Das Salzfass. Simon Sailer

Das Salzfass - Simon Sailer


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richtigen Kunden hat, spielt der gar keine so große Rolle. Aus Sicht des Händlers gibt es die meisten Stücke oft. Für den Kunden ist es anders. Der Kunde begegnet einem Stück zum ersten Mal und wenn er es mag, dann ist die Frage nur noch, was er zu zahlen bereit ist. Er darf nur nicht das Gefühl bekommen, übers Ohr gehauen zu werden. Ein Kunde, der weiß, was er kriegt, zahlt einen guten Preis und lacht dabei.

      »Können Sie schon eine Größenordnung sagen?«, fragte Herr Fleck und drückte Maurice das Wasserglas in die Hand.

      »Seriöserweise nicht«, sagte Maurice, nahm einen Schluck von dem Wasser und stellte das Glas in ein Bücherregal. »Es ist ein großer Nachlass. Ich muss alles einzeln schätzen, und dann rechne ich es mit den Räumungskosten gegen.«

      »Aber mit was darf ich rechnen: fünfstellig?«

      Maurice riss die Augen demonstrativ auf. »Es kann sein, dass kaum etwas übrig bleibt.«

      Herr Fleck verfiel.

      »Es muss nicht sein«, sagte Maurice, um dem Verfall entgegenzuwirken, »es kann sein. Ich weiß ja nicht, was sich noch alles findet. Einmal habe ich bei einem Nachlass im letzten Schrank ein Schmuckkästchen gefunden, das allein war so viel wert wie alles andere zusammen. Darin war nämlich eine Feuergranatbrosche, neunzehntes Jahrhundert, böhmischer Schliff. Ein atemberaubendes Stück.«

      Herr Fleck stützte sich auf dem Lederfauteuil ab und stürzte sein Wasser herunter. »Für nichts verkaufe ich den Nachlass nicht, das sage ich Ihnen gleich.«

      »Mehr als nichts bekommen Sie auf jeden Fall. Die Räumungskosten sind allerdings mit etwa dreitausend Euro zu veranschlagen.« Maurice zeigte Herrn Fleck die gespreizten Handflächen und senkte sie. »Warten Sie erst einmal ab. Man soll sich nicht verrückt machen, bevor man überhaupt die Fakten kennt.«

      Am Ende einigten sie sich auf zwölfhundert Euro. Sicherlich weniger als Herr Fleck sich erhofft hatte, aber Maurice hatte ihm klar gemacht, dass ein anderer ihm nicht mehr geben würde. Er hatte ihm offen gesagt, dass er mehr kriegen könne, wenn er alles selbst verkaufen würde, aber erwartungsgemäß war Herr Fleck erleichtert, die Wohnung leer zu bekommen und sogar noch etwas zu kassieren. Kunden hängen oft an den Erbstücken, aber nicht so richtig. Sie fühlen sich den Dingen gegenüber verpflichtet, aber vor allem wollen sie sie auf unanstößige Art loswerden. Die Händler bekommen die Stücke billig, weil sie versichern, ein gutes Plätzchen für sie zu finden. Der Kunde ist beruhigt und kann seine Wohnung vermieten.

      Herr Fleck war sogar so zufrieden, dass er Maurice in der folgenden Woche im Geschäftsraum besuchte, um sich zu bedanken. Zumindest sagte er das. Er stand ungefähr da, wo Sie jetzt stehen. Damals war hier eine Sitzecke, zierliches Biedermeier, zwei gepolsterte Stühle und eine Bank.

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      Maurice bedeutete Herrn Fleck, der jetzt darauf bestand, Max genannt zu werden, auf der Bank Platz zu nehmen. Maurice setzte sich neben ihn auf einen der Stühle. »Was verschafft mir das Vergnügen, Max?«

      Max bedankte sich wortreich. Alles sei in so gutem Zustand hinterlassen worden, auch wenn das eigentlich egal sei, weil der Teppich sowieso herausgerissen werde und die Leitungen neu gemacht. Es werde sicher ein Chaos, wie er es sich nicht vorstellen könne, und so weiter. Er redete wie eine automatische Drehorgel, redete sichtlich um etwas herum, und Maurice fragte sich, um was er denn herumrede, und fragte es schließlich auch laut.

      »Kurzum«, sagte Max, »ich habe Ihnen etwas mitgebracht.«

      Maurice beugte sich vor und bekam spitze Augen. Wissen Sie, ein Händler wird immer ganz – wie soll ich sagen? – wuschig bei der Aussicht, ein Objekt in die Finger zu bekommen. Obwohl es ja auch Bitterschokolade hätte sein können oder eine Flasche Burgunder, aber Maurice hatte schon gespürt, dass es etwas anderes war, sonst hätte Max nicht so lange darum herumreden müssen.

