Der Bauer in der Au. Rudolf Stratz
Flori — das is was für di! Da bist aller Sorgen ledig! Jetzt hörst: So den Sonntag über acht Tag’ — da suchst du uns mal heim in Walching — den Blasi und mi! Nachher richt’ i’s schon, dass ihr euch trefft!“
Der Florian Vogl schwieg. Das durft’ die Schwester neben ihm, nach Bauernart, als Ja deuten. Die junge Heissin von Walching sprach nichts mehr zu. Zu viel durft’ man in Mannsbilder und Zugochsen nicht hineinreden! Sonst wurden s’ störrisch! Sie und der Flori schauten nachdenklich vor sich auf die blumenbunte, maigrüne Wiese.
In dem hohen Gras stapfte da mit blossen, braunen Beinen die Marei und sammelte mit ihren braunen Armen einen Stoss Feldblumen. Die Zenz gab ihrem Bruder einen Schubs und wies mit dem Kopf nach den Bienenstöcken. Dort hatte der Simon seinen Kopfschutz abgenommen und guckte unverwandt auf die braune Marei mit ihrem weissen Kopftuch unter dem blauen Himmel.
„Wo die Lieb’ hinfallt, da fallt s’ hin!“ sagte die rotbackige Heissin von Walching und lachte ein wenig, zum erstenmal seit dem Tod des Vaters.
„ . . . und wann s’ auf den Mist fallt! So a notige Dirn!“ Hochmut alten Bauernadels klang aus den Worten des Vogl in der Au. „Gut, dass sie dem Simon jetzt auf der Alm aus den Augen kimmt!“
3
Den ganzen Abend hatte die Marei in der Kuchl gehockt und mit ihren braunen Fingern die Feldblumen, die sie am Nachmittag gesammelt, zu einem Boschen gewunden — einem Boschen, drei Fuss lang, schmal und spitz wie ein Fuchsschwanz, prächtig in seinen schreiend grellen Farben und Bändern.
Den Almboschen befestigte sie morgens vor dem Haus mit einem urväterlichen, buntgestickten Ledergurt auf der Stirn der Scheckei, der Leitkuh. Dann knüpfte sie innen den Lieblingskühen kleine Sträusschen an die Hörner. Dem Maxl, dem dunklen, vierjährigen Zuchtstier, der daneben, wie ein Galeerensträfling in Ketten, widerkäuend lag, banden der Flori und der Simon ein Tuch vor die weissglühenden Augen und lösten ihn aus den Eisenringen und führten, Knüttel in den Fäusten, den blinden Wüterich ins Freie. Die Herde wogte hinter dem steil ragenden Blumenboschen der Scheckei mit melodischem, hohem und tiefem Glockengebimmel, unter Peitschengeknall und Geschrei. Die alte Katrein schrie, der alte Wastl, der Peperl, der Dienstbub, der Steffel, ein schwächlicher, junger Knecht, der an der fallenden Sucht litt, die Toni, eine unansehnliche kleine Magd. Aber am gelisten schrie die Marei. Der Flori hörte beim Stiertreiben durch das braunweissgefleckte und gehörnte Gewimmel vor ihm ihr helles, durchdringendes: „Gäh, Kühlein — gäh!“
Sie fegte, das Lodenhütl mit der flatternden Hahnenfeder tief auf dem braunen Zopfnest im Nacken, mit geschwungenem Bergstock in langen Sätzen links hinunter zum Bach und scheuchte den abgeirrten Jungochsen: „Gehst bei, Sauhund, elendiger!“ und jagte aus dem Waldhang rechts die schwerfällig galoppierenden Kühe: „I reiss’ euch d’ Schwänz aus, ihr Luader, ihr drecketen!“
„Schimpf net so, Dirn!“ rief der Flori von hinten, und die Marei drehte ihm, hell vom blauen Himmel abgehoben, über die Schulter ihr dunkelrot erhiztes Gesicht zu und zeigte atemlos die weissen Zähne.
„Du wirst mir lehren, mit die Viecher umgehn, Bauer! Platteln kannst und Komödi spielen und Rehböck’ derschiessen! Aber des gedenkt mir bald nimmer, wann i di mal im Kuhstall g’sehn hab’!“
„Recht hat sie, die Speikatz’“, sprach der Simon. Der Vogl-Flori schwieg. Stund’ um Stunde ging es hinauf durch Berghochwald. Dann wurde der immer lichter und niedriger, nun nur noch verkrüppelte, kriechende Latschen, eisgraue Moosflechten wie die Bärte alter Männer um die borkige Rinde. Sonnengoldene, grüne, freie Weite. Das Reich der Matten.
Der grosse Almstier lief schon ohne Binde. Er schnob durch die Nüstern. Er stiess ein helles Gebrüll aus, das beinahe wie das Wiehern eines Pferdes klang. Er stürmte federnd schnell trotz seiner Plumpheit durch das Glockengebimmel seines Harems auf und nieder.
