Eine Kindheit im Waldkindergarten. Stefan Lenz
Blüten treibt und Einrichtungen entstehen, in denen eine gute Pädagogik kaum noch durchführbar ist. Nicht jede Wiese in einem Hochhausgebiet, auf der ein Bauwagen steht, ist als Naturkindergarten tatsächlich geeignet. Schöne Naturkindergärten gibt es auf Streuobstwiesen. Hier kann das Gelände noch sehr viel stärker bearbeitet und von den Kindern gestaltet werden als in einem Waldkindergarten. Mit Holzpaletten lassen sich schöne Spielgelegenheiten schaffen. Außerdem kann ausgiebig gegärtnert werden.
Die Nähe zum Ort selbst bietet natürlich ganz andere Möglichkeiten als ein Kindergarten etwas weiter außerhalb im Wald. Für die An- und Abfahrt sind weniger Autos notwendig. Mitunter kann der Besuch der Einrichtung sogar zu Fuß oder mit dem Fahrrad erfolgen. Was auch noch eine Rolle spielt: Der Ort selbst kann miteinbezogen werden, wenn Büchereien, Spielplätze und Parks erreichbar sind. Der Kindergarten rückt dann wieder mehr in die Gemeinschaft. Für die Erwachsenen sind diese Kinder auch wieder stärker sichtbar.
„Unter den Begriffen Natur- und Waldkindergarten wird oftmals ein und dasselbe verstanden. Jedoch gibt es bei diesen elementarpädagogischen Einrichtungen wesentliche Unterschiede. In den Waldkindergärten geht es darum, Kinder in die Natur zu bringen, wohingegen Naturkindergärten den Gedanken verfolgen, die Natur in den Kindergarten zu holen. Dies kann unter anderem dadurch geschehen, dass naturnahe Spielflächen angelegt, Wiesen rekultiviert, Wasserstellen und Biotope geschaffen, Kleintier gehalten oder Gemüsegärten betrieben werden. Diesen Kindergärten wird nachgesagt, dass sie gegenüber den Waldkindergärten konzeptionell breiter angelegt sind und einen guten Beitrag dazu leisten können, Kindern ein ökologisches Bewusstsein zu vermitteln. Eine genaue Abgrenzung der beiden Einrichtungen ist jedoch nicht möglich, da sich viele Waldkindergärten auch Naturkindergärten nennen und sich oftmals die beiden pädagogischen Konzepte innerhalb der Einrichtung miteinander vermischen“3
Auch auf Streuobstwiesen können Kindergärten entstehen, hier kann dann auch gebaut werden. Foto: Jens-Peter Schneider, Naturkindergarten Wiesloch
Der reale Besuch eines Waldkindergartens bringt viele Erwachsenenaugen zum Leuchten. „So habe ich mir das gar nicht vorgestellt“, ist eine der häufigen Äußerungen, die man zu hören bekommt, wenn man mit Politiker*innen oder Eltern in eine Einrichtung geht, um ihnen zu zeigen, was genau ein Waldkindergarten ist. „Es ist ein Ort, an dem die Kinder noch echte ‚Heldengeschichten‘ erleben können, die sie sehr prägen und von denen sie viel lernen und in Erinnerung behalten. In welchem ‚normalen‘ Kindergarten musste schon mal ein Kind aus dem Baum gerettet werden? Musste man sich vorsichtig von einem Wespennest und den ausschwirrenden Bewohnern entfernen? Einem anderen Kind helfen, sich aus fiesen Dornenbüschen zu befreien? Solche Situationen ergeben sich in einem normalen Kindergarten gar nicht oder werden von den Erzieherinnen gelöst. Im Wald sind aber meist die Kinder direkt in der Situation dabei und haben einen aktiven Part als Helfer in der Not. Meine Kinder erzählen auch Wochen später von solchen Erlebnissen und sind unendlich stolz, wenn sie dabei helfen konnten“, berichtet Ariane Bayram, Mutter im Waldkindergarten Graben-Neudorf.
