte). Aber