Ab 40 wird's eng!. Sylvia Kling

Ab 40 wird's eng! - Sylvia Kling


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Kopfes auf die Kabine zuging. Sie versuchte, mich aufzuheitern: »Hier, diese zwei Sweatshirts kann ich Ihnen noch empfehlen. Die können Sie unter die Ponchos ziehen. Die Farbe hellt das Bild etwas auf.« Nun ja, den Wink mit dem Zaunpfahl konnte ich diesmal gleich verstehen, denn ich tendierte beim Anblick der Ponchos zur Trübsinnigkeit. »Die Pullover liegen an. So können Sie die Ponchos super bequem darüber tragen und nichts stört Sie darunter.« Im Spiegel erblickte ich meinen verbitterten Mund, sah die alternde Frau im Spiegel böse an und steckte ihr die Zunge raus. (Bist du hässlich geworden, verdammt noch mal, wie kann so was sein? Wie konntest du nur in so kurzer Zeit zum wehmütigen Fleischklops mutieren?) Das alles war mir zu viel. Ich drehte dem Spiegel den Rücken zu und betrachtete das erste enge, fliederfarbene Longshirt näher. Auf dem Schild stand: »EU Gr. 46/48«. »Das ist doch die 46/48!«, rief ich entsetzt aus der Kabine heraus und hielt mir, erschrocken von der eigenen Spontanität, sofort die Hand auf den Mund. »Ja, aber die fällt kleiner aus und da Sie so groß sind, brauchen Sie es länger«, beruhigte mich die Frau.

      »Okay«, meinte ich kleinlaut und zog es mir über, immer noch den Rücken zum Spiegel gewandt. (Es ist doch noch schlimmer, dass ich so groß bin. Wenn ich klein und dick wäre, würde ich nicht so auffallen. Viele Frauen sahen so aus. Aber groß und dick, das ging gar nicht. Aber das verstand die Frau nicht.) Ich sah mich nicht an, sondern zog geschwind den Poncho drüber. »Und? Kommen Sie klar?«, rief die Verkäuferin, die scheinbar direkt vor meiner Kabine stand. Warum müssen sie das immer tun? Warum fragen sie solche überflüssigen Sachen wie »Kommen Sie klar?« oder »Brauchen Sie noch etwas?« Womit um Himmels Willen sollte ich denn beim Anprobieren nicht klarkommen oder was sollte ich beim Anprobieren noch brauchen? Wollte sie mich anziehen? Warum ließen die einen nicht in Ruhe anprobieren und raubten einem jede Möglichkeit, sich mit den Sachen anzufreunden? Ich war doch kein Mann, der in ein Geschäft ging, weil er einen Bierbauch mit sich herumschleppte, die Pullover in der XXL drüber streifte, »alles klar« sagte, zur Kasse ging und bezahlte. Ich war eine Frau und musste eine Beziehung zu den Sachen aufbauen. Sie sollten ein Teil von mir werden. Als ich meine wunderschönen Sachen meiner Schwägerin schenkte, gab ich einen wichtigen Teil von mir weg, sozusagen den Hauptteil. Es war wie ein kleiner Tod. Jetzt musste ich mich neu binden – an neues Material, an neue Gerüche, neue Farben, neue Schnitte, neue Größen. Warum ließen sie einem nicht die Zeit für den Aufbau dieser neuen Beziehungen, in Gottes Namen? »Ja, ich komm klar«, brummte ich aus der Kabine und zog Grimassen wie ein bockiges Kind. Sie störte mich tatsächlich bei meiner intensiven Kontaktaufnahme mit dem Neuen, mit dem sich vielleicht einmal mein Körper im Einklang befinden sollte.

      Ganz langsam drehte ich mich zum Spiegel. Ich spürte, wie ich wieder so schrecklich schwitzte und hatte Angst, dem neuen Longshirt unangenehme Achselflecken verpasst zu haben. Was, wenn ich das Teil nicht kaufte? Was, wenn die Frau die Flecken sah? Mist, ich hatte früher nie geschwitzt. Was zum Teufel war mit mir los? Und dann nahm ich die fremde Frau dort im Spiegel wahr. Eine große Frau in einem Sack sah mich an, mit wütend vorgeschobenem Kinn, hängenden Mundwinkeln, monströsem Leibesumfang, der in dem Sack noch umfangreicher wirkte. Der Bus war eingeparkt. Meine Lider flatterten in dem grellen Licht der Umkleidekabine. (Warum müssen die in den Kabinen immer so viel Licht haben? Wir Frauen wollen gar nicht so viel sehen wie die glauben!) Ich sah ein unförmiges Gebilde in mausgrauem Design und erkannte mich nicht wieder. Mein Atem stockte, im Brustkorb schmerzte es verdächtig. Das Fazit: Ich regte mich mächtig auf. Diese plumpe Gestalt dort konnte doch unmöglich ich sein? »Klappt es denn?«, tönte von draußen die Frau, die es nur gut mit mir meinte. In diesem Augenblick war sie meine Feindin, denn sie wurde Zeugin meiner Wandlung vom Zier- zum Kugelfisch. »Ja, es klappt«, stöhnte ich mit brüchiger Stimme. Ich wusste, sie wartete darauf, dass ich den Vorhang aufzog, damit sie mich betrachten konnte. Das tat ich auch. Ich überragte die Frau mindestens um eineinhalb Köpfe und sie war viel dicker als ich. Doch ich sah sie, als ich vor ihr stand, als ein zartes Geschöpf neben mir. Das machte die Sache noch schlimmer. Sie brauchte eine kleine Weile, ehe sie etwas sagte und sie lächelte nicht. Nur in ihren warmen Augen konnte ich so etwas wie Mitgefühl erkennen. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte sie. »Wie im Sack«, antwortete ich ehrlich. »Ja, das ist sicher eine Umstellung für Sie, aber sie müssen sich auf alle Fälle wohlfühlen darin. Das ist das A und O bei der Kleidung.« »Ja, ja, es ist schon okay«, flüsterte ich angestrengt. »Besser als in so engen Sachen, in denen ich aussehe wie eine Presswurst.« Die Frau lachte herzlich über diesen Ausdruck und empfahl mir, die anderen zwei Teile auch zu probieren.