Ein Bild, das ich spontan mit dem Waldkindergarten verbinde, sind die verzweifelten Versuche einiger Eltern nach einem Regentag, die völlig vermatschten, aber strahlenden Kinder mit dem Auto nach Hause zu bekommen. Der Versuch, die Kinder komplett umzuziehen, das Auto mit Mülltüten auszustatten, zeigt, dass der Waldkindergarten auch an Regentagen für die Kinder toll sein kann – nicht immer aber für die Eltern. Mit den unterschiedlichen Witterungen – Regen, Schnee, Sonne – zu leben und die spezifischen Erfahrungen zu machen, ist eine Herausforderung. „Am ersten Tag war ich als Mama zur Eingewöhnung mit im Waldkindergarten. Es war faszinierend zu sehen, wie wohl sich Miriam vom ersten Augenblick gefühlt hat. Sie erkundete das Gelände und war tatsächlich in der Lage, eine Eidechse zu fangen. Ich werde ihr glückliches Gesicht niemals vergessen.
Miriam ging am nächsten Tag ohne mich in den Kindergarten, aber als Mama war mir klar, sie hatte ihren Platz gefunden. Miriam geht sehr gerne in den Kindergarten. Sie darf dort schreien, rennen, klettern, im Matsch liegen oder einfach mal unter einem Baum liegen. Sie kann auch mal alleine sein, wenn sie eine Auszeit braucht. Miriam hat unglaublich viel über die Natur, über sich und ihre Freunde gelernt. Jetzt geht ihre Kindergartenzeit leider zu Ende. Sie hat ihn zwei Jahre besucht. Es war eine glückliche Zeit für sie“, berichtet Alrun Völker, Mutter im Waldkindergarten Graben-Neudorf. „Seit ein paar Wochen geht ihre kleine Schwester Gabriela ebenfalls in den Waldkindergarten. Auch sie genießt die Freiheit und das Entdecken. Man merkt sehr schnell die motorischen Fortschritte.“
Einzelne Waldkindergärten öffnen sich für Kinder unter drei Jahren. Hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Manche finden die Idee ganz gut, mit Kindern von zwei bis drei Jahren im Waldkindergarten zu arbeiten. Sicherlich hängt es auch von den räumlichen Bedingungen ab. Insgesamt würde ich eher vorsichtig sein bei Kindern unter drei Jahren. Ich finde es auch für kleinere Kinder schön, wenn sie möglichst im Wald und in der Natur aufwachsen können. Aber dann muss der Personalschlüssel ausreichend sein. Die Pädagog*innen müssen sich das wirklich zutrauen. Sie müssen ein gutes Konzept haben und die entsprechende Einrichtung (insb. Wickelmöglichkeit) muss vorhanden sein. Ein Kind im Waldkindergarten braucht eine sehr viel höhere Aufmerksamkeit, damit es nicht gefährdet ist.
Ein leider in Deutschland kaum verbreitetes Konzept ist der Waldhort. Dies liegt vor allem daran, dass die Kinder im Grundschulalter in der Regel im Schulgebäude betreut werden. In den einzelnen Bundesländern gibt es unterschiedliche Konzepte, wie die Nachmittagsbetreuung der Schulkinder organisiert ist. Ein Waldhort unterscheidet sich vom Waldkindergarten nicht wesentlich. Die Kinder werden nach der Schule abgeholt und in den Wald gefahren. Dort können sie sich austoben, Mittagessen und die Hausaufgaben im Bauwagen machen. Ein an und für sich sehr schönes Modell. Es bleibt abzuwarten, wie der angekündigte Rechtsanspruch auf den Ganztagesplatz in Deutschland zu verwirklichen ist.
Die ersten Waldhorte in Deutschland sind in Ebersberg (Landkreis Ebersberg), Riemerling (Landkreis München), Wilhelmsfeld (Rhein-Neckar-Kreis), Ketsch (Rhein-Neckar-Kreis), Bernried am Starnberger See und in Potsdam.
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