Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz

Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes - Rudolf Stratz


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schrie er den Heidelbergern zu. „Wenn ich auch norr e Mann’emer bin!“

      „Ha freilich — Herr Niethammer!“

      „Also horcht emol: Die Fremde do — die gehöre behandelt wie die Augäpfel — und wenn sie noch so dumm daherschwätze! Dees sind Russe! Die Russe sind unsere gute Freund! Die decke uns de Rücke! Da brauche wir kein’ Mann im Osten! Alles üwwern Rhein! — Kumme Sie — die Herrschafte — Ich bring’ Sie aus dem Bahnhof heraus!“

      „Sie sind wohl Eisenbahnbeamter?“ frug der alte Grosskaufmann und fischte schon, gemäss russischer Gewohnheit, nach einem Trinkgeld in der Westentasche. Der derbe Mann aus dem Volk lachte.

      „Ah bah! Ich hab’ e Fabrik in Mann’em!“

      „Welcher Artikel?“ Otto Gebauer’s kaufmännische Neugierde erwachte.

      „E Eisengiesserei! Ich hab’ freilich klein angefange . . .

      Da gucke Sie die beide Pratze do an — da merke Sie heut’ noch, dass ich gelernter Maschinenschlosser war! Mei’ Vater war noch Vorarbeiter — drüwwe — im Saarland. Der hot sich als Schmied selbständig gemacht. Ich bring’ das Fabrikle immer weiter hoch — wann jetzt die grosse Zeit kummt und hilft!“

      „Das furchtbare Blutvergiessen den ganzen August hindurch nennen Sie eine grosse Zeit?“

      Sie waren vor die beiden Bahnhöfe, auf den Platz am Winterhafen, getreten. An den ersten Häusern der Stadt drüben hingen bunte Flaggen. Buben und Mädchen zogen mit verschiedenfarbigen Fähnchen vorüber. Sie schwenkten sie begeistert und sangen aus hellen Kinderkehlen:

      „Es braust ein Ruf wie Donnerhall —

      Wie Schwertgeklirr und Wogenprall!“

      „Do gucke Se hin!“ Der Pfälzer legte dem Deutsch-Russen unbekümmert die schwere Hand auf die Schulter. „Die Meiste von den Kinnern trage rotgelbe Fahne — das sind unsre badische. Und manche trage blau-weisse — den Bayern zu Ehren. Und e paar auch schwarz-rote für Württemberg und rot-weisse für Hesse — Aber das Beschte fehlt — denn das habe wir nit — Gott sei geklagt: Die Reichsfarbe fehle — Wir habe keine deutsche Farbe mehr. Wir habe kei’ deutsches Reich!“

      Er schüttelte in plötzlicher Aufwallung seines rheinischen Bluts den kleinen Herrn an seiner Seite.

      „Ich bin jetzt fuffzig. Ich hab’ als junger Mann das Jahr 48 miterlebt. Ich hab’ in Frankfurt, in der selige Paulskirch’, die schwarzrotgoldene Fahne hänge sehe! ’s war nix mit dem Schwarzrotgold damals, für das wir so begeischtert ware — ’s is nix geworde! Aber es muss ’mal werde — und wenn nit schwarzrotgold — dann anderswie! Es gibt noch mehr Farbe im Regenboge. Aber das Reich muss komme! Das muss ’mal komme!“

      Seine braune, mächtige Hand wies in die Ferne. Weit am Himmelsrand, dunstig verschleiert, blauten da über dem unsichtbaren Rhein die Vogesen.

      „Gucke Sie, Herr! Deswege is das Blutvergiesse da drausse! Deswege fliesst da das kostbare deutsche Blut! Die Sach’ is gut. Die is gross. Die is heilig! Für die lohnt sich’s zu sterbe! Ich sag’ Ihne: Ich könnt’ manchmal heule, dass ich fusszig uff’m Buckel hab’ und hier Unterhose und Bauchbinde verlade muss, statt dass ich e Zündnadelgewehr in den Fäuschte halt’ . . . Ja und jetzt . . . Wo wolle Se denn eigentlich hin?“

      „Zu dem Gymnasialprofessor Hermann Ritter — wenn Sie den vielleicht . . .“

      „Ob ich den Ritter kenn’? Hal Wie mei Tasch’. . dees is auch e feschter deutscher Mann! Mit dem hock’ ich oft beisamme, wenn ich nach Heidelberg, komm’! Der hat e Herz für’s Vaterland! Er wohnt gleich da hinne uff der Anlag’! Da springt gerad’ einer von seine Bube vorbei! . . Albert! . . . Do gehscht bei! Wo kummscht denn her?“

      „Von den Baracke!“ Der Sekundaner hemmte seinen atemlosen Trab und deutete auf die freie Ebene hinter den Bahnhöfen. „Ich muss gleich zur Grossherzogin ins Museum.“

      „Dort im Saal von der Museumsgesellschaft hat die Grossherzogin mit ihren Damen ihr Hauptquartier!“ erklärte der Mannheimer Fabrikant, „und die älteren Gymnasiaschte wie der Albert da, die springe den ganzen Tag als Botte hin und her!“

      „Da freuen Sie sich wohl, dass Sie sich auch nützlich machen können!“ frug Katja Gebauer den jungen Menschen. Er sah die elegante schöne Weltdame böse an. Er warf erbittert den Kopf zurück.

