Triumph der Gewalt. Karl Arne Blom
Menschen, die zu Erkältungen und Rheuma neigten, ging es schlecht.
Kriminalinspektor Martin Holmberg litt wegen der Luft unter Beschwerden.
Im Februar wurde Roger Andersson dreizehn Jahre alt. Seine Luftröhrenbeschwerden verschlimmerten sich in dieser Zeit.
Martin Holmbergs Leiden war allergischer Art und weniger schlimm. Roger hatte mehr auszustehen.
Die Tatsache, daß es ihm schwerfiel, sich die Lungen richtig mit Luft zu füllen, machte ihn mitunter apathisch. In den schwermütigsten Stunden haderte er mit dem Schicksal, weil er sich benachteiligt fühlte. Dann wurde er ein ziemlich streitsüchtiger, schwieriger und aggressiver Junge.
Rogers Mutter, Ulla, war unverheiratet und dreiunddreißig Jahre alt.
Seinen Vater hatte Roger nie kennengelernt; er wußte nicht einmal, wer es war.
Ulla wußte es natürlich, aber sie hatte ihn in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr gesehen.
Ulla Andersson war früher rauschgiftsüchtig und Alkoholikerin gewesen.
Es war ihr gelungen, sich von den schlechten Kreisen, in denen sie verkehrt hatte, zu lösen und dem Laster zu entsagen. Sie arbeitete als Verkäuferin in einem Warenhaus und lebte mit ihrem Sohn zusammen in einer modernen Zweizimmer-Wohnung, deren Miete für sie eigentlich zu hoch war. Ulla Andersson hatte es schwer, Freunde zu finden.
Die Nachbarn schnitten sie und zeigten ihr die kalte Schulter. Einer der Gründe war sicher der Umstand, daß Ullas alte Freunde sie aufzusuchen pflegten, wenn sie in eine Klemme gerieten. Dann bewirtete sie sie und half ihnen. Sie wußte selbst, daß es nicht richtig von ihr war.
Die meisten, fast alle, die Ulla aufsuchten, waren zwielichtige Erscheinungen. Schließlich waren es die einzigen Menschen, mit denen sie Umgang hatte.
Sie verführe die Jugend, Rauschgift zu kaufen, munkelten die Nachbarn.
Sie habe immer nur mit Männern zu tun, die viel jünger seien als sie, meinten einige Nachbarsfrauen.
Ulla verfiel aufs neue dem Alkohol. Sie begann ihre Arbeit zu vernachlässigen und verfiel in tiefe Depressionen.
Ihr Zustand steckte Roger an.
Nach der Schule ging Roger oft in ein Freizeitheim.
Sowohl hier als auch in der Schule wurde er von den andern Kindern gemieden, die ihre Eltern schlecht von seiner Mutter reden hörten.
Er entwickelte sich bald zu einem streitsüchtigen, schwierigen Problemkind.
Er wollte der harte Anführer einer wilden Bande werden. Schließlich setzten die Eltern der anderen Kinder es durch, daß er von dem Freizeitheim ausgeschlossen wurde. Man könne nicht mit ihm fertig werden, hieß es.
Manchmal lehnte sich Roger gegen Ullas Lebensweise, gegen ihren Rückfall auf. Dann kamen seine Enttäuschung und seine eigene Verzweiflung zum Ausdruck. Aber meistens zeigte er seine Gefühle nicht.
Statt dessen erklärte er sich solidarisch mit seiner Mutter, und seine Erbitterung zeigte sich darin, daß er sich von seinem Lehrer und den Kameraden in der Schule und im Freizeitheim lossagte.
Zu Hause wurde er ein Plagegeist für die übrigen Bewohner. Er hustete im Treppenhaus so laut, daß es widerhallte, und er gab erst Ruhe, wenn eine Tür aufgerissen wurde und eine Frau ihn anschrie, er solle gefälligst Ruhe halten. Die Mitbewohner wußten nichts von seinem chronischen Luftröhrenkatarrh.
So kam es, daß sich Rogers Abscheu gegen die Gesellschaft schon in früher Jugend entwickelte und eines Abends im Frühjahr 1972 ihn dazu trieb, an allen Fahrrädern, die im Hof standen, den Sattel zu zerschneiden.
Sonderbarerweise wurde Roger von keinem als der Übeltäter verdächtigt.
