Seewölfe - Piraten der Weltmeere 677. Fred McMason
und spien ihr Blei ins Wasser. Acht Fontänen entstanden. Von den Ratten wurde keine einzige getroffen.
Bis die Musketen nachgeladen waren, hatte der kleine Pulk eine Strecke zurückgelegt, bei der ein Treffer noch fraglicher war.
Carnavon schäumte vor Wut.
„Ihre Knechte können nicht mal richtig schießen!“ tobte er. „Wissen Sie, was es bedeutet, wenn die Ratten die Insel erobern? Sie werden sich rasend vermehren und schließlich über uns herfallen. Sie werden unsere Vorräte fressen, bis wir buchstäblich verhungern. Sehen Sie zu, daß Sie das wieder ins Lot bringen, Mann, sonst lasse ich Sie hart bestrafen.“
Beeler nickte mit hochrotem Kopf und pfiff seine Soldaten an. Der Trupp verteilte sich jetzt am Ufer, um das Landemanöver der Ratteninvasion zu verhindern.
Die Soldaten waren kaum ausgeschwärmt, als ein neues Ereignis eintrat und wieder mal für Abwechslung auf Elisabeth Castle sorgte.
Von der auf dem Riff sitzenden Galeone waren fast alle Tiere aus der sogenannten Pißback abgeborgen worden, aber in der Aufregung hatten sich etliche wohl doch in den unteren Decks verlaufen. Als jetzt die Wellen an dem Rumpf nagten und immer mehr Wasser ins Schiff drang, gelang es einigen, sich zu befreien. Wahrscheinlich schlüpften sie durch ein größeres Leck in den unteren Räumen.
Wieder waren es zwei ziemlich fette Schweine, die ganz plötzlich neben dem Rumpf auftauchten und im Wasser paddelten. Auch sie hatten Angst, aber ihr Instinkt trieb sie genau auf das Land zu. Mit vorgereckten Schnauzen begannen sie zu schwimmen.
Diese Schweine waren den Lords hochwillkommen, ganz besonders dem feisten Bordprediger James Taurean, der beim Anblick der Schweine an knusprigen Braten dachte und sich im Geist bereits der Völlerei hingab und selig grinste. Da konnten sie bald wieder zur Jagd blasen, um sich die Bäuche vollzuschlagen.
Seine geistige Schwelgerei wurde jäh unterbrochen. Neben dem einen Schwein tauchte ein Wasserwirbel auf wie ein sich drehender, quirliger Trichter, an dessen gewölbter Oberfläche Schaum entstand.
Ein paar Haie hatten sich bei dem Wrack herumgetrieben, den Rattenpulk aber offenbar als zu mager empfunden. Das Strampeln der Beine lockte die Haie an, die ein paarmal ihre Beute umkreisten und sich dabei gegenseitig in die Quere gerieten.
Der Kommandant sah mit offenem Mund zu, was sich da auf See dicht vor dem Riff tat. Er wollte nach den Seesoldaten brüllen, doch die waren hinter einer Landzunge verschwunden und immer noch mit ihrer aussichtslosen Rattenjagd beschäftigt.
„Das – das sind Haie“, stammelte James Taurean. Er zuckte heftig zusammen, als die Rückenflosse eines riesigen Haies auftauchte, der dicht neben seinem Opfer wieder auf Tiefe ging.
Die beiden Schweine gerieten in Panik. Wild strampelnd quiekten sie, drehten sich um ihre Achse und wußten nicht, was sie tun sollten.
Ein nervenzerfetzender, tierischer Schrei drang über das Wasser, als ein Hai zupackte. Eins der Schweine wurde unter Wasser gerissen und wild hin und her geschlenkert.
Das Wasser färbte sich in einer langgestreckten Wolke rosarot. Noch einmal tauchte das Schwein auf, aber da waren gleich zwei oder drei Haie zur Stelle. Wasser kochte und brodelte an jener Stelle.
Das gleiche Schicksal widerfuhr dem zweiten Schwein, das jetzt laut quiekend vor Angst das Ufer zu erreichen versuchte.
Sie sahen, wie ein mächtiger Wirbel es übergangslos in die Tiefe riß, wie eine rosa Wolke aufstieg und das Wasser wild kochte.
Der Rest spielte sich unsichtbar für sie unter Wasser ab, wo sich die Haie um die Beute balgten.
Starr vor Entsetzen standen die Lords am Ufer und trauerten ihrem Frischfleisch nach.
Auf den Gesichtern etlicher anderer Männer aber lag ein hinterhältiges Grinsen, das reine Schadenfreude ausdrückte. Die Lords hatten erst vorgestern ein Schwein am Strand braten und die Mannschaft hungern lassen. Nicht mal die Knochen hatten sie ihnen gegeben. Sie mußten sich mit schimmeligem Hartbrot und Madenkäse begnügen.
