Der Bauer in der Au. Rudolf Stratz
wie wir! Das Sägewerk darfst still liegen lassen! Da verdienst nix mehr dran!“
„Komm zu den G’schwistern!“ sagte der Flori. Da sassen sie alle in der Stube unten, wo der uralte Kachelofen, noch mit dem venezianischen Markuslöwen an allen Ecken, stand. Und der Donat, der hochwürdige Herr, sprach nach der Schrift, auf hochdeutsch:
„Also du übernimmst als der Älteste von uns die Au, Flori! Wehtun dürfen wir Geschwister dir dabei nicht! Wir lassen ein jeder unser Erbteil bei dir auf dem Hof einschreiben — steht freilich schon ein Trumm von ’ner Hypothek drauf — und du gibst uns halt die Zinsen!“
„Und, wenn d’ alles erbst . . . “ Der Ametsrainer, der kleine, pfiffige, viehkundige Graukopf nickte . . . „und wir nix in d’ Hand kriegen, nachher übernimmst die Erbschaftssteuer a!“ —
„Du zahlst in der ersten Steuerklass’, Vogl-Bauer!“ versetzte gemütlich in Holzing, dem nächsten Marktflecken, am nächsten Vormittag der Rechtsanwalt Bayerle zu den im Halbkreis um ihn sitzenden Trauerleidern aus der Au. „G’rad’ nur dreieinhalb Prozentl vom Wert. Und dazu die Nebenkosten!“
„Ja — wovon soll i denn das aufbringen?“
„Gehst ’nüber in die Kreditgenossenschaft! Dort hat der Vogl selig sein Geld!“
Aber hinter dem Schalter der kleinen ländlichen Bank pfiff der Bogner, der hagere, alte Schneidermeister, der die Kassiererstellung verwaltete, durch die schadhaften gelben Zähne.
„Ja — Vogl — da schaut’s bös her! Vom Einzahlen is dein Vater schon lang kein Freund net gewesen! Geholt hat er sich’s Geld! Schuldig ist er der Genossenschaft zehntausend Markln ’leicht! Die derfen wir jetzt bald mal wiederkriegen — gelt? Haust halt an Wald ’runter!“
Das traf sich gut, dass der Lechner, der Holzhändler, jetzt gerade auf Mittag zurückkam. Der dicke, schwere Mann sass wie in einer Badewanne in seinem winzigen Schnauferl, in dem er oben im Gebirg die steilsten und holperigsten Holzabfuhrwege auf und nieder kletterte. Er nahm sehr ernst die Pfeife aus dem Vollbart.
„Dass du’s glei’ weisst, Flori! Den schlagreifen Hochbestand in der Au, den mit den sechzig-siebzig Jahrln — den hat mir dein Vater selig schon voriges Jahr um Lichtmess auf dem Stamm verkauft! I lass ihn bloss jetzt noch ins Geld wachsen, bei den elendigen heutigen Holzpreisen!“
„Ja — Kruzitürk — wovon soll i denn da jetzt glei’ nur die Erbschaftssteuer zahlen?“ schrie der Flori. Der Simon riet: „Fragen wir den Mühlthaler in Holzing. Der hat die Vertretung von dera Münchner Bank über sich!“
Der Kaufmann Mühlthaler in Holzing hatte vorn ein grosses Kaufgewölbe mit einem halben Dutzend Ladnerinnen. Hinten in seinem Kontor rang er die Hände:
„Wann’s bloss ihr alle, daherkommt und a Geld haben mögt! Noch a Hypothek — dös trägt ja d’ Au nimmer! Mit den Antrag schmeissen s’ mich in München aussi! Kann dir net helfen, Bauer! Wär’ höchste Zeit, dass es mal Dukaten regnen täť im ganzen Land!“
Auf dem Heimweg hieb der Flori auf die Gäule, dass der Leiterwagen im Galopp der Hufe rasselte. Er hörte in dem Lärm nicht, was die Geschwister hinter ihm miteinander tuschelten — nicht nur die Mannsbilder, sondern auch — mit belebten Gesichtern — die Weibsleut’! Als er in der Au finster vom Wagen stieg, gab ihm die Schwester Zenz, die rüstige junge Bäuerin aus Walching am Chiemsee, einen vielsagenden Rippenstoss:
„’s kommt schon Rat, Flori! Wann d’ schiech wärst — aber so wie du daherschaugst . . . Es gebührt sich heut net, davon zu reden — wo der Vatter noch kaum unter der Erd’ is — aber bald amal . . . verstehst?“
Der Flori hörte es nicht recht. Denn die Katrein, die alte Magd, humpelte erbost aus dem Haus auf ihn zu.