      »Etwas, das Sie noch verkaufen wollen?«, fragte Maurice.

      »Ganz und gar nicht.« Max schüttelte den Kopf, als hätte man ihn des Diebstahls bezichtigt. »Im Gegenteil.«

      »Ein Geschenk also?«

      »Das nicht, nein … nein. Etwas, das Sie vergessen haben mitzunehmen. Das Ihnen also rechtmäßig schon gehört.«

      »Steht es auf der Inventurliste?«, fragte Maurice.

      »Es hätte dort stehen müssen. Es kommt aus Opas Nachlass. Nur deshalb ist es nicht auf der Liste gelandet, weil ich es, um es meiner Mutter zu zeigen, nach Hause mitgenommen hatte.«

      »Was ist es denn Schönes? Wenn es etwas wert ist, zahle ich natürlich dafür.«

      »Nein.« Max hatte das sehr laut gesagt, beinahe erschrocken. »Sie haben schon sehr großzügig bezahlt. Wie gesagt, es gehört Ihnen schon.«

      Max griff in seine Umhängetasche und zog ein Salzfass heraus. Es handelte sich um dieses, das Sie in der Hand halten, ganz genau. Er starrte sekundenlang in das Fass, als wäre ihm aufgefallen, dass er die Salzreste nicht abgewischt hatte, und gab es schließlich Maurice.

      »Wunderbar. Ein Salzfass«, sagte Maurice. »Sterlingsilber, Anfang zwanzigstes Jahrhundert. Mit Glas. Das Glas zerbricht nämlich oft und fehlt oder wird ersetzt.«

      »Das ist original«, sagte Max.

      »Sie kennen sich aus?«

      »Auskennen ist zu viel gesagt, ich habe ein bisschen recherchiert.«

      »Da war auch ein Deckel dabei.« Maurice fuhr über den Rand. Das Gelenk, an dem der Deckel befestigt gewesen war, unterbrach den Lauf seines Fingers und er zog ihn ein. »Den haben Sie wahrscheinlich nicht mehr.«

      »Leider nicht«, sagte Max und wollte sich erheben.

      Maurice hielt ihn zurück. »Zweihundert Euro können Sie dafür sicher bekommen. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, Ihnen nichts dafür zu geben. Ich gebe Ihnen einen Hunderter, einverstanden?« Er wollte aufstehen und zur Kasse gehen, aber diesmal war es Max, der Maurice an die Schulter griff.

      Was sagen Sie? Max und Maurice klingt wie Max und Moritz. Da haben Sie recht. Sachen gibt’s. Es ist alles dokumentiert, wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen die Seite im Geschäftsbuch.

      »Ich habe Ihnen doch schon erklärt«, sagte Max, »dass Sie das Fass bereits besitzen. Ich bin nicht gekommen, um etwas zu verkaufen, sondern um etwas zu bringen, das Sie vergessen haben. Stellen Sie sich einfach vor, Sie hätten Ihren Mantel liegen lassen, und ich bringe ihn vorbei, weil es ohnehin auf dem Weg liegt. Weil es gar keine Umstände macht. Können Sie das?«

      »Es liegt hier doch etwas anders«, sagte Maurice. »Das müssen Sie zugeben. Ich sehe das Salzfass zum ersten Mal. Aber ich will mich nicht mit Ihnen darüber streiten. Wenn Sie es mir so gerne schenken wollen –«

      »Ein Geschenk ist es eben nicht«, unterbrach Max. »Entschuldigung. Wie dem auch sei. Ich muss leider los.«

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      Er bedankte sich noch einmal für die »professionelle Abwicklung« und versicherte, er werde Maurice weiterempfehlen. Währenddessen stand er auf und verließ den Laden mit langen Schritten. Er wirkte, als wäre er lieber gelaufen – wie jemand, der bei der Anreise im Urlaub die Koffer deponiert hat und zum ersten Mal unbeschwert die unbekannte Gegend erkundet.

      Maurice beäugte das Salzfass. Er benetzte seinen Zeigefinger mit Speichel und berührte die weißliche Stelle in der Mitte, um etwas von dem Pulver aufzulösen. Das Pulver roch nach nichts. Er wischte es mit einem Stofftaschentuch ab und brachte das Salzfass ins Lager, in ein Regal im hinteren Eck, wo er das Tafelsilber aufbewahrte. Damit alles seine Ordnung hatte, wollte er das Fass sogar im Computer in die Liste der im Fleck-Nachlass enthaltenen Gegenstände aufnehmen, aber das Programm stürzte ab und er schrieb stattdessen nur eine Notiz an den Rand der ausgedruckten Liste: »Englisches Salzfass, Sterlingsilber, Kobaltglas, um 1917«. Er schrieb in zittrigen Linien. Das ergab eine feine Schrift, die schwer zu lesen war,


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