So war es kein Wunder, daß sie heimlich grinsten. Sie gönnten den gefräßigen Meeresräubern die Beute mehr als ihren Offizieren.
„Der Herr will uns prüfen“, stammelte Sir James. „Wir sollten in uns gehen und beten.“
Dabei sank er im weichen Sand auf die Knie.
„Verschonen Sie uns mit Ihrer dämlichen Litanei“, sagte John Macleod angewidert. „Die Haie haben uns das Fleisch weggefressen, niemand anderer sonst. Der Herr hat was anderes zu tun, als sich um zwei armselige Schweine zu kümmern.“
„Aber so prüft er uns Menschen!“ jammerte Sir James. Damit waren zwei fette Braten ausgefallen, und er sah sich schon im Geist aus Hunger über die Ratten herfallen.
Die hatten sich mittlerweile zerstreut. Und sie nervten die Seesoldaten, die sich zusätzlich mit Knüppeln bewaffneten. Immer wieder gelang es etlichen der Biester, das Land zu erreichen. Waren sie erst mal am Ufer, dann verschwanden sie so schnell wie der Blitz im Strauchwerk und wurden nicht mehr gesehen.
Da half alles Hinundhergerenne nicht. Flitzten die Soldaten zur einen Seite, dann huschten auf der anderen tropfnasse Ratten an Land und verschwanden eiligst. Ihr Fang nahm sich daher auch mehr als bescheiden aus. Insgesamt vier Ratten waren erlegt worden. Von den anderen war nichts mehr zu sehen.
Die Ratten hatten damit Besitz von Elisabeth Castle ergriffen, denn sie würden sich unter den optimalen Bedingungen sehr schnell vermehren und bald das ganze Eiland bevölkern.
Die Mienen der Lords verdüsterten sich. Ganz besonders Scaleby suchte wieder nach einem Sündenbock, dem er die Verantwortung aufbürden konnte. Er empfand unbändigen Haß auf die Kerle – auf jene, die desertiert und mit den Jollen abgehauen waren, und auf diejenigen, die ihn vorgestern überfallen, einen Sack über den Kopf gestülpt und ihn jämmerlich verdroschen hatten.
Sein Körper, verweichlicht und dick, hatte diese Tortur noch nicht verkraftet, und so schmerzte ihn jede Bewegung.
Natürlich war nicht zu erfahren gewesen, wer ihm diese Tracht Prügel verabreicht hatte. Dafür war jeder fünfte Mann ausgepeitscht worden, was den gegenseitigen Haß nur weiter schürte.
Eine weitere Niederlage hatte er erlitten, als er den Seewolf gejagt hatte. Sein anfänglicher Triumph war zerbröselt wie morsches Tauwerk. Er war verhöhnt und verlacht worden.
„Was gedenken Sie jetzt zu tun, Sir Thomas?“ fragte er den Kommandanten, der mit verschränkten Armen am Strand herumwanderte und immer wieder zur „Respectable“ blickte. Der Bug des riesigen Schiffes lag fest auf, während das Heck noch frei im Wasser schwamm. Es saß unverrückbar fest auf dem großen Korallenriff. „Wir scheinen dazu verdammt zu sein, auf dieser Insel den Rest unseres Lebens zu verbringen, und dieses erbärmliche Leben müssen wir mit Meuchelmördern, Halsabschneidern, aufmüpfigen Knechten, Ratten und Ungeziefer teilen. Sie sind der Kommandant und haben gefälligst eine Entscheidung zu treffen, die uns aus dieser Lage erlöst.“
Sir Thomas wandte sich zu ihm um. Seine Nase schien noch spitzer zu sein, der Mund war ein verkniffener Strich, und in seinen hellen Augen funkelte es boshaft.
„Sieh an“, sagte er höhnisch. „Jetzt bin ich also wieder der Kommandant, obwohl man meine Befehle vorher grundsätzlich sabotiert und unterlaufen hat. Die Gentlemen sitzen nunmehr in der Patsche und sind grundsätzlich einverstanden, daß ich jetzt Entscheidungen treffe, um sie aus dem Dilemma zu befreien. Sie sehen mich überrascht, Durchlaucht. Aber da Sie schon immer ein Mann großer Worte und kleiner Taten waren, überlasse ich Ihnen in diesem Fall großzügig die Entscheidung. Tun Sie doch, was Sie wollen“, fügte er schroff hinzu.
Scaleby, ohnehin bis zum Hals mit Galle geladen, wollte erst eine geharnischte Antwort geben, aber dann zuckte er nur mit den Schultern und fuhr vorsichtig mit der Zunge über einen Zahn, der nur noch als eine scharfe Splitterruine in seinem Mund stand. Sobald er ihn berührte, zuckte er schmerzhaft zusammen. Das hatte er auch den Kerlen zu verdanken, die ihn so heimtückisch überfallen hatten.
„Ich