Der rote Reiter. Richard Harding Davis

Der rote Reiter - Richard Harding Davis


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aufgetaucht inmitten wirbelnder schwarzer Rauchsäulen, hin- und herjagend, Befehle erteilend an zwanzig verschiedenen Stellen. Einen Augenblick lang konnte man beobachten, wie er mit einer nassen Decke in die Flammen schlug und sie jubilierend um sein Haupt schwang, wie ein Kadett beim Armee-Marine-Fussballspiel mit dem Taschentuch winkt — im nächsten Moment kam er wankend aus dem feurigen Ofen zum Vorschein, einen betäubten Kavalleristen am Kragen schleppend und schreiend:

      „Sanitätssergeant, Sanitätssergeant! Hier ist ’n brennender Mann! Löschen Sie ihn aus. Dann schicken Sie ihn wieder zu mir! Schnell!!“

      Wer ihm in dem Wirbelwind von Rauch und zuckender Flamme begegnet war, erzählte, Leutnant Ranson habe ohne Unterlass vergnügt gekichert.

      „Ist das nicht famos?“ hatte er jeden angeschrien. „Heh, ist das nicht wunderbar? Nicht um eine Reise nach New York würd’ ich dies Erlebnis hergeben!“

      Als der Oberst dem Hospital einen Besuch abgestattet und den Männern sans Haaren, sans Augenbrauen, und mit bandagierten Händen und Armen aufmunternde Worte gesagt hatte, lobte er Leutnant Ranson auf der Parade vor versammeltem Regiment. Ranson aber lief nach der Parade unter erschrecklichem Fluchen schleunigst nach seiner Baracke.

      Am Abend suchte er im Kasino sympathisches Verständnis bei Mary Cahill.

      „Allmächtige Güte!“ rief er. „Haben Sie ihn gehört? War’s nicht schauderhaft? Wenn ich geahnt hätte, er würde mich so behandeln, so wäre ich desertiert. Warum muss man einem nun das einzige Vergnügen verderben, das man gehabt hat! Hoh! Hätt ich gewusst, dass man aus dieser langweiligen Prärie so viel nette Aufregung herausschinden kann, so würde ich sie selber angezündet haben! Schon vor drei Monaten! Es war mein erstes Vergnügen in Fort Crockett, und — der Oberst stellt sich hin und predigt mir die reine Leichenpredigt!“

      Ranson war zur Zeit des spanisch-amerikanischen Krieges in die Armee getreten. Weil er sich von diesem Schritt eine neue Art von Aufregung versprach und weil alle seine Freunde das Gleiche taten. Als der Sohn seines Vaters wurde er zum Generaladjutanten bei der Freiwilligen-Truppe ernannt, mit dem Rang eines Kapitäns, und dem Stabe eines Brigadegenerals aus dem Süden aufgehalst, der von vornherein bestimmt war, Charleston niemals zu verlassen. Aber Ranson argwöhnte sofort, wie die Sache sich verhielt. Er telegraphierte seinem Vater drei Tage lang, erreichte durch dessen Einfluss beim Kriegsministerium auch wirklich, dass er nach den Philippinen kommandiert wurde, und segelte gerade noch zeitig genug von San Franzisko ab, um mit Befehlen und Depeschen durch die Brandung waten zu können, als die Freiwilligen Manila besetzten. Wieder spielte der Telegraph. Kabeltelegramme, die viele, viele Dollars kosteten, bewirkten, dass er von seinen Pflichten beim Stabe entbunden, und als Leutnant zu einem Freiwilligen-Regiment versetzt wurde. Zwei Jahre lang jagte er die kleinen, braunen Männer in den Reisfeldern, brannte Dörfer nieder, plünderte Kirchen, und sammelte Kugellassos und Altardecken. Dabei amüsierte er sich so ausgezeichnet, dass die Ueberzeugung in ihm wuchs, die Armee stelle den einzigen Beruf dar, bei dem immer Aufregung zu haben sei. Und da Ausregung ihm so wichtig erschien wie Licht und Luft, so suchte er um Anstellung in der regulären Armee nach. Auf Grund seiner Führungsliste als Freiwilligen-Offizier wurde er zum Leutnant im Zwanzigsten Kavallerieregiment ernannt und, als dieses Regiment nach den Vereinigten Staaten zurückkehrte, in Fort Crockett — lebendig begraben.

      Nach sechs Monaten dieses Exils brach Ranson eines Abends im Kasino in offene Rebellion aus.

      „Ich sage Ihnen, ich halte es nicht einen Tag länger aus!“ rief er. „Ich reiche meinen Abschied ein.“

      Mary Cahill hörte hinter ihrem Ladentisch mit Entsetzen zu. Die Leutnants Crosby und Curtis erschauderten. Sie waren Söhne von Offizieren der regulären Armee. Erst vor sechs Monaten hatten sie die Kadettenakademie von West-Point verlassen, angetan in eleganten nagelneuen Uniformen. Die Traditionen der Akademie von Loyalität und Disziplin waren ihnen ins Rückgrat hinein geknetet worden. Ranson verkörperte für sie die schrecklichen Folgen des Ausstellens von Offizierspatenten an Zivilisten.