      „Ein Dreck is das!“ rief er wütend. „Bloss weil ich erst sechzehn bin, darf ich nicht hinaus! Ich könnt’ gerad’ so gut schiesse wie die Andere! Und wenn ich so weit bin wie die Andere, denn ist’s vorüber, und ich war nicht dabei!“

      „Du bist zu jung, Albert — und ich bin zu alt!“ sagte der Fabrikant Niethammer. „Da kann mir nix mache!“

      „So? . . . Warte Sie nur, Herr Niethammer, was noch passiert!“

      „Hoffentlich keine Dummheiten, mein Sohn! Und jetzt führst du die Herrschaften ’nüwwer zu deinem Vater! Keinen Dank! Is mit Bläsier geschehen! Gute Reis’!“

      „Seien Sie doch nicht so kratzbürstig!“ sagte, im Weitergehen mit den Eltern, Fräulein Gebauer weltläufig verweisend zu dem Sekundaner neben ihr und schwenkte dabei den kleinen, weissen Sonnenschirm, dass dessen lange Seidenfranzen flogen. Darunter zeigte im Schatten ihr schönes bräunliches Gesicht lachend die weissen Zähne. Aber in den Augen blieb eine geistreiche Schwermut — etwas Fremdartiges — Träumerisches — aus fernem Osten und südlichem Blut. Sie wandte dem jungen Mann mit einer sprunghaft sprechenden Schulterbewegung den hochfrisierten dunklen Kopf zu. Die Schäferlocken baumelten ihr wetterwendisch um die schmalen, lebendigen Züge, während sie strafend fortfuhr:

      „Wir haben Ihnen nichts getan! Wir wollen doch bloss meinen Vetter Sascha Kersting besuchen, der bei Ihrem Vater in Pension ist! Er muss doch mit Ihnen im gleichen Alter sein!“

      „Er ist auch sechzehn wie ich! Er sitzt mit mir in der Obersekunda!“

      „Und kommt Ihr nett aus miteinander? Wie geht’s denn dem Sascha?“

      „Ha — genau wie mir!“

      „Was heisst das? Warum ballen Sie denn so die Fäuste?“

      „Wie ein dummes Frauenzimmer kommt sich unsereins vor!“

      „Danke!“

      „Alle dürfen hinaus und kämpfen! Und unsereins hockt daheim über dem saudummen Tacitus und dem Rindvieh von Plato — no ja — es ist doch wahr.“ Der junge Mann brach wütend los: „Da predigen sie einem die Hude voll von den Spartanerjünglingen und den antiken Tugenden der Römer — und jetzt, wo man einen antiken Jüngling machen könnt’ — jetzt sperren sie einen zu Haus in den Stall wie die Gickel! Ich lass’ mir die Behandlung nicht mehr lang gefallen! Und der Sascha auch nicht!“

      ,,Den Sascha geht es doch schon gar nichts an!“ meinte die junge Odessaerin kühl. „Er ist doch Russe!“

      „Russe?“ Der junge Mann riss die Augen auf. „Wenn einer von deutschen Eltern geboren ist und deutsch als Muttersprache spricht . .“

      „Trotzdem ist er, wie es seine Eltern und Grosseltern waren, russischer Untertan!“

      „Da soll er auf die Kosaken pfeifen! Was deutsch ist, das gehört jetzt alles zusammen! Wir wollen ein einiges Deutschland! Und der Sascha will’s auch! Gerad’ der! Der will nicht zurückbleiben hinter uns anderen, bloss weil er ein zahmer Russ’ wär’. Ihr werdet noch was erleben!“

      „Was sagt denn um Gottes willen Ihr Vater dazu?“

      „Der Pappa? Der geht ja selber heut Nacht hinaus! Als freiwilliger Krankenpfleger während der Gymnasial-Ferien! Er muss auch was für’s Vaterland tun, sagt er! Na — wir auch!“ Der junge Mann lächelte schadenfroh und verbissen vor sich hin. „Wart’ nur, Alterle!“

      „Da scheinen wir ja gerade noch zurechtgekommen zu in sein!“ sprach besorgt und gedämpft hinter ihnen der alte Deutsch-Russe


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