„Vogl! Hau gleich mal dem Annerl a paar Watschen in ihr dalket’s G’fries! Fort möcht’ der Aff’ nach Minka!“
„Hast denn ka Scham net? Was hast denn in München verlor’n?“
„A Stitz’ der Hausfrau mach’ i da . . . “ Das Annerl stand strahlend, die Mistgabel geschultert, in Holzschuhen, mit blossen Waden, auf dem Dunghaufen.
„Warum bleibst denn net hier, du Trampel, du verdächtiger . . . ?“
„ . . . weil’s mir hier zu einsam ist, Bauer! In Minka hast’s Kino und kannst tanzen und siehst Leuť, und mehr Geld kriegst a noch!“
„Herrgott — und dabei müssen d’ Viecher morgen auf die Alm! Und kein Senn! Und niemand!“ Der Vogl-Flori spuckte wütend aus. „Ja — was tu’ i denn da?“
„I treib’ die Herde schon aufi, mit der Katrein und dem Wastl, Bauer, bald du nur den Stier auf di nimmst! Den Bazi kann i unterwegs net regiern!“ Die braune Marei guckte begeistert aus dem Kuhstall. Ihr hübsches, wildes, braunes Gesicht lachte mit weissen Zähnen. „I schaff’s schon den Sommer über da oben. I geh’ nit nach Minka! I bleib’!“
„Wird dir zu streng auf der Alm!“ Der Flori schaute von seinen sechs Fuss Länge nachsichtig auf das verliebte Madl herunter. Das war kein Geheimnis, dass die Marei in ihn vernarrt war. So ein geringes Dirndl — lediges Kind — der Vater weiss der Himmel wer — die Mutter beim Herrgott! Das Leben besitzt die Marei — aber sonst nix in der Welt . . .
„Hast niemand oben, Marei, als den alten Krauter, den Wastl, und die Katrein!“
„Bauer — i arbeit’ für zwei!“
„Is recht! Kriegst auch was zur Kirchweih! Morgen is Auftrieb!“
Der Flori ging langsam, die Hände in der Tasche, mit gesenktem Kopf um das Haus herum. Er fürchtete sich fast vor dem Haus, das ihm gehörte und doch nicht gehörte, sondern den Geschwistern und den vielen Amtsstuben und der Hypothekenbank.
Vor dem einen, dem hellblau bemalten, Flugloch des weissen Bienenhauses brauste es dumpf in tausendfachem schwarzem Gewimmel. Ein Mann in einem Helm mit Drahtvisier stand davor, Tabakpfeife und Wasserkrug zur Betäubung und Bespritzung des Maischwarms bereit, sobald der junge Weisel sich mit seinem Volk als kindskopfgrosser schwarzer Klumpen an einem der nächsten Bäume angehängt haben würde. Der Flori erkannte an der Stimme seinen Bruder, den besinnlichen Simon.
„Bien’ und Bauer sind heutzutag’ eins, Flori! Bien’ und Bauer arbeiten und tragen ein. Und dann kommen s’ und nehmen einem die Tracht wieder weg!“
„I schick’ dir a Tuch und a Schwingkorb!“ sagte der Flori und ging weiter. Seine Schwester, die Zenz, hatte sich wie von ungefähr zu ihm gesellt. Die junge Bäuerin scheuchte händeklatschend ein goldgelbes Gewatscher junger Enten aus dem Weg und meinte beiläufig:
„Is doch gut, Flori, dass d’ erst über die Dreissig bist! Wärst ein paar Jahr’ älter, wärst leicht noch im Krieg ausblieben, wie so viele . . . “
„Wär’ noch net ’s Schlechteste!“ brummte der Flori.
„So ist’s beispielmässig getad’ beim Distl, unserm Nachbar am Chiemsee! Da sind die drei Buben net wiederkommen. Und der Distl selber is seither auch g’storben. Is nur die Mutter übrig, mit der Tochter, der Vroni! Der g’hört der Hof!“
„Meinethalb!“
„Und was für ein Hof — sag’ i dir! Hundertachtzig Tagwerk gute Gründ’. Sechzig Stück Vieh. Wald a. Streuwiesen. A Torfstich . . . “
„Lass mi aus!“
„Die Vroni solltest mal schauen . . . Wie g’malen — sag’ i dir!“
„Hab’ schon g’nug von ihr gehört!“
„Die und du, Flori — das gäb’ jetzt schon a bildsauberes Paar! Du — und da is a bares Geld! . . . A Geld . . . sag’ i dir!“
„Meinst?“
„I mein’ net! I weiss! Weil s’ doch Baugründ’ am See haben! Die verkaufen s’ Stuck um Stuck an a Siedelung.