      „Vielleicht wird jetzt, wo das Frühjahr kommt, mehr los sein,“ meinte Curtis, hoffnungsvoll zwar, aber doch mit zweifelndem Blick auf das Kaminfeuer.

      „Ich würde nichts Unüberlegtes tun!“ mahnte Crosby.

      Miss Cahill schüttelte ihren Kopf. „Aber — ich finde es sehr schön auf dem Militärposten,“ sagte sie. „Mir gefällt es sehr gut, und ich bin doch schon seit fünf Jahren hier — seit ich aus dem Kloster kam — und ich — —“

      Ranson unterbrach sie mit höflicher Verbeugung.

      „Ja, ich weiss, Miss Cahill,“ sagte er. „Aber ich bin eben nicht aus einem Kloster hierher gekommen. Ich kam hierher von den blutgetränkten Gefilden des Krieges. In den Philippinen zum Beispiel ist immer etwas los. Dort gibt man einem eine halbe Schwadron, und solange man genügend Mausergewehre erbeutet und seine Leute heil und ganz zurückbringt, kann man sich herumschlagen wie und wo man will, und kein Hahn kräht darnach. Hier habe ich nichts weiter zu tun, als mich um kranke Pferde zu bekümmern. So viel Kampf und Aufregung, wie ich hier im letzten halben Jahr gesehen habe, hat jeder Tierarzt in den Vereinigten Staaten. Ebensogut hätte man mir das Kommando der Ställe einer Pferdebahn geben können.“

      „Daran ist etwas Wahres,“ sagte Curtis vorsichtig. „Wenn Sie wirklich Ihren Abschied nehmen, kann niemand Ihnen nachsagen, angesichts des Feindes abgegangen zu sein!“

      „Des Feindes! Ihr Götter!“ donnerte Ranson. „Hah! Wenn ein feindlicher Filipino hier hereinkäme, mit einem Lasso in jeder Hand, so würd’ ich ihm um den Hals fallen und ihn abküssen. Dieses Fort Crockett-Geschäft hier ist nichts für mich. Für Euch, ja! Man hat in West-Point all das Sportblut aus Euch herausgefuchst; eine schlechte Note für Zigarettenrauchen, zwei schlechte Noten für Nichtgrüssen des Botanikprofessors — und all die Abenteuer, die Ihr jemals gekannt habt, bestanden aus Rätselraten und einem Tänzchen in Cullum-Hall! Ich aber war, ehe ich mit General Merritt nach den Philippinen kam, auf der Jacht eines Freundes schon einmal dort gewesen und — wir mussten damals den spanischen Gouverneur ins Bett bringen, so wie er war, gestiefelt und gespornt. Und jetzt muss ich hier herumsitzen und den alten Bolland erzählen hören, wie er einen Strassenbahnstreik in St. Louis unterdrückte oder Stickneys lange Geschichten über die Kämpfe bei den Tafelbergen und im Blutigen Winkel hinunterschlucken. Er weiss gar nicht, dass der Bürgerkrieg schon vorbei ist. Ich sage Ihnen, meine Herren, wenn ich hier nicht Aufregung frisch vom Fass bekommen kann, braue ich mir selbst noch welche, und wenn ich das tue, stellen sie mich vor ein Kriegsgericht. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Abschied zu nehmen.“

      „Warten Sie lieber bis Ende dieser Woche,“ sagte Crosby mit einem Lächeln. „Diese Woche wird höchst lustig sein. Am Donnerstag kommt der Zahlmeister mit unserem Geld, und heute nacht trifft Fräulein Post hier ein. Da sie unseren Oberst besucht, so müssen wir alle dafür sorgen, dass sie sich gut amüsiert.“

      „Natürlich, darauf muss ich warten,“ brummte Ranson. „Höchstwahrscheinlich wird jeden Abend Whist oder so’was gespielt werden, und als Gewinn bekommt man kleine goldene Sternchen aus Pappe angesteckt!“

      Crosby lachte gutmütig.

      „Ich verstehe Ihren Standpunkt,“ sagte er. „Ich erinnere mich. Als mein Vater mich einmal mit nach Monte Carlo nahm, sah ich Sie an einem Spieltisch sitzen, mit solch einem Haufen Geld vor Ihnen, dass man damit eine Bank hätte gründen können. Ich erinnere mich, dass mein Vater die Croupiers fragte, weshalb sie einem Kind wie Ihnen zu spielen erlaubten. Ich war damals ein Junge und Sie waren auch einer. Ich erinnere mich, dass ich Sie damals für ein ganz verteufeltes Früchtchen hielt.“

      Ranson sah verlegen auf Miss Cahill und lachte.

      „Na, das war ich auch — damals,“ sagte er. „Jeder andere in dem Alter würde auch ein verteufeltes Früchtchen gewesen sein, wenn man ihn so erzogen hätte wie mich. Denken Sie nur: Ein liebender Vater, der einen ganzen Trust sein Eigen nennt und vom richtigen Wert des Geldes keine Ahnung hat! Und dennoch erwarten Sie von mir, ich solle hier glücklich und vergnügt sein: mit einem Spiel, bei dem man nicht höher als fünfzig Cents setzen darf, und — mit zwanzig Meilen verbrannter Prärie.


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