Lachendes Asien!. Artur Hermann Landsberger
paar Rupien und bewirkt, daß beide Parteien mit dem Gefühle, zu ihrem Recht gekommen zu sein, weiterziehen. — Muß man wirklich bis Aden reisen, um zu erkennen, daß es auch andere Mittel gibt, um Streitigkeiten zu schlichten, als rohe Gewalt? Mir scheint: nein! — es sei denn, daß beide Teile Kamele sind.
Von Aden nach Ceylon ist eine weite Reise. Zehn Tage und Nächte ohne Unterbrechung auf dem Meer. Also schnell noch einmal mit dem Motorboot an Land. Der Commandante ist ein viel zu großer Menschenfreund, um uns in Aden zurückzulassen.
Unser Eifer hat seine Gründe. In Aden ist Fischmarkt. Wer weiß, was das bedeutet, kommt — wenn auch nur, um zu schauen! Ich kann nicht prüfen, ob es wirklich über zweihundert Arten Fische sind — wie man uns versichert —, die hier feilgeboten werden. Vier kapitale Haifische, von denen einer schon zur Hälfte verkauft ist, sind etwas Alltägliches, und man versteht nicht, was wir daran bestaunen.
Wer gab all diesen Fischen Namen? Wie ist es möglich, sie dem Gedächtnis einzuprägen? — Unser China-Deutscher verblüfft von neuem. Er kennt nicht nur die Namen, er weiß auch die Preise, die Zubereitung und Bekömmlichkeit. Ich empfehle ihn der Aufmerksamkeit Karl Baedekers, der sich hoffentlich doch bald entschließt, seinem Indien ein China und Japan folgen zu lassen. — Der Geschmacksunterschied selbst in Größe und Aussehen sich ähnelnder Fische scheint groß zu sein. Wozu sonst die leidenschaftlichen Debatten einkaufender Eingeborenenfamilien vor dem Verkaufsstand von Fischen, die sich ähneln wie ein Hering dem andern? — Hingegen will mir die Aehnlichkeit eines weiblichen Menschen mit dem Meerwunder, der »Seejungfrau«, nicht eingehen, obschon Andernfalls vor einem besonders gelungenen Exemplar begeistert ausruft: »Genau wie unsere Portiersfrau!« — Mir scheint, daß unsere prächtigen Seehunde der Nordsee denn doch mehr Anspruch auf die zweifelhafte Ehre haben, als Menschen angesprochen zu werden.
Vom Wasser tönende Signale mahnen uns zur Rückkehr — und zehn Minuten später geleitet der Lotse unser Schiff aus dem Hafen. Fliegende Fische, die bis zu fünf Metern Höhe aus dem Meere emporschießen, am Tage, prachtvolle Sonnenuntergänge und ein leuchtender Sternenhimmel am Abend sind nun zehn Tage lang die einzige Abwechslung, die uns die Natur bietet.
Andernfalls und der junge Russe sind sich klar, daß Zerstreuung auf dem Schiff über dies Gleichmaß hinweghelfen muß. Sie sinnen auf Unterhaltung.
»Ihre für Indien bestimmten Seidenschals,« meint Andernfalls.
»Was ist damit?« fragt der Russe.
»Wir veranstalten eine Ausstellung.«
»Hier an Bord?«
»Selbstverständlich!«
Und am nächsten Tage gleicht der Salon an Bord einem indischen Märchen. Den kostbarsten Schal hatte Andernfalls selbst umgelegt. Jeder begehrt ihn. Und der Umstand, daß er käuflich ist, erhöht den Reiz. — Der siamesische Graf kann sich nicht satt sehen.
»Sie können bestellen,« sagt Andernfalls, »die Chemnitzer Firma liefert in sechs Monaten.«
Beatrice, seine schöne schlanke Frau, steht neben ihm. Sie wählt mit viel Geschmack und bestellt.
»Ein Dutzend von jedem?« fragt Andernfalls und tut arglos.
Beatrice sieht sie erstaunt an. Der Graf erblaßt.
»Sie werden vermutlich doch für jede Ihrer Gattinnen ...« fährt Andernfalls fort.
Der Russe pfeift irgendeine Melodie.
»Und gesondert verpackt?« fragt sie weiter.
»Was hat das zu bedeuten?« fragt Beatrice.
Der Russe pfeift durch die Zähne.
»Oder wünschen Sie für die übrigen elf Gattinnen andere Muster?« wendet sich Andernfalls an den Grafen.
Beatrice begreift. Sie benimmt sich wie eine Romanfigur, geht ein paar Schritte auf den Grafen zu, brüllt: »Du Lump!« und verschwindet in ihrer Kabine.
Durch Andernfalls, die allein Zutritt hat, läßt sie dem Grafen, der scheinbar alles tut, sie zu versöhnen, bestellen, daß sie erst hinter Penang, also wenn der Graf ausgestiegen ist, wieder an Deck kommen wird.