„Was der Maxl scherzt!“ sagte die Marei bewundernd mit verschlungenen Händen. „Recht frisch is er beisammen!“
„Von hier ab bringt’s ihr die Herde leicht auf d’ Alm!“ Der Flori setzte sich verdüstert auf einen Stein. „Macht’s nur voran! I komm’ euch nach!“
Das Gebimmel der Glocken verhallte immer höher über ihm in der dünnen, klaren Luft. Nun war alles still. Er hörte nur noch den klagenden Schrei einiger schlanker, schwarzer Alpendohlen. Er sass mit dem Rücken gegen die aufsteigenden, baumlosen Weiden und das kahle Felsgezack dahinter und schaute hinab ins Tal.
Tief da unten lag winzig und weiss ein Hof. Und wer den Hof kannte, der wusste, dass er in Wirklichkeit nicht klein war, sondern mächtig gross, und dass er Beim Vogl in der Au hiess, seit undenklichen Zeiten, und ihm, dem Flori, gehörte, und ringsherum weithin im Grund die Wälder und die Wiesen.
Aber durch diese Wälder unten sah der Vogl-Bauer oben im Geist einen fremden, grossen, dicken, bärtigen Mann gehen, und das war der Lechner, der Holzhändler, und der hatte all die Baumriesen auf dem Stamm gekauft. Und über den Wiesen sah der Vogl-Bauer schwere, schwarze Schatten trotz des wolkenlos blauen Maihimmels, und das waren die Schulden auf dem Hof in der Au. Und hinter den Fenstern seines Hauses sah der Vogl-Bauer viele fremde Herren sitzen und schreiben und rechnen, und das waren die Beamten aus der Stadt mit ihren hundert Verboten und Verordnungen und Gesetzen mitten hinein in den ewigen Kreislauf des uralten Bauernguts.
Drüben im Westen färbte sich jetzt mählich schon der Abendhimmel purpurn. Der Flori Vogl sass aufrecht und straff, einen Halm zwischen den weissen Zähnen unter dem dunkeln Schnurrbart, den Hut mit dem steifen Adlerflaum schief auf dem linken Ohr, den Bergstock quer über den braunen, blossen Knieen, und spähte aus seinen dunkeln, raubvogelscharfen Augen über die dämmernde bayerische Hochebene hin, die sich fern zu seinen Füssen breitete. Wie Stücke eines zerbrochenen Spiegels schimmerten aus ihr, im Abendschein, die grossen und kleinen Seen. Ganz im Westen am Horizont lag eine mächtige, bleigraue Wasserfläche. Der Vogl in der Au kniff vielsagend das linke Auge zu, in der Richtung nach dem da sichtbaren Chiemsee. Dort am Ufer des Bayerischen Meeres lag das Dorf Walching. Und einer seiner Höfe hiess Beim Distl. Und in dem Hof sass eine — die hiess Vroni und wartete, bald der Rechte käm’ . . . Und hatte a Geld . . .
Wär’ nicht schlecht, wenn man da als Tochtermann einständ’ . . . Dann war alles in der Reih’ . . . Und wenn’s die Vroni nicht war, dann war’s eine andere! Da unten hat’s viele Dörfer, und in jedem dritten, vierten Dorf eine Bauerntochter, meinetswegen gar eine junge Witfrau, die nach ’nem Mann aussah. Wartet’s nur! Der Flori nickte, so wie wenn ihm sonst auf dem Anstand im Juni ein roter Sechserbock schussgerecht vor die Büchse trollte. Er kannte seine Gewalt über die Weibsleut’ . . .
Dann gähnte er und reckte sich in den breiten Schultern und stand auf. Er war im Begriff, sich vor dem Weitersteigen die Pfeife anzuzünden, und horchte, und das Streichholz verflackerte ihm dabei im Bergwind in der Hohlhand . . .
. . . Sie war nicht gerad’ gross und auch nicht gerad’ klein gewachsen . . . ein zartes, rankes Figürl in städtischer Tracht, einen Topfhut auf dem schwarzen Bubikopf, darunter ein liebes, rundes, weiches Gesicht mit dunkeln, sanften, katholischen Augen. Haferlschuh’ hat sie gerad’ an, der Stadtfratz, da heroben in den Bergen! Sie hatte einen dünnen, zusammengelegten Schirm geschultert. An dessen Spitze baumelte hinten eine kleine gelblederne Reisetasche. Bravo! So geht man auf d’ Alm! Der Flori musste lachen . . .
Das Fräulein war noch jung — so ein paar Jahr’ über zwanzig — sie war nicht erhitzt vom Bergsteigen, sondern blass von der Anstrengung.
„Grüss Gott!“ sagte sie lustig, obwohl es ihr den Atem verschlug, und schaute den Vogl-Bauer vertraulich an. „Bin i hier recht nach der Frauenalm?“
„Freili san S’, Fräulein!“
„I kann bald nimmer! Wie weit is dann noch?“
„A gute halbe Stund’!“
„Net mehr? Für wahr und g’wiss?“
„I muss es doch wissen!“ Der Bursche lachte und zündete sich jetzt seine Pfeife an. „I bin