Das Salzfass. Simon Sailer

Das Salzfass - Simon Sailer


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den Knopf an einen Sammler, zusammen mit der ganzen Dokumentation. An dem Knopf hat sie natürlich mehr verdient als an all den Reparaturen zusammen. Das hat sie schlau angestellt. Bei dem Sammler wollte der Knopf allerdings auch nicht bleiben. Vielleicht, weil er so unscheinbar ist. Die Unscheinbaren wollen immer viel. Er ist ja nicht verziert, überhaupt sieht er nach nichts aus. Vier Löcher, rund, wie ein Knopf eben. Etwas gewölbt ist er, so wie viele Knöpfe, damit sie nicht durchrutschen. Dieser Sammler war übrigens nicht irgendwer, der war auch ein Künstler, ein Musiker. Sie wissen es schon: Richard Strauß. Der ist nämlich alt geworden, über achtzig. Wie Sie sich auskennen! Jetzt hatte der Knopf schon zwei Menschen überlebt, aber für ihn war das gewissermaßen erst die Jugend. Sein Leben hatte gerade erst begonnen und auch heute ist er doch eigentlich noch jung. Zumindest der Möglichkeit nach. So ein Knopf stirbt ja nicht. Er kann schon, aber er muss lange nicht. Eventuell geht er verloren, wird bei einem Brand zerstört oder er schimmelt, durch falsche Lagerung. Aber womöglich gibt es ihn noch in tausend Jahren, man kann es nicht wissen.

      Ich sehe schon, ich habe mich ein bisschen verstiegen. Weil mir der Knopf eben sympathisch ist, er ist wie ein Freund, ein guter Kerl ist er. Sie verstehen jetzt, was ich mit Charakter meine. Aus dem Leben des Knopfes könnte ich Ihnen noch einiges erzählen. Das Salzfass ist freilich ein anderer Typus. Das Salzfass ist schweigsam und ernst. Man sieht schon an der Weise, wie ich in den Besitz des Fasses gelangt bin, dass es ein Einzelgänger ist. Das hat mich natürlich besonders neugierig gemacht. Ich habe mich gleich gefragt: Wie ist es so geworden? Ein Salzfass ist ja zunächst ein geselliger Gegenstand. Eindeutig, schon der Funktion nach. Es steht am Tisch, dort wo gegessen wird, getrunken und gelacht. Dieses hier war sogar Teil eines Sets. Das kommt recht häufig vor. Aber ich habe es allein gefunden. Was mit seinem Bruder passiert ist? Leider, das muss ich Ihnen gleich sagen, habe ich auf diese Fragen keine Antworten finden können. Noch nicht. Es ist nicht nur einsam, sondern auch verschlossen. Wie meinen? Ja, das geht oft Hand in Hand, Sie sagen es. Jedenfalls, wenn ich auch nicht weiß, warum das Salzfass geworden ist, wie es nun einmal ist, kann ich Ihnen versichern, dass ich zum Zeitpunkt meiner Geschäftsübernahme das Ausmaß seiner Unduldsamkeit gegen jede Konkurrenz, seiner Kompromisslosigkeit und seiner Standhaftigkeit noch nicht einmal annähernd richtig eingeschätzt hatte. Noch hielt ich es für einen Eigenbrötler. Wissen Sie? Für einen alten Mann: griesgrämig, doch im Grunde gutmütig. Nur ist dieses Salzfass eher ein Genie, ein altes Genie, göttlich in der Kunst und im Leben unerträglich. Ein Klischee? Wenn Sie meinen. Ich beschreibe es nur so, wie es mir gegeben ist. Ich bin kein Hofmannsthal. Sie wissen doch, was ich meine. Nicht? Dann lassen Sie es mich anders versuchen. Sie haben Zeit? Nicht ewig? Dann komme ich gleich zur Sache. Sonst hätte ich Ihnen noch vom Vater von Maurice erzählt: August Demel. Es genügt, wenn Sie wissen, dass er ein Händler war, der zu früh gestorben ist. Seinem Sohn hat er bereits im Knabenalter alles beigebracht, was er über Antiquitätenhandel wusste. Er hat ihn auf die Märkte mitgenommen, auf die Auktionen im Dorotheum und sogar in die perserverlegten Wohnungen des Wiener Bürgertums, die noch der Leichengeruch der kürzlich darin Verstorbenen durchwehte.

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      Ein Jahr nach dem Tod seines Vaters hatte sich Maurice bereits in den Geschäftsalltag eingelebt. Obwohl der Vater ihm zusätzlich zum Lager und dem Geschäftsraum im ersten Bezirk ein ansehnliches Vermögen hinterlassen hatte, machte er alles selbst: Inventar, Buchhaltung, Verkauf. Sogar die Website. Diese Generation ist gut in solchen Dingen, wissen Sie. Die haben schon als Kinder mit Computern gespielt. Und damals waren die Computer noch umständlicher zu bedienen. Maurice las also auch den Auftrag selbst. Es ging um einen Nachlass, um eine der besagten Wohnungen, voll möbliert, übermöbliert. Er hat die Adresse gesehen, Essiggasse 2, und wusste Bescheid. Das ist schräg gegenüber, genau, manchmal hat man Glück. Er bestätigte den Auftrag und vereinbarte noch für denselben Nachmittag einen Termin.