Noch ist der Uebergang der syrischen Sklavin in Andernfalls’ Dienste nicht vollzogen, da steigt mit Beatrice eine neue Gefahr auf. Andernfalls erklärt nämlich, daß wir die Pflicht hätten, uns Beatrices anzunehmen. — Beatrice gefällt mir zwar ausgezeichnet — aber alles hat seine Grenzen.
Der Graf, der sieht, daß Beatrice für ihn verloren ist, weicht nicht von meiner Seite. Er spricht fortgesetzt von »Allenfalls« — womit er »Andernfalls« meint — und versucht, mir klarzumachen, daß er unmöglich ohne Frau, zu deren Empfang alles in der Heimat vorbereitet sei, heimkehren könne. Ich verstehe! Aber meine Einwände, die er »kleinlich« und »echt europäisch« nennt, bleiben ohne Eindruck. Um so überzeugender wirkte der Bescheid, den ihm Andernfalls auf seine Werbung hin gab — und zu dem der Russe wieder seine Melodie pfiff. —
»Na,« sagt gegen Abend der Commissario, der nächst dem China-Deutschen hellste Kopf an Bord, »auf so einer Seereise erlebt man doch was.«
»Das wäre alles sehr schön,« erwidere ich, »wenn dieser ‚man‘ nicht gerade ich wäre.«
»Erlauben Sie,« widerspricht er, »der leidende Teil ist doch der Graf aus Siam.«
Mir, der ich weiter sehe, erscheint das zweifelhaft, und nachts träume ich, obschon der Indische Ozean spiegelglatt liegt: es war Herbst und ein Schiff lief in den Hafen von Triest ein. Ein Mann entstieg ihm, der mir zum Verwechseln ähnlich sah. Und diesem Manne folgten zwölf Frauen.
Wenngleich, was im Innenraum des Schiffes geschieht, dank dem vollendeten Takt des Maestro, nicht an die große Glocke kommt, so spürt doch jeder, daß die Luft schwül ist — und daß diese Schwüle nicht allein von den Tropen kommt. Das hat zur Folge, daß der Pater wieder zum Gebetbuch greift und die Nonnen täglich wieder fromme Lieder singen. — Das Zwischendeck, auf dem ein buntes Volk von Indern, Syriern, Persern, Aegyptern, Arabern, Somalis kampiert, gleicht weniger einer Wohnstätte als einem Jahrmarkt. Zur Zeit wird um einen Buchara gehandelt. Fünfundzwanzig Pfund Sterling sind gefordert, zehn Pfund geboten; ein lächerlicher Preis für dies schöne Stück, das man in Deutschland mit zwölfhundert Mark bezahlt.
Colombo. »Der wichtigste Platz an der Welthandelsstraße nach Ostasien und Australien. Die Hauptstadt von Ceylon. Der Sitz des Großhandels. Die Residenz des Gouverneurs.« — Das alles schreibe ich aus dem Baedeker ab. Jedenfalls also eine von den ganz großen Begebenheiten. So etwas, was drei Sterne bekäme, wenn es eine Sehenswürdigkeit »an sich«, ein Absolutivum wäre.
Betrachtet man es als solches, so wirkt es wie ein indisches Märchen mit Aperçus von Oscar Wilde. Oder wie eine Litanei, bespickt mit Paradoxen. Also widersinnig. Und trotzdem anziehend.
Etwa eine Viertelmillion Einwohner. In der Hauptsache Singhalesen; ferner Indo-Araber. Talmilen, Malaien, Parsen. Alles das lebt in niederen, unsauberen Häusern nach seinen Gebräuchen und Gesetzen. — Und auf diese dunkle bewegliche Masse sind ein paar tausend steife Engländer gestreut, die nun wie selbstverständlich darauf herumtrampeln. Der sogenannte »englische Bluff«, den wir vor neunzehnhundertvierzehn überlegen bewitzelten, sieht — genau wie der »amerikanische Barnumrummel« (ich zitiere den großen Völkerpsychologen Ludendorff, den Gott aller Ungeistigen) — außerhalb Deutschlands doch verteufelt nach the fact aus.
Vor dem Kriege besaß Colombo eine deutsche Fremdenkolonie von nur fünfzig Köpfen. Aber diese fünfzig standen in hohem Ansehen. Heute noch erzählen die Europäer, denen der Krieg nicht das Gehirn restlos vergiftete, daß — ruft es euch in Erinnerung, Söhne Albions! — selbst die englische Kolonie in Colombo mehr Wert darauf legte, zu dem Ball des deutschen Konsuls Freudenberg (die anerkannt beste deutsche Marke des Ostens vor dem Kriege) geladen zu werden als zum Ball des englischen Gouverneurs. Der Ball Freudenberg war das Ereignis der Saison.
Und heute? Zwar raten die von London geschickt inspirierten Zeitungsartikel (nicht nur des »Colombo Observer«), die Atmosphäre endlich