Sonst hätte er sicher mit der Polizei Bekanntschaft geschlossen. Dazu sollte es erst zwei Jahre später kommen.
Die Rache
Ewa-Lena und Inger kannten einander schon lange. Im Herbst des Jahres 1972 schlossen sie Freundschaft.
Am 13. Oktober konnte man den folgenden Artikel in einer Abendzeitung lesen:
Quälerei eines sehbehinderten vierjährigen Kindes
„Nun kommt eine Wespe und sticht dich!“
Das sehbehinderte vierjährige Mädchen sah die Wespe nicht. Aber es fühlte den Stich an Armen, Beinen und Rücken. Das tat weh. Rings um die Kleine standen drei Mädchen, die älter waren. Alle drei lachten, während zwei von ihnen die Kleine mit brennenden Zündhölzern und glühenden Zigaretten quälten. Ehe „das Spiel“ vorbei war, hatte die Vierjährige 28 Brandwunden!
Das geschah am Mittwoch im Wohnviertel Nordfäladen. Die Vierjährige ist auf dem rechten Auge blind und kann mit dem linken nur schwach sehen.
Nach der Tortur lief sie heim zu ihrer Mutter und klagte:
„Es brennt mich so! Kommt das von der Wespe?“
Die Mutter sah, daß in mehreren Brandwunden Schwefel eingeätzt war.
Die beiden Mädchen, die sich auf diese Weise belustigt haben, sind 14 bzw. 15 Jahre alt. Eine Zwölfjährige hat zugeschaut. Sie haben gestanden, behaupten aber, die Kleine nur ein paarmal gebrannt zu haben. Die Polizei hat 28 Brandwunden durch Schwefelhölzchen und Zigarettenstummel festgestellt.
Die Vierjährige wollte zuerst nichts sagen. Sie hatte Angst, daß die großen Mädchen nichts mehr von ihr wissen wollten, wenn sie sie verriet. Ihrem 10jährigen Bruder drohten sie mit Prügeln, wenn er etwas weitersage.
Für das Verhalten der beiden Mädchen soll es eine Erklärung geben. Aber die Polizei läßt davon nichts verlautbaren.
Die Vierjährige hieß Elisabet Göransson. Sie war die Tochter von Nils und Gun Göransson.
Ewa-Lena hatte sich gerächt.
Das war jedoch nicht das letztemal, daß Ewa-Lena mit der Polizei zu tun bekam.
Die Mißhandlung
1972 war der Sommer in Lund sogar noch heißer und tropischer als im Vorjahr. Die Bewohner beneideten die Südeuropäer. Es hieß nämlich, im Süden habe man weniger unter der Hitze zu leiden – als ob sich die Regel umgekehrt hätte. Manchmal hatten viele Menschen die größte Lust, sich die Kleider vom Leibe zu reißen und kopfüber in den nächsten Brunnen zu springen, um sich zu erfrischen.
Nachts standen die Schlafzimmerfenster offen, und die Schlafenden lagen da ohne Bettdecke.
Am Morgen war der Wasserverbrauch enorm. Die ganze Stadt schien sich zu duschen.
Der Herbst kam. Die Hitze wollte nicht weichen.
Als endlich herbstliches Wetter herrschte, war nach dem Kalender bereits Winterzeit. Offenbar sollte es auch kein richtiger Winter werden.
Eines Abends Mitte Dezember wurde Ragnar Bengtsson schwer mißhandelt, und zwar von seinem eigenen Vater.
Ragnar war zwölf Jahre alt.
Rune Bengtsson war siebenunddreißig Jahre alt. Er lag mit seiner dreiunddreißigjährigen Frau Barbro in Scheidung.
Sie hatten 1960 geheiratet und acht Jahre lang im großen und ganzen ein normales Leben geführt. Sie hatten gemeinsam einen Hof besessen. Aber plötzlich begannen die Schwierigkeiten. Mit der Landwirtschaft ging es bergab, und die finanzielle Lage wurde zerrüttet.
Da griff Rune Bengtsson zu dem wirksamsten Gegenmittel, das er kannte: zum Alkohol.
Zwei Jahre später war er ein Säufer.
Der Hof verfiel, das Vieh verwahrloste, die Einnahmen schwanden, es kam zum Bankrott.
Rune Bengtsson war psychisch ein schwacher Mensch.
Körperkräfte hatte er für zwei. Er war muskulös und hatte