      Mir war gar nicht zum Lachen zumute, was mein düsterer Blick wohl auch verriet. Die Verkäuferin räusperte sich. »Darf ich Ihnen noch eine Hose anbieten?«, schlug sie betont munter vor, im Versuch, diese Situation zu entschärfen. »Wenn Sie eine in vierunddreißiger Länge haben?«, fragte ich und hoffte, dass sie verneinte. So war ich das immer gewohnt. In Deutschland schienen nur Bordsteinkantenschnüfflerinnen zu leben, wenn man nach dem Angebot in den Kaufhäusern ging. »Ja, allerdings habe ich in dieser Länge nur zwei: Eine schwarze und eine dunkelbraune.« Klar, schwarz und dunkelbraun, andere Farben würde ich meiner Figur auch nicht mehr zumuten wollen. Letztendlich war ich froh darüber, dass sie überhaupt zwei Hosen in meiner Länge führte. Melancholisch dachte ich an meine knallenge, weiße Jeans, die vor wenigen Jahren meine schlanke Figur betont hatte und die die Erdnuckelchen neidisch zu mir aufsehen ließen. Missmutig nahm ich der Verkäuferin die Hosen ab und lief stocksteif dem zweiten schweren Gang entgegen.

      In der Kabine nahm ich die Hosen unter die Lupe und traute meinen Augen nicht. Nicht nur, dass die braune Hose aussah, als ob sie einer Siebzigjährigen gehörte. Nein, sie hatte sogar an den Seiten einen Gummizug, der noch einige Kilo mehr zuließ. Solche Hosen hatte ich immer verachtet und über sie gelacht. Sie sollten den gewaltigen Frauen erlauben, nicht zu darben. Der Gummizug war meiner Meinung nach einfach nur eine Hilfe zum Selbstbetrug. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich jemals mit solch einer Oma-Hose in einer Kabine stehen würde, um sie anzuprobieren, geschweige denn mit dem Gedanken zu spielen, sie zu kaufen. Impulsiv warf ich die Hose auf den Stuhl in der Kabine und verdammte mein Leben. Warum machte ich nicht einfach eine Diät? Warum kaufte ich mir nicht solche Drinks aus der Apotheke, die man sich literweise reinschüttete, um an Gewicht zu verlieren und verkündete dann überzeugt, dass ich normales Essen gar nicht mehr mochte und alles, was ungesund war, verdammte? Warum musste ich nach meiner Mutter schlagen, die sich mit Nahrungsmitteln auskannte, als läge unter ihrem Kopfkissen die Kalorien- und Fetttabelle und mir jedes Mal, wenn wir gemeinsam aßen, die Nährwerte in den Mund zählte, was mir das Essen gründlich verdarb, bevor es meinen Magen erreichte? Warum war ich überhaupt eine Frau geworden? Männer hatten es viel einfacher. Diesmal hielt sich die Verkäuferin zurück, sinnlose Fragen zu stellen. Ich hätte schon lange fertig sein müssen, doch ich stand wie angewurzelt in der Kabine, stellte mir Grundsatzfragen und starrte die Hosen angewidert an.

      »Nein!«, platzte es plötzlich aus mir heraus. »So was ziehe ich nicht an, wirklich nicht!«, rief ich schwer atmend und riss den Vorhang auf. »Okay«, sagte die Verkäuferin und versuchte, ihren beruhigenden Ton beizubehalten. Ich nahm die Hosen, legte sie unwirsch auf ihren Arm, den sie mir bereitwillig hinstreckte, schloss den Vorhang wieder und zog in Windeseile den anderen Longpullover und Poncho über meinen Kopf. Ich sah mich im Spiegel an, beschloss, dieses Elend hinzunehmen, zukünftig in den Abgründen des Oma-Daseins zu verschwinden, mich um Koch- und Backrezepte und meinen Haushalt zu kümmern, eine unübertreffliche Mutter für den Kleinen zu sein und eine sittsame, ewig lächelnde Ehefrau in grauer Reizlosigkeit, die heimlich in den Sachen des Ehemannes wühlte, um die versteckten Pornofilme zu finden.

      »Es ist wie es ist«, sagte ich konsterniert, »ich bin dick!« Dann lief ich zum Stuhl, riss die Klamotten an mich und stand mit meiner gebrochenen Eitelkeit vor der Verkäuferin. Diese blickte erstaunt und entgegnete: »Sie sind doch nicht dick! Sie sind eine stattliche Erscheinung!« Ich stutzte. (Stattliche Erscheinung nannte man das? Sie besuchte sicherlich jede Weiterbildung in Verkaufspsychologie, damit die Frauen ihr Geld in ihrem Laden ließen!) »Ja«, meinte ich in einem Ton, der unmissverständlich klarmachte, dass ich in Ruhe gelassen werden wollte. »Ich bezahle jetzt.« »Natürlich, gern.« Die Frau drehte sich um und ich hörte ihr Aufatmen. Ob sie wohl nach mir den Laden schließen würde, um sich von mir zu erholen? Was würde die wohl ihrem Mann heute Abend erzählen? ›Heute war eine total verrückte Frau bei mir. Die hat vielleicht ein Theater


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