      Maurice läutete bei Fleck, der Name war im Auftrag angegeben. Es war nicht die oberste Wohnung, weil der Dachboden ausgebaut worden war. Trotzdem, immerhin dritter Stock mit Mezzanin. Jemand sagte Guten Tag, öffnete, und Maurice ging die Stufen hinauf. Lift gab es keinen, der Transport würde teuer werden. Händler rechnen das gleich alles mit und überschlagen die Kosten im Kopf. Das spielt natürlich eine Rolle beim Preis. Das Gute für uns ist, die Erben wollen meistens die Wohnung leer haben und sind froh, wenn ihnen die Sachen überhaupt jemand abnimmt. Im Stiegenhaus kam Maurice eine Frau entgegen und lächelte ihn an. Das war er gewohnt. Er behielt sie nur in Erinnerung, weil ihr Gang etwas Besonderes hatte. Sie hüpfte die Stufen hinunter, in einer Art Galopp. Die Schritte hallten auf den Stufen und erzeugten einen eigentümlichen Rhythmus: eine Folge schneller Schläge, gefolgt von einer Pause, wie ein Ausholen und ein Schlagen, wie wenn man Murmeln gegen die Wand rollt und sofort wieder einfängt. Fast wäre Maurice hinauf zum Dach gegangen, doch eine sich öffnende Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Mann stand in der Tür, der jugendliche und greisenhafte Züge eigentümlich vereinte. Seine Backen waren glatt und leuchteten apfelrot, aber er stand gebückt, und die Augen steckten tief in ihren Höhlen.

      »Herr Demel?«, fragte der Mann.

      Maurice schüttelte ihm die Hand. »Guten Tag, Herr Fleck.«

      Herr Fleck machte einen Schritt in die Wohnung und wartete, bis Maurice das Vorzimmer betreten hatte, bevor er die Türe hinter ihm schloss. Das Vorzimmer sah aus, wie es Maurice erwartet hatte: zu viele dunkle Holzmöbel, die Tapeten mit bleichen Aquarellen übersät – trotzdem hatte er schon vollere Wohnungen gesehen. Wahrscheinlich hatte die Familie bereits das eine oder andere mitgenommen. Normalerweise klopfen sich die Angehörigen die Brillanten heraus, bevor sie uns anrufen.

      »Sind Sie der Erbe?«, fragte Maurice.

      Herr Fleck nickte. Maurice sprach sein Beileid aus und bat, sich umsehen zu dürfen. Die Wohnung war groß und fast jeder Quadratmeter von dunkelroten Perserteppichen bedeckt. Darunter lag ein vom Staub ergrauter Teppichboden, der einmal erbsengrün gewesen sein dürfte. Einige kleinere Persianer fehlten; wahrscheinlich die hellen, die waren wieder in Mode, ganz im Gegensatz zu den dunklen. Wo sie gelegen hatten, leuchteten Rechtecke in der ursprünglichen Bodenfarbe. Wenn man alle Teppiche aus der Wohnung geschafft hätte, würden die Abdrücke ein Muster ergeben. Die Möbel waren zum großen Teil alt, ein bisschen Ikea, ein bisschen Neuware, das eine oder andere Designerstück. Alles stand ungeordnet nebeneinander: eine Biedermeier-Kommode neben einem Landhaus-Bett und ein Thonetstuhl an einem Schreibtisch aus den Siebzigern. Übrigens war der Schreibtisch wertvoller als der Stuhl, von diesen Stühlen gibt es ja sehr viele, die frühen sind ein bisschen was wert. In einer Glasvitrine stand Porzellan, sogar etwas Augarten. Davon war mit Sicherheit mehr dagewesen und man hatte nur einige Stücke hiergelassen, damit der Nachlass eine gewisse Würze behalte.

      Maurice berührte mit der Nasenspitze das Vitrinenglas. »Sie wollen die Wohnung leer haben, ja?« Er drehte sich zu Herrn Fleck. »Oder verkaufen Sie auch einzelne Stücke?« Am liebsten hätte er natürlich nur einige Stücke genommen.

      »Ja«, sagte Herr Fleck. »Also nein. Wenn Sie alles nehmen würden, wäre das ideal. Der Rest käme sowieso weg.«

      »Das muss ich dann aber einrechnen, das ist Ihnen klar? So eine Räumung ist nicht billig. Dritter Stock ohne Lift.«

      »Was würden Sie denn geben, für alles, Räumung eingerechnet?« Herr Fleck sah zum Augarten-Porzellan in der Vitrine, als erhoffte er sich, es würde Maurice aufmunternd zunicken.

      »Auf die Schnelle schwer zu sagen. Es sind schöne Stücke dabei, aber die Wohnung ist voll und das meiste ist nichts.«

      »Wollen Sie ein Glas Wasser? Entschuldigung, ich habe gar nicht gefragt.« Herr Fleck drehte sich schon Richtung Küche. »Oder einen Kaffee. Es gibt auch eine Kaffeemaschine. Gar keine schlechte, eine DeLonghi, die war in den Achtzigern sehr teuer. Mein Opa hat Kaffee geliebt. Er hat eine Zeit lang in Rom bei der Botschaft gearbeitet.«

      »Gerne ein Wasser«, sagte Maurice.

      Herr Fleck griff sich an den Mund, als hätte er etwas vergessen. Dann nahm er zwei Gläser von der Bar und ging sie auffüllen. Maurice nutzte die Zeit, um den Vitrineninhalt zu schätzen. Ein paar Sammlertassen von geringem Wert, aber die Augarten-Väschen waren schön, in gutem Zustand und modern


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